Olympia:Issinbajewa reißt den Graben auf

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"Wenn sie ohne Issinbajewa springen", sagt die ausgeschlossene Issinbajewa über den Stabhochsprung-Wettbewerb, "kann es keine richtige Goldmedaille geben." (Foto: Gregory Bull/AP)

Nach ihrem Rücktritt vom Stabhochsprung wälzt die frisch in die Athletenkommission Gewählte ihren Frust auf ehemalige Konkurrentinnen ab - und verletzt sie mit ihren Kommentaren.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Der Ehemann gratulierte als Erster. Mitchell Krier hatte von der Tribüne aus bezeugt, wie seine Frau Ekaterini Stefanidi, 26, aus Griechenland gerade das Stabhochsprung-Finale von Rio gewonnen hatte. Die beiden trennten jetzt allerdings noch zwei Meter an Höhendifferenz, zwischen dem rutschigen Podest, auf dem Stefanidi wartete, und dem ersten Rang, auf dem ihr Mann ausharrte. Krier hüpfte in die Tiefe. "Er hätte sich fast umgebracht", sagte Stefanidi später, sie nahm ihn dann aber unverletzt in Empfang. "Er hat in all den Jahren stärker an mich geglaubt als ich selbst", sagte sie; Krier ist nicht nur ihr Ehemann, sondern auch ihr Trainer. Und wer seine Athletin in 4,85 Meter Höhe und einen Olympiasieg treibt, lässt sich am Ende nicht von zwei Metern Sinkflug stoppen.

Es war ein unterhaltsames Finale, das die Frauen in der Nacht zum Samstag im Olympiastadion aufführten. Stefanidi und die Amerikanerin Sandi Morris, 24, hoben sich als Einzige über 4,85 Meter, aber die Griechin führte, sie hatte zuvor weniger Fehlversuche gesammelt. Die 4,90 Meter schaffte sie nicht mehr. Morris stand noch ein Versuch zu, mit dem sie Stefanidi den Olympiasieg entreißen konnte. Sie schien sich bereits über die Latte gewunden zu haben, "ich dachte für einen Bruchteil in der Luft, dass ich Olympiasiegerin bin", sagte sie später. Dann plumpste die Latte doch herunter. "Ich war kurz enttäuscht", sagte Morris, "dann hätte ich mich für diesen Gedanken fast selbst geohrfeigt. Wie könnte ich bloß unzufrieden sein mit einer Olympiamedaille?"

Issinbajewa erklärte, keine Stabhochspringerin mehr zu sein

Nach dem Wettkampf traf man drei Athletinnen an, die vor Freude glühten: Stefanidi, Morris und die 19 Jahre alte Eliza McCartney. Die Neuseeländerin hatte sich mit 4,80 Metern überraschend auf den Bronzerang geschoben. "Dieses Jahr war der Stabhochsprung der Frauen einer der härtesten Wettbewerbe", sagte Stefanidi. "Ich kann nicht behaupten, dass ich das erwartet habe", sagte McCartney, mit Unglauben in der Stimme. Und als Morris darauf angesprochen wurde, was es ihr bedeute, die neue Generation zu verkörpern, sagte sie: "Es ist schön, in die Fußstapfen der anderen zu treten": Sie nannte Jenny Suhr, die amerikanische Rekordhalterin, in Rio auf Rang sieben gestrandet.

Und Jelena Issinbajewa, klar.

Issinbajewa, 34, hatte am Vormittag verkündet, dass sie ab sofort keine Stabhochspringerin mehr sein werde. Die Sportler hatten sie am Vortag in die Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt, das Stabhochsprungfinale von Rio war also auch eine Schlüsselübergabe an die Neuen. Was Issinbajewa, freundlich formuliert, überhaupt nicht passte. Die Russin hat zwei Olympiasiege, drei WM-Titel und diverse Weltrekorde in die Sportgeschichtsbücher geschrieben, in Rio wollte sie ihre Karriere eigentlich veredeln, nach einer Babypause. Ermittler und Kommissionen hoben zuletzt allerdings ein gigantisches Betrugsnest im russischen Sportreich, das bis in die Politik reichte. Das IOC gestattete es den Fachverbänden trotzdem, russische Sportler nach Rio zu schleusen, knapp 280 wurden es am Ende. Allein die Gewichtheber und Leichtathleten verhängten Kollektivsperren. Dass Issinbajewa sich in Rio trotzdem zur Wahl für die Athletenkommission stellte, fand nicht nur Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, "nicht nachvollziehbar".

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Issinbajewa sah das ein wenig anders. Sie warf mit spitzen Worten nach Sebastian Coe, dem Präsidenten des Weltverbands IAAF. Gott werde sein Richter sein, "Gott wird es richtigstellen!", rief sie. Dann hatte die neue Athletensprecherin noch eine Botschaft für die Stabhochspringerinnen, die sich auf das Finale am Abend vorbereiteten. Die Medaillen seien entwertet, fand sie. "Wenn sie ohne Issinbajewa springen", sagte Issinbajewa, "kann es keine richtige Goldmedaille geben."

Die Goldgewinnerin gab sich später diplomatisch. "Ich denke, jeder Athlet in dem Feld hätte gewollt, dass sie teilgenommen hätte. Wir alle hätten gerne die Chance gehabt, sie zu schlagen. Es ist hart, aber so sind die Regeln." Morris wurde deutlicher. Sie könne verstehen, dass Issinbajewa viel Frust mit sich herumtrage, sagte sie. "Aber ihre Kommentare tun weh und sind respektlos gegenüber denjenigen, die heute Abend da draußen waren." Man habe eine tolle Show geboten und sei hoch gesprungen. "An ihrer Stelle hätte ich im Publikum gestanden und uns angefeuert", so Morris. Die Deutsche Lisa Ryzih assistierte: "Ich finde, als Sportlerin mit solchen Weltrekorden und vielen Titeln so etwas zu sagen, das sollte sie nicht tun." Ryzih hatte den Wettkampf als Zehnte beendet (4,50), einen Platz hinter Martina Strutz (4,60).

Stefanidi wurde später noch gefragt, ob man nicht auch an Issinbajewas Taten zweifeln müsse, das war ja die Botschaft des IAAF gewesen: Das System sei zumindest in der Leichtathletik so verseucht gewesen, dass man keinem Athleten aus Russland wirklich trauen könne. "Ich denke, dass es möglich ist, dass sie diese Rekorde sauber geschafft hat", sagte Stefanidi. "Sie war eine großartige Athletin, und ich hoffe, dass sie eine genauso großartige Athletensprecherin wird." Diese These hatte Issinbajewa zuvor freilich selbst entkräftet, mit ihrem Frust, "den sie auf die Athleten abwälzte", wie Morris befand.

Issinbajewa war schon vor drei Jahren, bei der WM in Moskau, mit homophoben Aussagen auffällig geworden. Zuletzt behauptete sie, dass der Bericht des Kanadiers Richard McLaren, auf den der IAAF ihren Kollektivbann gestützt hatte, "keine Beweise, keine Belege" enthalte. Vermutlich sei sowieso alles vom Westen lanciert, sagte sie. Russlands Staatschef Wladimir Putin hätte es nicht besser formulieren können, die beiden sind gut vernetzt. Man muss nicht über hellseherische Gaben verfügen, um zu ahnen, wie Issinbajewa demnächst ihre Rolle interpretieren wird. Jetzt, da in diesen Tagen ein tiefer Graben zwischen IOC und IAAF aufreißt.

"Vielleicht wurde manches falsch übersetzt", sagte Sandi Morris am Freitag über Issinbajewas jüngste Bemerkungen in Rio. Sie klang nicht so, als sei sie von ihren Worten überzeugt.

© SZ vom 21.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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