Spielabbruch in Frankreich:Faustschläge und Flaschenwürfe

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Anhänger Nizzas stürmen auf den Rasen und attackieren Spieler von Olympique Marseille. (Foto: Jonathan Moscrop/imago)

Das Spiel zwischen Nizza und Marseille wird beim Stand von 1:0 nach einem Platzsturm abgebrochen. Danach hagelt es Schuldzuweisungen und Vorwürfe, die Vorkommnisse beschäftigen Bürgermeister und die Staatsanwaltschaft.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Bilder waren schon hinreichend dantesk gewesen. Doch was sich abspielte, als der Schiedsrichter das Mittelmeerderby zwischen OGC Nizza und Olympique Marseille endgültig abpfiff, wirkte fast noch verstörender als die Gewalt. Die Spieler Nizzas standen auf dem Rasen. Und sie hielten es für angebracht, dem Publikum auf den Rängen zu applaudieren - darunter erkennbar auch den Vandalen, die mittelbar dafür gesorgt hatten, dass die Partie nur 76 Minuten alt und beim Stand von 1:0 für Nizza abgepfiffen wurde: den von rechtsradikalen Schlägern durchsetzten Ultras von der "Brigade Sud Nice". Ein großes Merci also.

Ernsthaft jetzt? Ernsthaft.

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Die Franzosen werden noch recht lang an diesen Abend zurückdenken, zu groß war der Eklat, der sich in Nizza zutrug - und der Frankreichs Fußball just Negativschlagzeilen beschert, da sich die "Ligue 1" durch den Wechsel von Lionel Messi vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain über einen Imagezuwachs freute. Schon in der ersten Halbzeit waren Spieler Marseilles mit Flaschen beworfen worden, nach der Pause setzte sich das fort, bis eben eine dieser Flaschen Dimitri Payet im Rücken traf. Payet krümmte sich vor Schmerzen und tat im Affekt etwas, was die Lage eskalieren ließ: Er warf die Flasche zurück.

Was folgte, waren Bilder einer großangelegten Rauferei. Noch mehr Flaschen flogen, ein großer Teil der Südkurve setzte sich in Bewegung, strömte auf den Rasen, machte Anstalten, Jagd auf Spieler zu machen. Unter den verzweifelten Nizza-Profis, die versuchten, die Fans mit Gesten zur Sittsamkeit zu bewegen, war auch Nizzas Kapitän, der ehemalige Bundesligaprofi und vormalige brasilianische Nationalspieler Dante. Doch nichts half. Im Gegenteil.

Ein paar Spieler und Mitglieder des Trainerstabes von Olympique ergriffen nicht die Flucht, sondern trugen dazu bei, die Tumulte noch unübersichtlicher zu gestalten. Allen voran: der argentinische Trainer von Marseille, Jorge Sampaoli, der nicht ganz von Ungefähr "el Loco" genannt wird, der Verrückte. Sampaoli ist zwar schon 61, aber immer in seinem Element, wenn es um ihn herum raucht und knallt. Vor ein paar Wochen wäre er seinem spanischen Kollegen Unai Emery (FC Villarreal) fast an den Kragen gegangen - bei einem Freundschaftsspiel.

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Rudel-Erregung: Das Team von Olympique Marseille verlässt nach einem Flaschenwurf aus dem Nizzaer Fanblock und einem Platzsturm das Spielfeld. Vorne rechts: Trainer Jorge Sampaoli; in seiner Blickrichtung: Dimitri Payet (mit Hörnchenlocken), der von einer Flasche getroffen wurde - und sie zurückwarf. (Foto: Jonathan Moscrop/imago)

Am Sonntag konnte Sampaoli von Sicherheitskräften und Spielern nur unter Mühen davon abgehalten werden, handgreiflich zu werden. Beim Assistenten des Verrückten, Jorge Desio, gelang das nicht so gut: Er verpasste einem Anhänger Nizzas eine rechte Gerade, die man bei den Boxwettbewerben der Olympischen Spiele von Tokio lange suchen müsste. Doch die Fäuste flogen offenbar auch in die andere Richtung: Olympique veröffentlichte in der Nacht zum Montag Fotos von Spielern, die angeblich von Ordnern Nizzas geschlagen worden waren - unter ihnen der vormalige Hertha-Profi Mattéo Guendouzi, der einen wundroten Hals aufwies. Wie es genau dazu kam, war auf die Schnelle nicht zu klären, dafür war aber augenscheinlich, dass der Disput auch in den Katakomben weiterging. Dort polterte Sampaoli hysterisch auf Spanisch. "Du hast ein Gesicht aus Stein!", rief er jemandem zu, was freilich nicht hieß, dass er sich die Faust wehgetan hatte; es handelte sich bloß um eine im Spanischen geläufige Metapher für einen unverschämten Kerl. "Was beschwerst du dich?? Sind wir etwa verantwortlich??? Tausend Leute sind da rein!!! Bist du verrückt, amigo????", brüllte Sampaoli durch den Kabinengang.

Weiter oben, auf der Ehrentribüne, sollen die obersten Repräsentanten der Klubs aneinandergeraten sein. Nizzas Präsident Jean-Pierre Rivère und OM-Boss Pablo Longoria hätten von ihren Bodyguards wieder getrennt werden müssen, berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Augenzeugen. Dass das gelang, war für den weiteren Fortgang der Geschehnisse nicht unerheblich. Denn es stand ja die Frage im Raum, was man mit dem angebrochenen Abend noch machen sollte.

Am Ende entschloss sich Olympique, nicht mehr aufs Spielfeld zurückzukehren. Grund dafür sei gewesen, dass der Schiedsrichter nicht für die Sicherheit der Beteiligten garantieren konnte. Der Ligaverband LFP habe aber auf Wiederaufnahme des Spiels bestanden, aus Gründen der öffentlichen Ordnung. Was folgte, war eine skurrile Szene. Der Referee und die Spieler Nizzas kehrten auf den Platz zurück, der Schiedsrichter platzierte den Ball an der Eckfahne, und da kein Spieler von Olympique da war, um gegen das Spielgerät zu treten, folgte: der Abpfiff.

Auch die Bürgermeister der beiden Städte schalten sich ein

Nizzas Präsident Rivère bestätigte später in einer Pressekonferenz, dass der Referee tatsächlich Bedenken geäußert hatte. Rivère hielt sie für übertrieben. Er hatte nach eigenen Angaben mit den Anhängern seines Klubs gesprochen und Garantien erhalten, dass das Spiel beendet werden könne. Und überhaupt: Die Schuld habe bei den Vertretern von Olympique und deren Security-Offizieren gelegen. Was wiederum Olympique zurückwies. Die Sportzeitung L'Équipe hielt den Rückzug Olympiques für angemessen: "Wer hätte zurückkehren wollen? Wie kann man (die Spieler) nicht verstehen?", fragte sie am Montag entgeistert. Auch Frankreichs Sportministerin war entsetzt: "Eine rote Linie ist überschritten worden."

Derweil entbrannte schon das nächste Scharmützel - zwischen den Bürgermeistern beider Städte. Benoit Payan erklärte in Marseille, stolz darauf zu sein, dass sich sein Team "nicht auf diese Scharade eingelassen hat"; sein Amtsbruder aus Nizza, Christian Estrosi, nannte die Randale zwar "nicht hinnehmbar", unterstrich aber, dass das Verhalten des Präsidenten und des Trainers von OM ebenfalls unter die Kategorie "unbeschreiblich" falle. Über mögliche Strafen soll am Mittwoch verhandelt werden, auch die Staatsanwaltschaft ermittelt.

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