Impfungen von Spitzenathleten:Höher, weiter, immuner?

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"Sehr starke" Nebenwirkungen nach der zweiten Impfung: Siebenkämpferin Carolin Schäfer hatte sich ihre Vorbereitung auf die Olympischen Spiele anders vorgestellt. (Foto: Norbert Schmidt/Imago)

Gefährden Corona-Impfungen die Chancen von Sportlern, die sich auf die Olympischen Spiele vorbereiten? Die Antwort dürfte viele Hochleistungsathleten nicht nur beruhigen.

Von Johannes Knuth, München

Auf dem jüngsten Foto, das die Siebenkämpferin Carolin Schäfer in die sozialen Netzwerke einspeiste, trug sie schon wieder ein Lächeln im Gesicht. Das Leben habe Höhen und Tiefen, schrieb die 30-Jährige, sie werde schon wieder aufstehen, wie immer. Eine nette Botschaft, aber nicht unbedingt das, was eine Athletin jetzt in die Welt setzen will: rund eineinhalb Monate vor ihrem wichtigsten Wettkampf in den vergangenen fünf Jahren.

Die 30-Jährige hatte ein wenig Aufregung entfacht, als sie vor zwei Wochen ihren Start beim Mehrkampfmeeting in Götzis stornierte. Die zweite Impfung gegen das Coronavirus, die sie rund vier Wochen zuvor erhalten hatte, wirke sich "sehr stark" auf ihr Training aus, richtete sie damals aus. Das klang besorgniserregend: Jedes Training eines Profisportlers dient einem größeren, fein verzahnten Plan, ein einwöchiger Stillstand kann die Arbeit von Monaten zerstören. Schäfer hatte sich im vergangenen Winter deshalb so gut es ging isoliert, bloß keine Infektion riskieren. Die 30-Jährige war 2017 WM-Zweite, 2018 EM-Dritte, die Spiele, die Ende Juli in Tokio beginnen sollen, sind wohl ihre letzte Chance, noch eine Olympiamedaille zu gewinnen. Als sie im April geimpft wurde, sagte sie, habe sie sich gefühlt, als bekäme sie "Gold gespritzt".

Gefährden Corona-Impfungen die Chancen von Olympia-Athleten? Die Antwort ist wohl nicht ganz so dramatisch, wie manche vermuten. Es ist allerdings auch keine Antwort, die Hochleistungsathleten unbedingt beruhigen dürfte.

Manche Länder impften ihre Athleten bereits im Januar, in Deutschland kommen viele Sportler seit Anfang Mai dran

Das Internationale Olympische Komitee hat zuletzt immer wieder beteuert, man werde die Spiele so sicher machen, dass auch ungeimpfte Athleten teilnehmen könnten, bedenkenlos. Gleichzeitig empfahl es seinen nationalen Olympiakomitees, diese sollten sich für ihre Athleten auch um Vakzine bemühen, sicher ist sicher. Manche Länder, wie Litauen, impften ihre Athleten bereits ab Januar, in anderen Ländern liefen die Kampagnen zäher an, in Deutschland sowieso. Viele Athleten wollten sich dabei nicht in der offiziellen Schlange vordrängeln, wer durfte, schaffte sich aber seinen Zugang: Hindernisläuferin Gesa Krause etwa in den USA, als sie dort im Trainingslager weilte, Carolin Schäfer über die hessische Polizei, ihren Arbeitgeber. Seit Anfang Mai hat der DOSB selbst ein Programm aufgespielt, mit Vakzinen des Anbieters Johnson & Johnson, und während viele Athleten von wenigen bis keinen Störfällen berichten, liegen von anderen durchaus bedenkliche Berichte vor.

Schäfers Trainer hatten in Götzis versichert, dass es ihr von Tag zu Tag besser gehe, die Athletin selbst will dem auf Anfrage nichts hinzufügen. Zehnkämpfer Kai Kazmirek klagte zuletzt, die Impfung habe sein Training drei Wochen lang beeinflusst, mit Gliederschmerzen etwa; in Götzis verpasste er die Olympianorm und muss, wie Schäfer, in der kommenden Woche in Ratingen noch mal seine Form nachweisen. Langstreckenläufer Marcel Fehr sagte seinen Start bei der Team-EM ab, weil er zwei Wochen lang unter Muskelkrämpfen litt. Marco Koch, der einstige Schwimm-Weltmeister, verpasste die nationalen Titelkämpfe, weil er sich eine Woche nach der Impfgabe "nicht ganz auf der Höhe" fühlte. Robert Farken, der jüngst bei den deutschen Meisterschaften über 1500 Meter zur Olympianorm stürmte, hatte seine zweite Impfung extra in die Woche danach gelegt: Ein, zwei Tage Pause könne er sich einräumen, sagte er, dann wolle er sich im Höhentrainingslager aber schon wieder in die Vorbereitung stürzen. Ein sportlicher Plan, vor allem nach der zweiten Impfung, die offenbar stärkere Nebenwirkungen hervorrufen kann, je nach Anbieter.

Leistungseinbußen über mehrere Wochen? Das ist ungewöhnlich, sagen Experten

Das grundsätzliche Problem sei, sagt der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon, dass Corona eine Viruserkrankung ist, die sehr schwere Verläufe provozieren könne. Die korrespondierende Impfung, die immer auch eine kleine, künstlich herbeigeführte Infektion bzw. Immunreaktion ist, um die gewünschten Antikörper zu bilden, könne also auch härter ausfallen. Sie verursache schon mal mehr Schmerzen im Arm, lasse Menschen abgeschlagener sein oder die Muskeln schneller verkrampfen, manchmal sogar über Wochen. Hochleistungskörper, die jeden Funken Schubkraft benötigen, können das im Zweifel natürlich schneller spüren, wie auch im Zweifel die Leistungseinbußen.

Die Faktenlage, was ein Corona-Vakzin mit Profiathleten anstellt, ist dabei immer noch dünn, erst wenige junge Sportler sind schon vollständig geimpft. Simon hat am Mainzer Institut für Sportwissenschaft unter etwa 20 jungen Sportlern gerade zwei Fälle beobachtet, die nach der zweiten Impfung unter Fieber und starker Abgeschlagenheit litten; selbst zwei, drei Wochen nach der zweiten Impfung war ihre Grundlagenausdauer um bis zu 20 Prozent beeinträchtigt. Die Befunde, betont Simon, seien aber eher zufällig und keinesfalls repräsentativ, es gebe nur wenige Sportler, die dicht genug vor der Impfung bereits eine Leistungsdiagnostik durchlaufen hatten. Der 48-Jährige sagt aber auch: "Für eine Impfung sind Leistungseinbußen über mehr als ein paar Tage ungewöhnlich." Da ist es keine abwegige These, dass sich im Medaillenspiegel in Tokio auch widerspiegeln könnte, wer seine Athleten am frühesten mit Vakzinen versorgt hat.

Höher, weiter, immuner?

Für manche Profisportler könnte das noch eine bittere Pointe bereithalten: Weniger die Impfung wäre demnach problematisch, sondern der Zeitpunkt. Im Winter hätte es zweifellos großen Sinn ergeben, die Olympiakandidaten zu immunisieren, da zirkulierte das Virus, nicht nur die Hallen-EM in Torun im Februar entpuppte sich im Nachgang als Corona-Drehscheibe. Auch mögliche Nebenwirkungen hätten nicht in die unmittelbare Vorbereitung hineingefunkt. Im Sommer, sagt Perikles Simon, sei es natürlich wichtig, die allgemeine Bevölkerung weiter zu impfen, ein Aspekt komme dabei aber zu kurz: "Die allermeisten Hochleistungssportler könnten sich in der Vorbereitungsphase nicht mehr infizieren", zumal bei immer stärker sinkenden Inzidenzen. Allgemein werde auch "zu wenig beachtet, dass viele junge fitte Menschen dieses Virus bereits auf der Schleimhaut abwehren". Für einen Olympiafahrer, der sich erst jetzt impfen lässt, könnte eine Immunisierung mit Nebenwirkungen also - im Einzelfall - tatsächlich mehr Schaden als Nutzen anrichten. Zumindest mit Blick auf seine Pläne in diesem Sommer.

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