Olympia:Kerber übersteht sogar rutschende Klodeckel

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Steht bei Olympia erstmals im Halbfinale: Angelique Kerber (Foto: Charles Krupa/AP)

Als erste deutsche Tennisspielerin seit 24 Jahren steht sie im Halbfinale von Olympia. Angelique Kerber hat sich mit den Umständen in Rio arrangiert.

Von Matthias Schmid

Ganz am Ende erlaubte sich Angelque Kerber dann noch eine klitzekleine Extravaganz. Sie besorgte sich einfach einen vierten Ball. Sie kritzelte ihren Namen drauf und warf ihn mit der Hand einem Mann zu, der sich eine schwarz-rot-goldene Fahne umgebunden hatte. Eigentlich hätte die 28-Jährige auch den letzten von vier Bällen auf die Tribüne mit ihrem Schläger spielen sollen, weit und hoch. So sah es zumindest das streng durchdesignte Programm des Veranstalters vor.

Doch Kerber, die beste deutsche Tennisspielerin, scherte sich in diesem Moment nicht um irgendwelche feste Abläufe, sie wollte sich viel lieber mit ihrer etwas eigensinnigen Aktion einfach bei den deutschen Fans bedanken, die sie so wunderbar unterstützt hatten im Viertelfinale des olympischen Tennisturniers. Mit einem mühelosen 6:1,6:2-Sieg über die überforderte Britin Johanna Konta spielt die 28-Jährige nun am Freitag im Halbfinale gegen die Amerikaner Madison Keys um ihre erste Medaille bei den Sommerspielen - als erste deutsche Spielerin seit 24 Jahren. Damals in Barcelona gelang Steffi Graf als letzte der Finaleinzug.

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Die 22-malige Grand-Slam-Siegerin und Kerber sind sich ja freundschaftlich zugetan. Graf ist so etwas wie der Supervisor der Australian-Open-Siegerin, manchmal empfangen Graf und ihr Ehemann Andre Agassi sie in Las Vegas, um ihr Spiel zu vitalisieren und sie vor allem mental für die bevorstehenden Aufgaben zu präparieren. "Steffi hat meine Zweifel zerstreut", hat Kerber einmal gesagt. Sie schicken sich seit der ersten Begegnung regelmäßig Kurzmitteilungen aufs Mobiltelefon.

Graf hält sich in Rio auf

So auch in Rio de Janeiro, als Graf ankam. "Ich habe ihr kurz getextet, dass ich vor Ort bin", erzählt Graf. Ob sie sich schon getroffen haben, ist nicht überliefert. Ins Training wolle sie sich allerdings nicht einmischen, fügte Graf hinzu, "ich helfe von der Seitenlinie aus. Ich drücke die Daumen."

Graf traut Kerber jedenfalls zu, dass sie "für die deutsche Mannschaft eine Medaille mit nach Hause bringt. Sie hat ein tolles Jahr hingelegt." Womöglich ist nach der überraschenden Niederlage der Weltranglistenerste Serena Williams sogar der Olympiasieg drin. "Es ist noch ein weiter Weg. Ich will nicht drüber nachdenken, denn ich weiß, was Druck mit mir machen kann", sagte Kerber. Im anderen Halbfinale stehen sich die zweifache Wimbledonsiegerin Petra Kvitova und Monica Puig gegenüber, die Laura Siegemund in zwei Sätzen besiegte.

Nach einem etwas holprigen Start ins Turnier, als sie gegen die Kolumbianerin Mariana Duque-Mariño einen Satz abgeben musste, tritt Kerber nun sehr viel entschlossener auf, fokussierter. Sie lässt sich auch nicht von Sonne, Wind und anderen Widrigkeiten wie rutschende Toilettendeckel im olympischen Dorf durcheinanderbringen. Das Provisorische in Brasilien war ihr in den ersten Tagen etwas fremd. Einmal musste während eines Spiels ein Ballwechsel abgebrochen werden, weil ein eifriger Securitymitarbeiter einfach über den Platz spaziert war.

"Am Anfang war es noch ein bisschen chaotisch", gibt sie zu. Sie hätte das gleiche über ihr Spiel sagen können. Doch nach dem mühevollen Sieg gegen Duque-Mariño folgten klare Zweisatzsiege gegen Spielerinnen, die nicht unbedingt zu ihren Lieblingsgegnerinnen zählen wie zum Beispiel Eugenie Bouchard und Samantha Stosur.

Doch sie spielte mutig, selbstsicher, druckvoll, sie stand auch gegen Konta nah an der Grundlinie und nahm die Bälle früh oder streute hin und wieder einen gefühlvollen Stoppball ein, ansatzlos. Vor vier Jahren in London schied sie im Viertelfinale aus. Damals war sie noch eine andere Spielerin, eine mit Selbstzweifeln und ohne dieses Urvertrauen in die eigene Stärke, die sie nun seit ihrem Triumph in Melbourne im Januar dieses Jahres begleiten. "Ich habe den Ball gespürt", hatte Kerber schon vor dem Viertelfinale gegen Konta gesagt. Sie dominierte die Partie gegen die Britin nach Belieben.

Kerber genießt ihre neue Bekannheit im Olympischen Dorf

28 Jahre liegt der letzte Sieg einer deutschen Spielerin bei Olymplia zurück, Steffi gewann damals in Seoul die Goldmedaille. Zumindest die deutschen Fans sind voller Hoffnung, dass es Kerber ihr gleichtun kann. Gegen Konta hielten sie Transparente ("Go for Gold, Angie") hoch und feierte sie mit ihrem Namen. Ihre neue Bekanntheit scheint Angelique Kerber inzwischen auch genießen zu können, sie teilt im Olympischen Dorf ein Apartment mit Andrea Petkovic und geht gerne in der Mensa essen.

"Mittlerweile kommen andere Sportler zu mir und wollen Selfies. Das war vor vier Jahren in London noch nicht so", staunt Kerber selbst. Sollte sie auch noch das Halbfinale gewinnen und ins Endspiel einziehen, dürfte der Andrang noch zunehmen. Angelique Kerber wird darauf bestimmt vorbereitet sein und wieder einen Weg finden, um sich bei den deutschen Fans zu bedanken.

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