Olympia:Das Unverhoffte Glück des «I-Pod»

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Krasnaja Poljana (dpa) - Nicht nur das Glücksgefühl eines Olympia-Triumphs war Iouri "I-Pod" Podladtchikov total unbekannt. Ehrfurchtsvoll legte der Schweizer Ausnahme-Snowboarder seinen Kopf an die Schulter des entthronten Halfpipe-Kings Shaun White und lauschte der Gratulation des US-Superstars.

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Krasnaja Poljana (dpa) - Nicht nur das Glücksgefühl eines Olympia-Triumphs war Iouri „I-Pod“ Podladtchikov total unbekannt. Ehrfurchtsvoll legte der Schweizer Ausnahme-Snowboarder seinen Kopf an die Schulter des entthronten Halfpipe-Kings Shaun White und lauschte der Gratulation des US-Superstars.

„Er sagte: Gratuliere. So habe ich ihn noch nie gesehen. Ich habe mich immer gewundert, wie es sich wohl anfühlt“, sagte der 25-Jährige nach dem Sieg mit seinem spektakulären „Yolo“-Flip über den nur viertplatzierten White. „Ich glaube, ich habe noch nie an einem Wettbewerb teilgenommen, den er nicht gewonnen hat.“

Anerkennend klopfte der Amerikaner dem siegreichen Podladtchikov auf die Schultern und zeigte sich trotz des verpassten Halfpipe-Hattricks und mehreren ungewohnten Unsauberkeiten keineswegs als schlechter Verlierer. „Ich denke nicht, dass die heutige Nacht über meine Karriere entscheidet“, sagte er bei der nächtlichen Pressekonferenz, das Stars-and-Stripes-Tuch immer noch um seinen Hals gebunden. „Ich snowboarde schon so lange, ich liebe es, es hat mir so viel gegeben.“

Die sportliche Story seines Bezwingers Podladtchikov lässt sich nicht losgelöst von White erzählen. Dessen Perfektion trieb „I-Pod“ an, sechsmal sah er den Amerikaner die Superpipe bei den X-Games gewinnen, wurde Vierter beim zweiten Olympiasieg Whites in Vancouver 2010. Sein eigener Weltmeistertitel vergangenes Jahr hatte für ihn durch die Abwesenheit seines größten Widersachers einen Makel: „Wenn er nicht da ist und du gewinnst, ist es komisch.“

Akribisch verfeinerte Podlatchikov seine Kunstform, kreierte einen eigenen Trick. Der „Cab Double Cork 1440“, genannt „Yolo“ (You only live once) mit vierfacher Schraube und zwei Salti. „Einst wollte ich in Davos mit dem Yolo eine Frau beeindrucken, ich wollte etwas Cooles und Verrücktes bieten“, berichtete Podladtchikov vor der Siegerehrung. „Das ist die simple Story dahinter.“

Der Sprung - ein Höchstmaß an Körperbeherrschung, Athletik und Schnelligkeit. Schon als er vor knapp einem Jahr erstmals seine Eigenkreation bei den X-Games Europe in Tignes stand, hatte er Helm und Brille ins Publikum geschleudert. Wie nun auch in Sotschi.

Völlig euphorisiert berichtete er nach seinem zweiten Lauf im Extreme Park mit nur fünf Sprüngen über seine erfüllte Sehnsucht - ausgerechnet im Heimatland seiner Eltern. Sein Onkel weine, sein Vater sei schon „betrunkä“, wie er in Schweizerdeutsch scherzte. „Es ist wundervoll“, erklärte er in Deutsch, Englisch und Russisch. Podladtchikov feierte nur rund 1400 Kilometer von seiner Geburtsstadt nahe Moskau entfernt.

Als Dreijähriger war er mit seiner Familie nach Schweden gezogen, ein Jahr später ging es in die Niederlande. Iouri absolvierte dabei ein Probetraining in der Jugend von Ajax Amsterdam. Vier Jahre später ließ sich die Familie - der Vater Geophysiker, die Mutter Mathematikerin - endgültig in der Schweiz nieder.

Podladtchikov als Freigeist zu charakterisieren, ist wohl noch zu kurz gegriffen. Er zeigt das Talent als Fotograf in seinem Blog „Love me or leave me to Die“, nutzt Skateboarden, um auch auf Schnee und Eis besser zu werden. Aufsehen erregte ein Foto von ihm im Internet, das ihn nachts nackt an einem Tankstellenautomat zeigt, den Unterleib nur von einer Kopfbedeckung verhüllt. Podladtchikov sei einer, „der einen bald an ein Kind erinnert und bald an ein Genie, ein Snowboarder, der eigentlich ein Künstler ist“, schreibt die „NZZ“ in einem multimedialen Porträt (http://iouri-in-sotschi.nzz.ch/).

Zu seinem bislang größten Werk mit „unhelvetischem Selbstvertrauen“ (watson.ch) gratulierten neben Fußball-Weltverbandschef Joseph Blatter auch zahlreiche eidgenössische Sportler: „Unglaubliche Run Iouri, ich habe Snowboard immer geliebt, seit heute sogar noch mehr“, twitterte Tennis-Star Roger Federer.

Über soziale Netzwerke hatte sich auch White noch kurz vor dem Halfpipe-Finale zu Wort gemeldet und seinen Fans für die Unterstützung gedankt - die Frage nach seiner langfristigen Zukunft blieb zunächst offen. Jüngst hatte er die Air&Style Company, einen der renommiertesten Snowboard-Veranstalter, übernommen und mit dem Millionen-Deal seinen Übergang in die Geschäftswelt vorbereitet.

Nun berichtete der 27-Jährige, er wolle „eine kleine Pause“ von seinem Sport machen. Wie Podladtchikov zeigt White abseits des Snowboardens eine künstlerische Seite: Als nächstes geht es mit seiner Band Bad Things auf Tour. Und auch der Goldgewinner offenbarte ein neues Ziel: „Ich habe mich an der Universität eingeschrieben und könnte ab Anfang August Kunstgeschichte und Fotografie studieren.“

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