Olympia:Gegen den gesunden Menschenverstand

Lesezeit: 2 min

Verwirrt und verärgert: Die Russin Julia Jefimowa darf wegen einer bereits verbüßten Dopingstrafe nicht zu den Olympischen Spielen. (Foto: Annegret Hilse/imago)

Welche russischen Athleten dürfen nach Rio? Diese Frage sorgt weiter für Chaos.

Von Claudio Catuogno

Am Mittwoch hat die Washington Post das allgemeine Durcheinander um die Zulassung russischer Athleten zu den Olympischen Spielen von Rio um einen Vorschlag erweitert: Die Toiletten im Olympischen Dorf, bei denen, wenn jemand spült, in der darunter liegenden Wohnung das Wasser durch die Wand tropft - sie wären das perfekte neue Logo für das Internationale Olympische Komitee (IOC). "Man sieht das schäbige Innenleben und den abblätternden Putz dieser welken, korrupten Organisation." Das ist allerdings der Blick der westlichen Welt auf den von Thomas Bach gelenkten Olympia-Konzern, der selbst das perfideste Staatsdoping-System nicht so schlimm findet, als dass es einen Komplett-Ausschluss Russlands von den Spielen rechtfertigen würde.

In Russland sieht man die Affäre ganz anders. Dort verabschiedete am Mittwoch Präsident Wladimir Putin das russische Olympia-Team, es waren auch Athleten in den Kreml geladen, die von den internationalen Fachverbänden nun gesperrt wurden entsprechend der Vorgaben des IOC. "Ein Schlag für den Weltsport und die olympische Idee", nannte Putin diese einzelnen Sperren, sie basierten auf unbewiesenen Anschuldigungen und seien "unvereinbar mit dem Sport und mit elementaren Normen des Rechts". Außerdem verstoße die Situation "gegen den gesunden Menschenverstand". Das tut sie tatsächlich in vielerlei Hinsicht. Ein Überblick über neue Reaktionen und weiterhin offene Fragen.

Einspruch gegen Doppelbestrafung

Besonders umstritten ist die Vorgabe des IOC an die Fachverbände, alle Russen auszuschließen, die schon mal mit Doping auffällig waren - auch wenn sie ihre Strafe verbüßt haben. Das trifft etwa Schwimm-Weltmeisterin Julia Jefimowa, die nach einer 16-monatigen Sperre wieder startberechtigt ist. Sie will gegen ihren Rio-Bann vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas ziehen. "Wir bereiten Jefimowas Klage vor, die sehr wahrscheinlich am 29. Juli verhandelt wird", sagte ihr Anwalt Artjom Patsew der Agentur Tass. Auch mehrere Ruderer wollen den Cas anrufen. Ihre Chancen dürften nicht schlecht stehen: Der Cas hatte sich bereits 2011 dem IOC widersetzt und dessen "Osaka-Regel" gekippt. Demnach darf es nach Ablauf einer Sperre keinen weiteren Olympia-Bann geben, dies sei eine unzulässige Doppelbestrafung. Und Ex-Doper aus allen anderen Ländern dürfen ja in Rio dabei sein, etwa der schon zweimal gesperrte US-Sprinter Justin Gatlin. Den Komplett-Ausschluss der russischen Leichtathleten hat der Cas kürzlich gebilligt - dass er die Ungleichbehandlung ehemaliger Dopingsünder aus Russland und allen anderen Ländern gutheißt, halten Experten für unwahrscheinlich.

Angst vor Schadenersatz-Klagen

Anstatt pauschal das russische Olympia-Komitee auszuladen, hat das IOC die 28 Fachverbände angewiesen, jeden einzelnen Olympia-Starter zu überprüfen. Nach Informationen des Guardian sollen sich die Verbände nun vor "riesigen Schadenersatzklagen" fürchten. Zumindest ein Verband überlege deshalb, die im McLaren-Report über das russische Staatsdoping erwähnten Athleten durchzuwinken - und so das IOC zu zwingen, den Ausschluss selbst zu verfügen. Hintergrund ist, dass es über die Schuldfrage der im Report erwähnten Sportler keine gerichtsfesten Erkenntnisse gebe. In dem Bericht genannt zu werden, bedeute ja nicht automatisch, eine verbotene Substanz genommen zu haben, sagte der Sportrechtsanwalt Mike Morgan der englischen Zeitung. Dies sei ein Einfallstor für Millionen-Forderungen.

Oligarch erteilt Freigabe

Derweil halten es die internationalen Verbände weiterhin ganz unterschiedlich mit der Vorgabe des IOC, russische Sportler zu überprüfen. Der Ruder-Weltverband FISA etwa hat 20 Ruderer sowie zwei Steuermänner ausgeschlossen - sie alle seien gemäß der Vorgaben des IOC nicht ausreichend von vertrauenswürdigen Anti-Doping- Einrichtungen getestet worden. Nur sechs Ruderer erhielten grünes Licht. Der Fecht-Weltverband FIE hingegen hat allen 16 qualifizierten Russen sowie vier Ersatzleuten das Startrecht erteilt. FIE-Präsident ist der russische Oligarch Alischer Usmanow. Alle Proben russischer Fechter seien zuletzt negativ gewesen, sagte er, auch die im Ausland genommenen. Dass diese wenig wert sind, wenn es Teil eines Staatsdoping-Systems ist, durch Ausreisekontrollen sicherzustellen, dass bei Wettkämpfen im Ausland alle verbotenen Substanzen rechtzeitig abgebaut sind - das ist nur eine der vielen Widersprüchlichkeiten, über die Thomas Bach so wenig redet wie Alischer Usmanow.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: