Novak Djokovic gewinnt Wimbledon:Ihm schmeckt's immer noch

Lesezeit: 3 min

Novak Djokovic macht nach dem Matchball den Flieger auf dem Rasen. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Novak Djokovic gewinnt zum vierten Mal hintereinander das Rasenturnier und sammelt den 21. Titel in der ewigen Grand-Slam-Bestenliste. Gegner Nick Kyrgios hat am Ende keine Chance - doch beide verbindet eine besondere Beziehung.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Dann kam dieser Moment, der jedes Mal wieder ein besonderer ist. Ein Spieler hatte Matchball. Tosender Lärm brandete auf, viele standen auf, riefen die Namen der beiden Duellanten. In der Royal Box freilich ging es etwas gesitteter zu, und man kann ja immer wieder nur die Disziplin der Herzogin und des Herzogs von Cambridge, besser bekannt als Kate und William bewundern, die offenbar mühelos in einer Pose für sehr lange Zeit verharren können. Der größte Respekt musste aber diesmal ihrem erstgeborenen Sohn George, seines Zeichens Prinz von Cambridge, gelten. Der Achtjährige hatte wie die rund 15 000 Zuschauer erstmals am Centre Court passabel ausgehalten, aus der Ferne sah es aus, als saß seine Krawatte auch nach genau drei Stunden Spielzeit noch immer akkurat.

Es war kurz nach 17 Uhr, als die Menschen hochsprangen, auch in der Royal Box folgten Standing Ovations. Novak Djokovic hatte mit 4:6, 6:3, 6:4, 7:6 (3) gesiegt. Und wieder rattern die Bestmarken weiter: Es war der siebte Titel des Serben in seinem achten Wimbledon-Finale. Sein 21. Grand-Slam-Erfolg, womit er bis auf einen an Rafael Nadal herangekommen ist. Der Spanier hatte in dieser Saison die Australian Open und die French Open gewonnen. Nick Kyrgios verpasste die Chance, als erster Australier seit Lleyton Hewitt 2002 im All England Club zu triumphieren.

SZ PlusWimbledon-Siegerin Jelena Rybakina
:"Ich habe nicht ausgesucht, wo ich geboren wurde"

Wimbledon hatte Sportler aus Russland und Belarus ausgeschlossen - und nun gewinnt die in Moskau geborene Jelena Rybakina das Turnier. Nach ihrem Sieg herrscht Beklommenheit, statt zu feiern, kommen ihr die Tränen.

Von Gerald Kleffmann

Noch vor der Siegerehrung praktizierte Djokovic sein an diesem Ort gängiges Ritual nach Triumphen: Er bückte sich und aß Gras. Der gereckte Daumen signalisierte: Ihm schmeckt's immer noch. Auch nach vier Titeln in Serie in Wimbledon.

Nachdem er den berühmten Pokal aus den Händen von Kate erhalten, in die Luft gestemmt und geküsst hatte, tröstete Djokovic erst mal den Verlierer: "Nick, du kommst zurück!" Schließlich meinte er, so viel Nettes hätte er noch nie über Kyrgios gesagt - die beiden waren sich in der Vergangenheit ja nicht immer grün. "Es ist offiziell eine Bromance", bestätigte Djokovic. Die Siegerehrung war diesmal eine fröhliche. Kyrgios hatte ja zuvor auch gewitzelt und etwa über Djokovic gesagt: "Er ist ein bisschen ein Gott, ich lüge nicht." Ob er Lust auf ein weiteres Grand-Slam-Finale, sein zweites hätte, fragte ihn dann die legendäre Sue Barker. "Absolut nicht, ich bin so müde", sagte Kyrgios und alle lachten.

Schon eine spezielle Art der Zuneigung: Nick Kyrgios und Novak Djokovic. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Dieses Finale hatte zweifellos aufgrund des Verhältnisses der beiden zueinander eine besondere Würze. Die "Bromance" hatte Djokovic vor dem Duell noch verneint. So schnell hatte er nicht vergessen, wie Kyrgios 2019 über ihn gelästert hatte. Er, Djokovic, hätte eine "kranke Obsession, so gemocht zu werden wie Roger"; er meinte Federer. Zu Beginn der Pandemie, als Djokovic es auf seiner Schaukampfserie, der Adria Tour, krachen ließ, warf ihm Kyrgios Verantwortungslosigkeit vor. Als Djokovic Anfang 2022 aufgrund seines Nicht-Geimpften-Status aus Australien geworfen wurde, sprang ihm Kyrgios auf einmal beiseite.

Ein "emotionales Feuerwerk" erwartete Djokovic, der 27 Partien in Serie in Wimbledon gewann. Es wurde dann eher nur ein spielerisches Feuerwerk, zumindest boten beide zunächst keine Verhaltensaufälligkeiten. Gleich in seinem ersten Aufschlagspiel schnibbelte Kyrgios bei 40:0 den Aufschlag von unten ins Feld. Dann versuchte Kyrgios, einen Ball mit dem Schläger in der linken Hand zu erreichen. Er schaffte als Erster das Break, agierte aufgeräumt und servierte so, wie es Djokovic bewundernd beschrieben hatte: Er donnerte aus einer fließenden Bewegung heraus die gelben Filzkugeln in die Ecken. 6:4 nach 31 Minuten.

Djokovic ist bekanntlich jemand, der Zeit benötigt, um in diesen Zustand zu geraten, in dem er die Bälle fast schon mechanisch verteilt. Gegen den Italiener Jannik Sinner im Viertelfinale war er nach einem 0:2-Satzrückstand auf die Toilette gegangen und hatte einen "Pep-Talk" mit sich im Spiegel geführt, ein aufmunterndes Selbstgespräch. Dazu kam es diesmal nicht, Djokovic drehte früher die Partie. Er verwickelte Kyrgios in längere Ballwechsel, seine Returnquote stieg, Kyrgios büßte prompt an Aufschlag-Macht ein. Ein Break zum 3:1 brachte Djokovic den Vorteil, den er bei 5:3 und 0:40 fast verspielte. Nach einem spektakulären Punkt für Kyrgios, der von rechts hinten nach links vorne gesprintet war und den Ball am Gegner vorbei geschoben hatte, wurde mal wieder deutlich, wem mehrheitlich die Sympathien gehörten: dem Exzentriker aus Canberra. Doch Djokovic hatte seinen Fluss gefunden - 6:3.

Noch einmal Wimbledon gewinnen - dann würde Djokovic nach Titeln mit Roger Federer gleichziehen. (Foto: Adrian Dennis/AFP)

Im dritten Satz blieb Djokovic der stabilere, aber Kyrgios hob sein Niveau an, Emotionen sprudelten jetzt mehr aus ihm heraus. Nach einem Zwischenruf ärgerte er sich so sehr, dass er eine Verwarnung kassierte. Eine seiner Klagen war immerhin originell. Er verwies auf eine pöbelnde Frau mit dem Satz: "Es ist die da, die aussieht, als hätte sie 700 Drinks gehabt." Ein anderer Störenfried zuvor kam nicht nur mit einem Spruch davon, er war recht rüde nach einem Schreianfall von der Tribüne befördert worden.

Djokovic zeigte sich von alldem unbeeindruckt, schaute selten zu Kyrgios, fuhr den dritten Satz 6:4 sachlich ein und kontrollierte im vierten Satz weiter die Partie in seiner unnachahmlichen Weise, mit Bällen präzise an die Linien und Stopps hinter die Netzkante. Kyrgios klammerte sich an seine Aufschlagspiele, schleppte sich in den Tie-Break. Und Djokovic zeigte letztmals seine Klasse.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: