Kohei Uchimura im Turnen:Der Größte seines Sports verabschiedet sich leise

Lesezeit: 3 min

Zur Tür hinaus: Kohei Uchimura ist bei den Olympischen Spielen in Tokio überraschend bereits in der Qualifikation gescheitert. (Foto: Kohei Maruyama/Aflosport/imago)

Kohei Uchimura verpasst bei den Olympischen Spielen in seiner Heimat die Reckstange wegen eines einfachen Fehlers - und damit sein lange geplantes Karriere-Finale.

Von Volker Kreisl, Tokio

Das Ende erfolgreicher Sport-Karrieren wird meist sorgfältig inszeniert. Nach Jahren der Siege muss ein ordentlicher Tusch her, eine dramatische letzte Show, ein Feuerwerk. Champions verabschieden sich vom Publikum im besten Fall mit einem Olympiasieg wie der deutsche Turner Fabian Hambüchen, in anderen Sportarten mindestens mit einem Blumenstrauß vom Sportdirektor, überreicht im Rampenlicht. Kohei Uchimura ist einfach nur aus der Halle gegangen, dabei ist er der bislang größte Athlet seines Sports, des Turnens.

Uchimura konnte eigentlich alles, keines der sechs Geräte hatte ihm solche Schwierigkeiten bereitet, dass er es fürchten hätte müssen, wie viele seiner Mehrkampfgegner. Besonders stark war er aber am Reck. Wie viele große Turner liebte auch Uchimura es, zu rotieren, zu schwingen, zu fliegen, sich zu überschlagen und am Ende die Stange zu fangen. Am Samstag, in der Qualifikation für die Endkämpfe beim ersten Tag der Olympischen Spiele in Tokio, verlor er plötzlich den Halt bei einem relativ leichten Element, einer Art Pirouette, die er bei einem Element namens Stalder-Rybalko auf der Stange vorführt. Bei dieser Drehung vergriff er sich, fasste mit links ins Leere, sackte ab, rutschte auch mit der Rechten ab und lag unten.

Niederlage der deutschen Handballer
:"Jetzt kommen sie vor Lachen nicht in den Schlaf"

Die deutschen Handballer verlieren ihr Auftaktmatch gegen Spanien knapp mit 27:28 und fühlen sich danach ungerecht behandelt - von den Schiedsrichtern und den Gegnern.

Von Saskia Aleythe

Uchimura bestach wegen seiner Eleganz, seiner Beweglichkeit und seiner Leichtigkeit

Eine kurze Unaufmerksamkeit vielleicht nur, bitterer, weil banaler kann man kaum eine solche Laufbahn beenden, wenn es denn wirklich bei diesem angekündigten Vorsatz bleibt. Von großen, größten und allergrößten Sportlern sollte man eigentlich nicht reden, weil die Zeiten ja nicht vergleichbar sind, zudem in einem Sport wie dem Turnen, in dem gerade die Besten wegen Brüchen und Bänderrissen lange ausfallen und Erfolge verpassen. Uchimura jedenfalls dürfte lange nicht eingeholt werden, weil er eben stets beides war, ein vielseitiger aber auch spezialisierter Top-Turner. Sechs Mehrkampf-Siege hatte er bei Weltmeisterschaften geholt, zweimal war er bei Olympia der Beste an allen Geräten. 19 WM-Medaillen sind es und sieben olympische, alles querbeet - an Barren, Boden, Reck, Mehrkampf und mit der Mannschaft.

So glänzend Uchimuras Medaillensammlung ist, so unauffällig wirkte Uchimura all die Jahre beim Turnen. Viele seiner Sport-Gegner entladen ihre Anspannung nach einer gelungenen Übung mit einem gewaltigen Schrei oder schwingen die Fäuste Richtung Hallendecke. Die japanische Art ist das eher nicht, Uchimura lächelte eher still, wenn die Erleichterung einsetzte, zuckte sich mit dem Kopf die meistens zu langen Strähnen aus der Stirn und strahlte dazu. Entsprechend war die Art, wie er turnte. Der Athlet aus Kitakyushu im Süden des Landes bestach nicht durch Kraft und dicke Muskeln, sondern eher wegen seiner Eleganz, seiner Beweglichkeit und seiner Leichtigkeit, als gelte die Schwerkraft nicht für ihn. Still und sachlich war auch seine Reaktion auf diese wohl schwerste Niederlage: "Ich habe heute nicht gezeigt, was ich konnte", sagte er.

Die nächste Weltmeisterschaft findet in Uchimuras Heimatstadt Kitakyushu statt

32 Jahre ist Uchimura nun alt, für manchen Turner die Zeit, in der er mit sich ringt, weil er weiter siegen möchte, aber die Blessuren, Überlastungen und Schmerzen nicht mehr ohne weiteres wegstecken kann. Seit den Spielen 2016 in Rio de Janeiro hatte er immer wieder Verletzungen, etwa am Knöchel oder an der Schulter. Und für die Sicherheit im Vortrag war es nun sicherlich auch nicht förderlich, dass er mit dieser einen, mutmaßlich letzten großen Flugshow in der Heimat die Karriere beenden wollte.

Schon beim Einturnen war Uchimura gestrauchelt, konnte sich nach einem Doppelsalto mit zweifacher Drehung über die Reckstange nicht halten und fiel hinunter. Schon da war es in der Halle still, noch stiller als ohnehin schon bei Pandemie-Olympia ohne Fans. Uchimura stand auf, sparte sich eine Wiederholung des Elements, ging direkt in den Wettkampf und kassierte seine vielleicht bitterste Niederlage.

Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht, dass er doch noch weitermacht. Schließlich findet ausgerechnet in seiner Heimatstadt Kitakyushu die nächste Weltmeisterschaft statt, wohin sie von Kopenhagen aus verlegt wurde. Kohei Uchimura weiß es wohl noch nicht, ob es doch weitergehen soll mit dem Turnen, und wie. Er sagte am Samstag nur, ehe er einfach zur Tür hinausging: "Lasst mich drüber nachdenken."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Olympisches Radrennen
:Abgekämpft am Absperrgitter

Kurzer Nachtschlaf und stundenlange Ungewissheit beeinträchtigen die deutschen Rad-Profis: Maximilian Schachmann wird Zehnter - und Simon Geschke muss weiter isoliert im Corona-Hotel ausharren.

Von Claudio Catuogno

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: