Nowitzki-Kinofilm "Der perfekte Wurf":Ewiger Azubi

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Eine Doku über den Basketballer Dirk Nowitzki, der sich selbst für "langweilig" hält? Aber ja doch. Der Film von Regisseur Sebastian Dehnhart erzählt die erstaunliche Heldengeschichte eines Ausnahmesportlers, der seine Berühmtheit noch immer nicht ganz fassen kann.

Von Jonas Beckenkamp

Irgendwann zielt Dirk Nowitzki dann doch mal daneben. Sein nahezu perfekter Wurf prallt von einer wackeligen Korbanlage ab. Der Mann, der sonst im Glitzerlicht der NBA tausendfach Bälle versenkt, versucht es immer wieder. Plong, Zong, Boing. Die Decke ist so niedrig, dass gar keine richtige Flugkurve möglich ist, der Ball knallt gleich elf Mal in Serie vom Ring zurück. Der Schauplatz könnte skurriler nicht sein: eine winzige Turnhalle in einer Schule in Würzburg und lauter Türen, durch die der 2,13-Meter-Riese kaum hindurchpasst.

"Alles genau wie damals", wundert sich Nowitzki - und wenn Filmaufnahmen Gerüche transportieren könnten, würde man merken: Es müffelt streng nach Jungsumkleide in diesen vier Wänden. Die Kamera begleitet den gebückten Basketballer beim Besuch in seiner alten Schule, hier war er bestimmt seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Möglich gemacht hat die Visite der Regisseur Sebastian Dehnhart (bekannt durch einen Klitschko-Film von 2011), der sich mit seinem Team zwei Jahre lang an Nowitzkis Fersen geheftet hat.

Barack Obama sorgt für Lacher

Entstanden ist mit "Der perfekte Wurf" eine Kino-Doku, die eine erstaunliche Heldengeschichte erzählt: Wie es ein dürrer Lulatsch mit einer "goofy" Frisur (O-Ton Barack Obama - ja, auch Mr. President himself hat einen kurzen Part) zum weltweit bekanntesten, aktiven Sportler dieses Landes brachte.

Die größte Schwierigkeit bestand für die Filmemacher darin, Nowitzki überhaupt für ihr Projekt zu gewinnen. Der 36-Jährige aus Würzburg ist kein Typ für Homestorys oder Promigekasper, solche Auswüchse an öffentlicher Privatheit sind ihm suspekt. Regisseur Dehnhart sagt: "Er hat zunächst zurückhaltend reagiert, weil er überhaupt nicht verstehen konnte, dass jemand einen Film über ihn machen will."

Neuvergabe der Basketball-EM 2015
:Berlin statt Kiew

Das gab es zuletzt 1993: Berlin wird 2015 die Spiele einer Gruppe der Basketball-EM austragen. Die Ukraine hatte sich als Veranstalter zurückgezogen, nun erhalten auch Kroatien, Lettland und Frankreich die Zugabe. Dirk Nowitzki könnte wieder ins Nationaltrikot schlüpfen.

Er sei doch eher "langweilig", hat Nowitzki schon öfter wissen lassen, er gehe in die Halle und spiele Basketball, dann ginge er wieder nach Hause. Warum also eine Kinoproduktion, eine Betrachtung seines ordinären Lebens als Trainingsbesessener? Die Antwort: Weil er damit natürlich untertreibt. Uninteressant wirkt sein Werdegang für die Zuschauer bei weitem nicht - und so ist dem Filmteam hoch anzurechnen, dass man den zurückhaltenden Schlaks überhaupt zum Mitmachen überreden konnte. Eine Schlüsselrolle spielte dabei sein Mentor Holger Geschwindner. Er war es letztlich, der für einen ausgiebigen Blick hinter die Sportkulisse mehrere Alltagstreffen in Kamerabegleitung einfädelte.

Überhaupt, Geschwindner. Der Mann, der Nowitzki als Basketballer und Persönlichkeit formte, nimmt in der ersten Hälfte der Geschichte fast mehr Raum ein als sein einst jugendlicher Schützling. Aus den eigenen Erfahrungen des 69-Jährigen stammt die Erkenntnis: "Basketball ist Jazz." Untermalt werden solche Verrücktheiten von alten Aufnahmen, die den herrlich aus der Zeit geplumpsten Guru im Holzfällerhemd zeigen, umgeben vom dribbelnden Nowitzki. In einer dieser miefigen Turnhallen - und aus einem Ghettoblaster dudelt tatsächlich Jazzmusik, die den Rhythmus vorgibt.

Geschwindners große Rolle

Später werden Wegbegleiter erzählen, dass Geschwindner "drüben" anfangs wie ein "verrückter Professor" daherkam. Dass er jedoch schon nach kurzer Zeit durch die Hochsicherheits-Welt der NBA-Hallen flanierte, ohne je eine Akkreditierung zu besitzen. Nowitzkis Weg dorthin lässt sich kaum ohne seinen Lehrmeister nachempfinden, und es gelingt der Doku verblüffend gut, die Beziehung zwischen dem Tüftler und dem Talent zum Leben zu erwecken. Die beiden verbinde so etwas wie "Telepathie", wundert sich sogar Nowitzkis Ehefrau Jessica, die aus dem Privatleben ihres Mannes berichtet.

Basketball
:Dircules' größte Momente

Nach 21 Jahren und mehr als 31 500 Punkten beendet Dirk Nowitzki seine Karriere in der NBA. Seine größte Leistung ist jedoch, dass er so bodenständig geblieben ist. Seine Karriere im Rückblick.

Von Jonas Beckenkamp

Zu den Stärken von "Der perfekte Wurf" zählen genau diese Erzählungen von Familienmitgliedern (Eltern, Schwester, Cousin), Freunden, ehemaligen Mitspielern (u. a. Vince Carter, Michael Finley, Jason Kidd) und Trainern, aus denen durchweg riesige Anerkennung spricht. Voller Vertrauen stellen die Protagonisten unabhängig voneinaner fest, was "der Dirk" für ein feiner Kerl ist. Und man muss es ihnen irgendwie glauben. Eine sympathischere Berühmtheit von globalem Rang wird auf diesem Planeten kaum zu finden sein - auch das vermittelt dieser Film.

Diese Wahrnehmung orchestrieren bewusst langsam gehaltene Szenen aus Dallas, in denen der Millionär Nowitzki feixend durch die Geschäftsstelle der Mavericks schlendert und dabei wirkt wie ein Azubi in der Mittagspause. "Authentisch" ist der Eindruck, der sich beim Zuschauer einbrennt, wenn der Porträtierte mit Kindern schäkert oder eine Sekretärin umarmt. Es sind echte Bilder, keine gestellten für einen Werbedreh oder ein Charity-Event, zu denen Profisportler in den USA allzu oft von Vereinsseite verpflichtet werden.

Nowitzki scheint die Erfordernisse einer Doku schnell begriffen zu haben - er öffnet sich ohne Vorbehalte, lässt die Kamera einfach dabei sein und beweist vor allem im Umgang mit Bekannten seinen gefestigen, humorvollen Charakter. So gelingt es dem Film auch, ein paar Neuigkeiten aufzudecken. Wer den mehrfachen Allstar durch das Backoffice seines Klubs schlurfen sieht, dem wird schnell klar, warum der oft Umworbene in 16 Jahren im selben Team nie wirklich an einen Wechsel dachte.

Trotz aller Schwierigkeiten zu Beginn seiner NBA-Karriere (ihm fehlte die Athletik, das Essen der Mutter, der Modegeschmack) ist der gebürtige Würzburger in Texas heimisch geworden. Nowitzki und die "Mavs" - das ist mehr als eine normale Geschäftsbeziehung. Über die Jahre hat der Verein gelernt, sich auf die schrägen Trainingsmethoden des Gespanns Nowitzki/Geschwindner einzustellen. Im Gegenzug erhalten die Mavericks eine Loyalität ihres wichtigsten Angestellten, wie sie im Millionenbusiness der NBA selten ist.

Weit mehr als eine Sportler-Doku

Auch wegen seiner sensiblen Zwischentöne - wie etwa Nowitzkis tragische Beziehung zu einer Frau, die sich als Heiratsschwindlerin entpuppte - ist Dehnharts Film mehr als nur eine Sportler-Doku. Es geht ums Erwachsenwerden, um Hingabe für eine Sache, Erziehung, Freundschaft, persönliches Glück und die Gerechtigkeit des Lebens - als der überwältigte Nowitzki 2011 endlich die Meisterschaft gewinnt, sind alle Enttäuschungen vergessen. Da gönnt sogar der sonst verbissen ehrgeizige Selbstoptimierer Kobe Bryant dem Langen aus Germany den Titel.

Am Ende verzeiht man der nahezu vollständigen Darstellung (es fehlt einzig Nowitzkis Karriere im Nationalteam) auch die arg gewollte Cowboy-Symbolik, wenn Schnitte in die texanische Western-Welt nach Dallas mit Rodeo-Szenen ausstaffiert werden. Und es stören nicht einmal die etwas banal geratenen Zeichentrick-Animationen, die als Interlude die Brücke zwischen Würzburg und dem fernen Amerika schlagen sollen. Dass die Hintergrundmusik stellenweise überdramatisiert und damit wahrhafte Momente unnötig inszeniert - nun ja, es ist halt Amerika, da darf es gerne ein bisschen dicker aufgetragen sein.

Nach 105 Minuten zwischen kreischenden Fans, unterfränkischem Idyll, einigen Tränen und einem urkomischen Treffen mit Altkanzler Helmut Schmidt ("Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht mehr spielen?") sitzt Nowitzki in seinem Auto und beschließt die ganze Sache mit einem rührend ehrlichen Satz: "Ich kann relativ gut 'nen Ball in ein Körbchen reinschmeißen, aber es gibt Tausende andere Leute, die in ihrem Job genauso gut sind und die keine Sau kennt." Spätestens in diesem Moment hat dieser bemerkenswerte Sportler seine Treffsicherheit wieder gefunden.

"Der perfekte Wurf", 2014, Regisseur: Sebastian Dehnhart, mit: u.a. Dirk Nowitzki, Holger Geschwindner, Kobe Bryant, Michael Finley, Jason Kidd, Vince Carter, Mark Cuban, Donnie Nelson, Rick Carlisle, Helga Nowitzki, Jörg-Werner Nowitzki, Silke Nowitzki, Jessica Nowitzki. Kinostart am 18. September 2014.

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