Olympia-Ausschluss:Russland droht die radikale Lösung

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Russische Athleten könnten komplett von Olympia in Rio verbannt werden. Doch traut sich das IOC diesen Schritt? Und welche Rolle spielt Wladimir Putin?

Von Johannes Aumüller

Es hat übers Wochenende offenkundig eine Art innerrussischer Überbietungswettkampf eingesetzt, welcher Politiker, Funktionär oder Athlet nach dem Ausschluss der nationalen Leichtathleten für die Sommerspiele in Rio de Janeiro die harscheste Wortwahl findet. Staatspräsident Wladimir Putin bezeichnete die Sanktion als "unfair", die Stabhochsprung-Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa empörte sich über eine "Menschenrechtsverletzung", und Sportminister Witalij Mutko drohte, dass die Disqualifikation noch Konsequenzen haben werde.

Aber womöglich müssen sich Putin & Co. noch ein bisschen Steigerungspotenzial für ihre verbalen Beschwerden lassen. Denn nachdem am Freitagabend der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) die weitere Suspendierung des russischen Verbandes und damit das faktische Aus für die Sommerspiele beschloss, intensiviert sich nun auch noch eine andere Debatte: Warum trifft es eigentlich nur die Leichtathleten und nicht mehr Verbände des offenkundig dopingverseuchten Riesenreiches? "Das IOC ist gut beraten, über einen Gesamtausschluss Russlands nachzudenken", sagte etwa der deutsche Leichtathletik-Chef Clemens Prokop.

Weitere Wada-Gruppe ermittelt

Die jüngsten Erkenntnisse liefern den Befürwortern einer solch radikalen Lösung jedenfalls Argumente. Denn der IAAF-Report, auf dem der verhängte Ausschluss fußt, zeigt auf, dass die Enthüllungen der ARD-Dokumentationen und der Report der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) Ende 2015 über umfangreiches und systematisches Doping nicht viel bewirkt haben.

Doping-Sperre
:Putin nennt Olympia-Ausschluss russischer Leichtathleten "unfair"

Es dürften keine Kollektivstrafen verhängt werden, sagt der russische Präsident zur Sperre aller russischen Athleten. Ein deutscher Funktionär fordert das Komplett-Aus für Russland.

"An der Kultur des Dopings und daran, dass es toleriert wird, hat sich bis heute nichts geändert", sagte Rune Andersen, Leiter der IAAF-Untersuchungsgruppe. Das offenkundigste Argument ist die Tatsache, dass in den vergangenen Monaten gleich 736 unabhängige Dopingproben nicht wie geplant durchgeführt werden konnten.

Zudem ist, so seltsam es klingen mag, mit dem ersten Wada-Report von 2015 sowie der Dokumentation des Weltverbandes der Tiefpunkt über die russische Dopingkultur wohl noch nicht erreicht. Angeführt vom kanadischen Anwalt Richard McLaren ist derzeit noch eine weitere Gruppe der Wada aktiv. Sie untersucht die Vorwürfe, die der frühere Moskauer Kontrolllabor-Chef und jetzt in Los Angeles lebende Wissenschaftler Grigorij Rodtschenkow kürzlich in der New York Times machte. Demnach soll es rund um die Winterspiele in Sotschi 2014 zu staatlich organisiertem Doping gekommen sein. Während der Veranstaltung seien unter Beteiligung des Sportministeriums und des Geheimdienstes in nächtlichen Aktionen positive Proben gegen Wochen zuvor vorbereitete saubere Proben ausgetauscht worden.

Schon durch den IAAF-Report wurde eine Erkenntnis dieser Ermittlungen bekannt: Nach Ansicht der McLaren-Gruppe habe sie Beweise gefunden, dass das Sportministerium von 2011 bis 2013 das Labor anwies, positive Tests zurückzuhalten.

Russland will sich gegen die Sanktionierung der Leichtathleten nun wehren. Dem Argument, die Kollektivstrafe sei gegenüber einzelnen unschuldigen Sportlern unfair, widersprach schon IAAF-Mann Andersen energisch. Das sei nichts im Vergleich zur Ungerechtigkeit gegenüber den nichtrussischen Athleten, die aufgrund des Dopingmissbrauchs russischer Mitbewerber in den verfangenen Jahren um Medaillen und Preisgelder gebracht worden seien. Kurz: Dies ist der Preis, der für das Scheitern der russischen Autoritäten gezahlt werden muss, und die russischen Autoritäten allein sind daran schuld."

Russland will den Cas anrufen

Dennoch will sich Russland wegen der Kollektivbestrafung an den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) wenden. Bemerkenswerterweise musste sich die Institution in Lausanne erst kürzlich mit einem ähnlich gelagerten Fall beschäftigen. Der Weltverband der Gewichtheber hatte Bulgariens Athleten wegen zu vieler Dopingfälle suspendiert, weswegen diese in Rio nicht an den Start gehen dürfen. Im Januar bestätigte der Cas dieses Urteil. Sollte er sich nun im Fall Russlands anders entscheiden, wäre das fürs Ansehen des oft kritisierten Gerichtshofes nicht gerade förderlich.

Die IAAF will außer der Whistleblowerin Julia Stepanowa, dank derer Hinweise in einer ARD-Dokumentation das System aufzufliegen begann, nur solche Russen an den Start lassen, die sich in den vergangenen Monaten komplett außerhalb der russischen Kontrollsystems befanden; das ist höchstens eine Handvoll. Ein wenig hoffen dürfen die Russen gleichwohl auf eine erhöhte Zahl an Ausnahmestartern. Der IOC-Vorstand stellte sich am Samstag zwar hinter die Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbandes und am Dienstag gibt es in der Ringe-Zentrale ein weiteres Beratungsgespräch über Nationen, die gegen den Wada-Code verstoßen. Aber das Verhältnis zwischen IOC-Chef Bach und Russlands Staatspräsident Putin ist traditionell gut.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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