Olympia in Tokio:Gleich das erste kleine Drama

Tokio 2020 - Schießen

Freut sich über Gold: Qian Yang aus China.

(Foto: Oliver Weiken/dpa)

Die ersten Medaillen sind vergeben: Qian Yang aus China gewinnt mit ihrem letzten Schuss Gold mit dem Luftgewehr - weil ihre Konkurrentin fatal patzt.

Von Jürgen Schmieder

Da war er, der erste atemraubende Moment dieser Olympischen Spiele in Tokio: Luftgewehr, zehn Meter. Sieben Frauen waren noch dabei, da mussten Mary Tucker (USA) und Eunji Kwon (Südkorea) ins "Shootout": nur ein Schuss, wer mehr Punkte schafft, bleibt im Wettbewerb. Es ist so ein Augenblick, in dem selbst all jene, die keine Ahnung haben von dieser Disziplin und nicht mit einer Teilnehmerin sympathisieren, den Atem anhalten und mitfiebern. Erster Schuss: 10.4 Punkte, für beide. Also noch ein Schuss, und diesmal schaffte Tucker 10,9; Kwon nur 10,5.

Tucker schied eine Runde später aus, doch es dauerte nur ein paar Minuten bis zum nächsten Moment, der zum kleinen Drama auswuchs. Vor den letzten beiden Schüssen stand es zwischen Anastasiia Galaschina (Russland) und Qian Yang (China) 231,4 : 231,3 - 0,1 Punkte Unterschied also. Galaschina baute ihre Führung vor dem letzten Versuch auf 0,2 Punkte aus, und es ist wichtig zu wissen, dass in dieser Disziplin weniger als zehn Punkte bei einem Versuch als Ausrutscher gelten.

Da standen sie also beide, nur ein paar Meter voneinander entfernt, und sie mussten nun innerhalb von 50 Sekunden abdrücken. Galaschina schoss zuerst: 8,9, ein fataler Fehlschuss für eine der besten Schützinnen der Welt. Qian blieb ebenfalls unter zehn Punkten, doch 9,8 Zähler reichten für die Goldmedaille und olympischen Rekord (251,8 Punkte). Bronze gewann Nina Christen aus der Schweiz, die deutsche Teilnehmerin Jolyn Beer aus dem kleinen niedersächsischen Dorf Lochtum kam auf den 17. Platz.

Hinter den Schützinnen dröhnt Rockmusik aus den Boxen

Bei den Männern (Luftpistole, zehn Meter) gab es kurz darauf ein "Shootout" mit deutscher Beteiligung: Christian Reitz duellierte sich mit Bowen Zhang um Platz fünf - und siegte mit einer 10,4 gegen die glatte Zehn des Kontrahenten. Den Titel aber holte Favorit Javad Foroughi (Iran) mit Olympiarekord. Das Drama gab es um die folgenden Plätze: Pavlo Korostylow (Ukraine) leistete sich am Ende eine 8,4 und fiel auf Platz vier, Damir Mikec (Serbien, hatte mit Reitz zunächst um den vierten Rang gerungen) arbeitete sich zu Silber, Wei Pang (China) gewann Bronze.

(210724) -- TOKYO, July 24, 2021 -- Yang Qian of China poses during the awarding ceremony after the Tokyo 2020 women s

Das erste Gold: Qian Yang freut sich.

(Foto: Ju Huanzong/Xinhua/imago)

Da sind sie also, die ersten Medaillen der Spiele in Tokio. Erfahrene Beobachter wissen, dass Olympia erst dann so richtig begonnen hat, wenn Medaillen vergeben werden. Medaillen sind für die Zuschauer, was Leckerlis für Hunde sind: Damit sollen sie vergessen, dass es noch irgendwas anderes gibt - Korruptionsaffären, Doping-Enthüllungen, umstrittene Vergabe der Sommerspiele 2032 an Brisbane -, und sollen brav Sitz machen auf der Couch und möglichst alles verzehren, was das IOC ihnen vorsetzt. Der Blick wird gelenkt, hinweg von negativen Elementen auf möglichst spannenden Sport und auf Akteure, die Geschichten liefern. Auf Sieger, denn nun beginnen die Medaillenzähler das Medaillenzählen, nur der Vollständigkeit halber, für alle Medaillenzähler: Nach den ersten Schieß-Events steht bei China und Iran jeweils eine Goldmedaille, beim so genannten "Russian Olympic Committee" und Serbien je ein Mal Silber und bei China und der Schweiz ist jeweils Bronze vermerkt.

Die Frage ist: Funktioniert das auch bei den Coronavirus-Spielen?

Eine Antwort darauf kann diese erste Disziplin keinesfalls liefern, die Corona-Krise ist völlig anders als die üblichen Affären. Beim Schießen gibt es kein volles Olympiastadion wie beim 100-Meter-Finale oder johlende Zuschauer wie beim Schwimmen. Wer die Wettbewerbe von 2012 und 2016 mit dem vergleicht, was nun zu sehen und zu hören war, der dürfte bemerken: Hm, wie immer, und genau das ist es ja, was sich routinierte Sportpolitiker wünschen: dass es sich von nun an anfühlt wie immer.

Es saßen doch ein paar Leute auf der Tribüne hinter den Schützinnen, aus den Boxen dröhnte Rockmusik, und am Ende, da gab es diesen dramatischen Moment, weswegen man Sport, neben außerweltlichen Leistungen, überhaupt erst guckt. Es gab eine Siegerin, die 21 Jahre alte Studentin aus Peking, die ihrem Trainer erschöpft in die Arme fiel; und es gab die Unterlegene, die von der Trainerin gestützt und getröstet werden musste. Das sind die Bilder, die das IOC zu liefern verspricht, und auch die erste Medaillendisziplin lieferte zuverlässig.

Die ersten Medaillen überreicht der IOC-Chef selbst, und es war auch durch die Maske zu erkennen, dass Thomas Bach recht zufrieden war mit diesem Event. Am Ende, als die Hymne der Siegerin gespielt war und wieder Olympia-Dudelmusik aus den Lautsprecher erklang, da stand Yang auf dem Podest und formte ihre Arme über dem Kopf zu einem Herz für die Fotos, die nun um die Welt geschickt werden. Bach stand am Rand, die ersten Medaillen sind vergeben, die Spiele haben begonnen. Mal sehen, wie es weitergeht.

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