Olympia: Eishockey:Hassen, treffen, siegen

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In einem phantastischen Spiel bezwingen die USA Kanada 5:3. Dass ausgerechnet Ryan Kesler das entscheidende Tor erzielt, erzürnt die Kanadier mächtig.

Michael Neudecker, Vancouver

Mike Babcock saß da, Ron Wilson saß neben ihm. Das Scheinwerferlicht bestrahlte sie, das ist ja oft so bei Pressekonferenzen, das Podium, an dem die Hauptdarsteller sitzen, Trainer oder Spieler zumeist, werden ausgeleuchtet, als könnte man die Protagonisten bei normalem Licht nicht gut genug sehen. Mike Babcock kniff die Augen zusammen, das Licht schien ihn zu stören, er sah aus wie Bud Spencer früher, nur eindeutig dünner und weniger gut gelaunt. Ron Wilson schien das Licht dagegen überhaupt nicht zu stören, er hatte die Augen weit offen, und dann machte Ron Wilson ein paar Witze, und die Leute lachten.

Ryan Kesler (links), Schütze des entscheidendes Tores gegen Kanada. (Foto: Foto: dpa)

Ron Wilson ist der Trainer der Eishockeymannschaft der USA, Mike Babcock ist der Trainer der Kanadier, und hätte man das Spiel zuvor nicht gesehen und nun wissen wollen, wie es ausgegangen ist - man hätte nur in die Gesichter von Wilson und Babcock bei dieser Pressekonferenz blicken müssen. "Wenn du da hochschaust, und alles auf den Rängen ist rot-weiß ... ja, es war schon eine tolle Atmosphäre. Es macht mich sehr glücklich, dass wir hier gewonnen haben", sagte Ron Wilson. "Wir spielen bei diesem Turnier jetzt nur noch, um zu überleben", sagte Mike Babcock.

Kanada hatte verloren, 3:5, gegen die USA. Kanada gegen USA, ein Vorrundenspiel bei diesen Olympischen Spielen, das entscheidende um den Gruppensieg, aber das war egal. Es ging nicht um Punkte, es ging um ein Gefühl: Es ging um Stolz. Ryan Kesler, der Stürmer der USA, hatte vor der Partie in einem Interview auf die Frage geantwortet, weshalb er gegen Kanada schon öfter gut gespielt habe: "I hate them", ich hasse sie.

Der Reporter fragte nach, wie bitte? Kesler wiederholte: "I hate them." Die Rivalität sei nun mal riesig, führte er weiter aus, in Kanada ginge es nur um Gold, und sie, die USA, wollten ihnen das verderben. Ryan Kesler spielt für die Vancouver Canucks, die Canucks haben vor der Saison viel Aufwand betrieben, um ihn zu bekommen.

Es ist erstaunlich, mit wie vielen Emotionen, Erwartungen, mit wie viel Bedeutung so ein Eishockeyspiel aufgeladen werden kann.

Es hätte ein Nachmittag für die Geschichtsbücher werden sollen, einer, von dem die, die dabei waren, noch ihren Enkeln erzählen würden. Und das wurde es ja auch: 3:5 gegen die USA, es war Kanadas erste olympische Niederlage gegen den Nachbarn seit 50 Jahren. Die USA waren extra mit den Trikots jener Mannschaft von 1960 aufgelaufen, die die Kanadier schlug damals. Die Amerikaner haben ja einen Hang zur Symbolik, aber dass dann auch noch Ryan Kesler den Siegtreffer erzielte, das 5:3, mit einem Hechtsprung, mit dem er vor dem Kanadier Corey Perry an den Puck kam und ihn ins leere Tor drosch - das ging dann fast zu weit.

Keslers Tor 45 Sekunden vor Ende war der Höhepunkt eines phantastischen Eishockeyspiels, das so intensiv, so temporeich geführt wurde wie das in diesem Sport nur möglich ist. Spiele wie dieses sind selten, es sind die Spiele, in denen man manchmal vor Spannung die Luft anhält. Bis zu Keslers Tor war es eine offene Partie, die Kanadier waren ein bisschen besser, die Amerikaner aber waren effektiver. Die Kanadier schossen aus jeder Position aufs Tor, sie drängten und stürmten, und wenn dann die Amerikaner den Puck bekamen, sprinteten auch sie auf das Tor zu, als gäbe es keine neutrale Zone auf dem Spielfeld. Es waren die Amerikaner, die immer in Führung gingen, 1:0, 2:1, 3:2, 4:2. Und bei jedem Ausgleichstreffer der Kanadier explodierte die Halle, diese Kulisse aus rot-weißen Trikots, aufs neue.

Die Torhüter entscheiden

Den Unterschied machten am Ende die Torhüter, so ist das oft, wenn ein Spiel auf derart hohem Niveau geführt wird. Ryan Miller, der Torwart der USA, spielte grandios, getrieben von dem Geschehen auf dem Eis, "es war wahrscheinlich das beste Spiel, in dem ich je dabei war", sagte Miller hinterher. Martin Brodeur, Kanadas Torwart, spielte auch gut, aber er sah manchmal etwas unglücklich aus. In Spielen wie diesem reicht es schon, etwas unglücklich auszusehen, um zu verlieren.

Die USA sind nun also Gruppensieger, sie sind direkt für das Viertelfinale qualifiziert und haben erst einmal Pause. Kanada muss dagegen ein Ausscheidungsspiel bestreiten, und zwar gegen Deutschland, am Dienstag. Mike Babcock hat schon Minuten nach dem Spiel viel von Deutschland gesprochen, dass man sich jetzt darauf konzentrieren müsse, dafür arbeiten müsse und so weiter.

"Wir haben eher gedacht, dass wir eine Pause bekommen, aber das ist jetzt nicht der Fall", sagte Stürmer Jarome Iginla. "Ich sage das ungern, aber wir brauchen dieses zusätzliche Spiel vielleicht, es gibt ein paar Dinge, an denen wir noch arbeiten müssen", sagte Martin Brodeur. Kanada ist ein bisschen sauer auf sich selbst, für die Deutschen ist das keine gute Nachricht.

Und während die Kanadier da in den Katakomben standen und von Deutschland sprachen, redeten die Amerikaner noch über dieses Spiel, das ja gerade erst zu Ende gegangen war. "Ein glücklicher Tag für uns", sagte Verteidiger Brian Rafalski, "keiner geht heute Abend nach Hause", sagte Ryan Callahan. Der Stürmer Zach Parise brachte die Stimmung dann auf den Punkt: Er wurde gefragt, wie es sich anfühle, die Kanadier in deren Halle zu schlagen. "Es fühlt sich immer gut an, sie zu schlagen", sagte Parise, "egal, wo."

Im Video: Sechsmal Gold, siebenmal Silber und fünfmal Bronze bei den Winterspielen in Vancouver. Im Medaillenspiegel liegt Deutschland derzeit auf Platz zwei hinter den USA. Eine Goldmedaille kam von ihm, Bob-Pilot André Lange raste im Eiskanal von Whistler auf Platz 1.

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