Russland und Olympia:Bach holt Issinbajewa und Heidemann in sein Reich

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Zwei Neue für Tommy: Die Russin Jelena Issinbajewa plaudert nach ihrer Wahl mit der Deutschen Britta Heidemann, die ebenfalls ins IOC einrückt. (Foto: Lukas Schulze/dpa)

Die gesperrte Russin überrascht in Rio mit ihrem Rücktritt vom Stabhochsprung. Sie will nun beim IOC Karriere machen - gemeinsam mit Britta Heidemann.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Es gibt doch einen großen Olympiasieg für Russlands Leichtathletik, er weist markant in die Zukunft. Jelena Issinbajewa, die am Freitag ihren Rücktritt vom Leistungssport erklärt hat, rückt am Sonntag als Athletenvertreterin ins Internationale Olympische Komitee (IOC); jene Stabhochspringerin, die in Rio unter die Kollektiv-Verbannung wegen des Staatsdopings in ihrer Heimat gefallen war. Trotzdem saß sie eine Woche im Olympiadorf und durfte Wahlkampf treiben; gewählt wurde ein Quartett, das erstaunlich genau die Ausrichtung der Bewegung wiedergibt.

Neben der Russin rücken ein koreanischer Tischtenniscrack (Seung-min Ryu) und ein ungarischer Schwimmer (Daniel Gyurta) in den Ringe-Clan, dazu - das hat seit Präsident Thomas Bach große Tradition - eine deutsche Fechterin. Britta Heidemann erhielt sogar die meisten Voten, wiewohl sie bislang kein Profil als klare Stimme der Athleten hat. Sie ersetzt die Fechterin Claudia Bokel, die nach allem, was ihrem Umfeld und dem wortlosen Abschied zu entnehmen ist, stark bis sehr stark ernüchtert aus dem IOC scheidet.

Issinbajewa ist die neue, alle überstrahlende Persönlichkeit. Klare Rede pflegt sie auch - für sich und für die russische Sache. Sie war die schärfste Kritikerin des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, der den Russland-Bann verfügt hatte; Issinbajewa beklagte "die Beerdigung der Leichtathletik" und richtete IAAF-Boss Sebastian Coe am Freitag nochmals aus: "Gott wird der Richter sein!" Coe wird mit ihrer Benennung noch heftiger in Konflikt mit dem IOC geraten. Das befürchtet auch der deutsche Leichtathletik-Chef Clemens Prokop mit Blick auf die tektonischen Verschiebungen im Weltsport.

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Der Ticket-Skandal um einen der einflussreichsten Männer im Internationalen Olympischen Komitee ist typisch für die Branche. Der hohe ethische Anspruch fällt in sich zusammen.

Kommentar von Thomas Kistner

Wie Coe sieht Prokop das IOC-Image stark angeknockt. "Für mich ist Issinbajewas Wahl in die IOC-Athletenkommision nicht nachvollziehbar", sagte er der SZ: "Eine Sportlerin, die in Rio nicht starten darf, soll olympische Athleten repräsentieren - das widerspricht sich im Ansatz." Für den Direktor des Regensburger Amtsgerichts steckt "das IOC in einer Glaubwürdigkeitskrise nie da gewesenen Ausmaßes, beginnend mit Russland, fortgesetzt mit schweren Korruptionsvorwürfen - und jetzt Issinbajewa. Gemessen an den eigenen ethischen Ansprüchen passt das nicht zusammen."

Den IOC-Chef Bach sieht der deutsche Jurist im Zentrum des Bebens. "Wann immer ich in Rio mit Sportlern über das IOC sprach, und das habe ich querbeet durch andere Länder getan, war das Gefühl ganz eindeutig, dass die Person Bach auch hier einen schweren Imageschaden genommen hat." Eine Athletin habe formuliert, sie fühlte sich im Stich gelassen: "Das ist eine neue Komponente."

Die Sportwelt ist heillos zerstritten seit Rio - und Bach alles andere als der geeignete Krisenmanager: Auf seine Nähe zu Moskau sprachen ihn schon russische Journalisten an. In Issinbajewa nimmt das IOC nun eine weitere Kraft aus Wladimir Putins Sportreich auf. Neben der Springerin, die ihren speziellen Kampf für die angeblich saubere Heimat fortsetzen will, sind da Alexander Schukow, Boss des russischen Olympiakomitees, das nie etwas mitgekriegt haben will vom Staatsdoping, und Schamil Tarpischew. Eine schillernde Figur auch aus Sicht amerikanischer Sicherheitsbehörden, die dem einstigen Tenniscoach Boris Jelzins und späteren Milliardär wiederholt die Einreise verweigerte.

Wer so gut aufgestellt ist im Olymp, braucht weder Zukunftsängste zu haben, noch Reue für vergangene Schandtaten zu zeigen - zum Beispiel für die nach Aktenlage weitflächig dopingverseuchten Winterspiele 2014 in Sotschi. Nach Rio, wenn der vollständige Bericht von Richard McLaren vorliegt, dem Sonderermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), wird es ans Umverteilen auch der Sotschi-Medaillen gehen.

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Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Das stellt schon eine gute olympische Tradition dar: Wer heute als Vierter, Fünfter oder Sechster traurig abreist, darf die große Hoffnung hegen, dass ihm doch noch eine Plakette zufällt. Auf dem unspektakulären Postweg, Jahre später, so sieht der moderne Olympiasieger aus.

Die Bewerbungsfrist für die Wahl hatte Issinbajewa um einen Monat verpasst

Die gewaltige Rückendeckung aus dem Olymp hilft zu erklären, warum sich die Russen auch in Rio nie unterkriegen ließen. Nicht im Kalten Krieg im Schwimmstadion, wo sie von Amerikanern, Australiern und anderen geschmäht wurden; nicht in der Heimat, wo sich die Wagenburg geschlossen hat und der Eindruck vorherrscht, jeder Sieg werde noch genüsslicher gefeiert, auch als Teil berechtigter Rache. Titelzeilen wie "Issinbajewa gewinnt doch noch in Rio" zeugen von ungebrochenem Trotz. Stilbildend wirkt die Melodramatik des Ringer-Olympiasiegers Roman Wlasow: "Wir haben gekämpft für Issinbajewas Tränen."

Beste Drähte zu Putin bringt Issinbajewa mit, die 2014 in Sotschi sogar als Bürgermeisterin des Olympiadorfes wirken durfte. Und damals allerlei internationale Kritik an ihren homophoben Aussagen wegstecken musste. Ob es unter olympischen Athleten eine Menge solcher Vorbehalte gibt, wenn man so eine Protagonistin wählt? Vielleicht haben die Wähler von Moldau bis Kiribati gar nicht so viel Ahnung, wer da alles für sie kandidiert.

Dass Issinbajewa nun auf dem Athleten-Ticket ins IOC rutscht, verdankt sie übrigens einer Sondergenehmigung des Ringe-Konzerns. Denn die Anmeldefrist im Herbst 2015 hatte sie um einen Monat verpasst. Aber das IOC hilft seinen Athleten, wo es kann.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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