Olympia-Stadt Rio de Janeiro:"Tiere werden einfach erschossen"

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Wer über Rio und die Christusstatue blickt, sieht eine wunderschöne Stadt - doch vor Olympia häufen sich die Probleme. (Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP)

Die Zerstörung des Naturreservats Marapendi zugunsten eines Golfplatzes mit Meerblick entfacht die Wut der Bürger von Rio. Das Vorgehen wird zum Symbol für alles, was schiefläuft vor den Olympischen Spielen 2016.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Zum Beispiel das Wasserschwein. Aber auch das Dreibindengürteltier oder der Breitschnauzenkaiman. Bis vor Kurzem haben diese seltenen Tierarten noch da gelebt, wo jetzt eine Großbaustelle ist. Wo ein Golfplatz entsteht. Der Golfplatz der Olympischen Spiele von 2016 in Rio de Janeiro.

Golf war letztmals 1904 im Programm. Nach 112 Jahren kehrt es im kommenden August in die olympische Familie zurück. So viel lässt sich jetzt schon sagen: Ein harmonisches Comeback sieht anders aus.

Die meisten Brasilianer interessieren sich nicht für Golf. Für Naturschutz eigentlich auch nicht. Aber spätestens bei den Straßenprotesten im Sommer 2013 hat sich gezeigt, dass sie sich nicht mehr alles gefallen lassen, was ihnen im Zuge internationaler Sport-Großereignisse zugemutet wird. Erst die Fußball-WM und dann auch noch Olympia, da kommt gerade ein bisschen viel auf einmal. Wer immer die Idee hatte, für den Bau eines Golfplatzes eines der letzten zusammenhängenden Naturschutzgebiete Rios zu planieren, der hat seine Rechnung ohne den organisierten Widerstand gemacht. Aktivisten der Gruppe Ocupa Golfe campieren seit drei Monaten vor dem Eingang des Areals im Stadtteil Barra de Tijuca. Tag und Nacht.

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Die 40 Protestler campieren im Schichtbetrieb Tag und Nacht - ihre Botschaft geht um die Welt

Sie haben sich auf dem schmalen Grünstreifen zwischen der achtspurigen Avenida de las Américas eingerichtet. Mit Klappstühlen, Schlafsäcken, Zuckerschnaps und einer alten Klampfe. Im Wind weht die schwarz-grüne Fahne des Öko-Anarchismus. Auf einem ihrer Plakate steht "Olympic Ecocide". Der Aktivist Bernardo Nadal, 19, sagt: "Was hier passiert, ist ein Verbrechen. Wir fordern sofortigen Baustopp."

Die Zahl der Dauercamper vor dem Golfplatz mag überschaubar sein, ungefähr 40 Leute wechseln sich derzeit im anarchistischen Schichtbetrieb ab. Aber Zeitungen und Fernsehsender aus Brasilien und aller Welt verbreiten inzwischen ihr Anliegen, in sozialen Netzwerken wächst die Unterstützung. Und an der Avenida de las Américas hupt alle paar Sekunden ein vorbeifahrendes Auto. Bernardo Nadal hebt dann die Faust zum Gruße. Und Fäuste grüßen zurück.

Ob der Bau des Golfplatzes damit noch aufzuhalten ist, darf bezweifelt werden. Der Rasen ist schon ausgesät, der Hubschrauberlandeplatz zementiert und in der schicken Eingangshalle zur sogenannten "Riserva Golfe" herrscht reger Betrieb. Wer sich dort als Journalist zu erkennen gibt, dem wird der Zutritt verweigert.

Riserva Golfe wirbt mit dem Slogan: "Die Sonne geht für alle auf, aber nicht mit dieser Aussicht." Die Aussicht ist in der Tat überragend. Sie öffnet sich auf weiße Sandstrände und auf den tintenblauen Ozean. Ein olympisches Golfturnier mit Meerblick, das wird im kommenden Jahr schöne Fernsehbilder geben. Das nationale Organisationskomitee Rio 2016 schwärmt von "einem neuen Kapitel in der Geschichte des brasilianischen Golfsports", die mit dem Bau betraute nordamerikanische Firma Gil Hanse von einem "einzigartigen Ort".

Erst geschütztes Biotop, nun wertvolles Bauland: Auf dem einstigen Reservat Marapendi könnten nach den Spielen auch teure Luxusimmobilien entstehen. (Foto: Mario Tama/Getty Images)

Damit ist allerdings nicht das inzwischen umgepflügte Naturreservat Marapendi gemeint. Was in der Golfplatzwerbung ohnehin zu kurz kommt: Für Kaimane, Gürteltiere und Wasserschweine geht die Sonne in Barra nicht mehr auf. Der Biologe und Umweltaktivist Marcello Mello behauptet: "Man hält sich hier nicht lange mit der Umsiedlung dieser Tiere auf, die werden einfach erschossen."

Die Stadt bestreitet das. Joaquim Monteiro, der kommunale Chefplaner der Spiele, sagt: "Das Gebiet des Golfplatzes war ein absolut verlassenes Gelände, da war gar nichts. Jetzt wird alles schön grün." Auch wegen solcher Sätze wird die Golfkrise allmählich zu einem Symbol für alles was schiefläuft bei den Olympiavorbereitungen. Aus dem Rathaus heißt es beharrlich, die Spiele müssten der Stadt dienen. Mehr und mehr Bürger haben das Gefühl, in Wahrheit läuft es umgekehrt.

Marcello Mello hat eine Protestgruppe gegründet, die parallel zu "Ocupa Golfe" operiert und "Golfe para Quem?" heißt - Golf für wen? Natürlich hat er auch eine Antwort parat: für niemanden. Mello sagt: "Aus meiner Sicht ist dieser Golfplatz gar nicht für die Olympischen Spiele gebaut worden, sondern für die Interessen einiger privater Unternehmer, die eng mit der Lokalpolitik verbandelt sind." Es sei darum gegangen, aus einem geschützten Biotop wertvolles Bauland zu machen. Mello steht mit dieser Meinung nicht alleine da. Die Staatsanwaltschaft Rio de Janeiro ermittelt inzwischen gegen Rios Bürgermeister Eduardo Paes, sie geht einem Korruptionsverdacht nach.

In Rio gibt es bereits zwei große Golfplätze. Die Anlage des Golfclubs Itanhangá beispielsweise, die laut "Golf Digest" zu den hundert besten außerhalb der USA zählt. Sie liegt etwa zwanzig Autominuten vom künftigen olympischen Dorf entfernt. Trotzdem hat die Stadt Rio offenbar nie ernsthaft in Erwägung gezogen, Itanhangá für den olympischen Wettbewerb zu nutzen. Es musste unbedingt in Barra de Tijuca ein neues Grün entstehen. Dort, wo ohnehin die meisten olympischen Wettbewerbe stattfinden. Das wundert nicht nur die organisierten Olympiagegner.

Es wundert aber ein bisschen weniger, wenn man bedenkt, dass Barra einer der am schnellsten wachsenden Stadtteile Rios ist. Eine Art Miami Beach am Zuckerhut. Ein Traum für Grundstücks- und Immobilienspekulanten. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Zunft ist der italienischstämmige Pasquale Mauro. Er startete einst als Bananenhändler in Rio. Heute, knapp 90 Jahre alt, gehört ihm angeblich halb Barra, unter anderem der Golfplatz. Und die Spötter sagen, Mauro sei der erste Olympiasieger von 2016.

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Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun, ob Bürgermeister Paes daran beteiligt war, dass das ehemalige Naturschutzgebiet Marapendi verfassungswidrig in Baugelände umgewandelt wurde, und ob es Mauro zum Discountpreis überschrieben wurde. Der Unternehmer hat angeblich 60 Millionen Reais investiert, rund 20 Millionen Euro. Als Bauland dürfte das knapp 100 Hektar große Gelände, auf dem auch Luxuswohnungen entstehen sollen, aber ein Vielfaches davon wert sein. Mauro wird vorgeworfen, im Gegenzug den Wahlkampf von Bürgermeister Paes finanziert haben.

Der Biologe Mello meint: "Wir haben es hier mit zwei offensichtlichen Verbrechen zu tun, mit einem an der Umwelt und einem am Steuerzahler." Er spricht von "mafiösen Strukturen."

Eduardo Paes hat sich dieser Tage öffentlich so verteidigt: Es gebe nun mal einige Dinge, die man tun müsse, wenn man Olympische Spiele ausrichten wolle. Und neuerdings gehöre eben auch der Bau eines Golfplatzes dazu. Dass Golf in Brasilien nicht einmal eine Randsportart ist, das sieht auch der Bürgermeister ein. Gerade deshalb befürwortet er ja den Deal, den er als "Public Private Partnership" bezeichnet. Immerhin müsse auf diese Weise kein öffentliches Geld verwendet werden, um den Rasen zu pflegen.

Wasser wird allerdings verwendet - und das ist auch ein knappes Gut in Rio. Die Stadt erlebt gerade eine der gravierendsten Trockenperioden seit Jahren. Anwohner angrenzender Bezirke beschweren sich, dass bei ihnen stundenlang nichts aus dem Hahn kommt. Ihr Wasser liefern Tanklaster an. Der Golfrasen aber ist besonders durstig. Die Aktivisten von Ocupa Golfe behaupten, dass dort täglich etwa 1,5 Millionen Liter versprenkelt werden. An der Avenida des las Américas haben sie auch ein Banner aufgehängt mit der Aufschrift: "Es gibt Wasser für Golf, aber nicht für die Bevölkerung." An der Stelle wird besonders oft gehupt.

© SZ vom 05.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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