Niederlage des BVB:Tuchel ist hochgradig beleidigt

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Angefressen: Dortmunds Trainer Thomas Tuchel. (Foto: dpa)

Die Äußerungen des Trainers nach dem 1:2 in Frankfurt lassen auf eine gewaltige Missstimmung im BVB-Klima schließen.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Mit der Niederlage leben, das sagt sich immer so einfach. Größe zeigen. Es gibt genug Protagonisten im Profifußball, die werden stattdessen garstig und grantig. Mitstreiter vom FSV Mainz 05 könnten noch heute ganze Bücher füllen, wie ungenießbar ein gewisser Thomas Tuchel häufiger gewesen ist, wenn ein Fußballspiel nicht den Verlauf nahm, den der Fußballlehrer in seinem Matchplan vorgesehen hatte. Seit seiner Verantwortung für das hochemotionale Konstrukt Borussia Dortmund schien sich der Mann diesbezüglich eine gewisse Gelassenheit zugelegt zu haben. Typischer Fall von Trugschluss.

Nach der 1:2 (0:0)-Niederlage bei Eintracht Frankfurt legte Tuchel eine stille Tirade hin, die so eisig war, dass im Pressesaal sogleich akute Frostgefahr herrschte. Es war ein Auftritt, den in dieser Form selbst ständige BVB-Begleiter selten erlebt haben. Und allenfalls nach der Niederlage im Pokalfinale gegen den FC Bayern (3:4 nach Elfmeterschießen) hat er so verbittert geurteilt wie nach diesem Nackenschlag.

"Niko, Glückwünsch zum verdienten Sieg. Bei so vielen Defiziten ist kein Auswärtsspiel zu gewinnen." Schon aus dem ersten Statement klang eine gewaltige Distanz heraus. Tuchel hörte sich dann ruhig die Ausführungen des später kräftig umarmten Kollegen Niko Kovac an, doch die erste Nachfrage in der Pressekonferenz ließ den BVB-Trainer beben.

Triefende Ironie wegen des ersten Gegentors

Was waren denn diese Defizite? "Technisch, taktisch, von der Mentalität und der Bereitschaft her war unsere Leistung ein einziges Defizit. Von der ersten Einheit der Trainingswoche über die Champions League bis zu diesem Spiel von der ersten bis zur letzten Minute", giftete der 43-Jährige. Der innere Frust ob der ständigen Leistungsschwankungen entlud sich weiter: "Diese Saison ist ein ständiges Auf und Ab. Das ist sehr unbefriedigend. Unsere Leistung heute hätte keinen einzigen Punkt verdient." Miese Laune hoch drei durchzog den fensterlosen Presseraum der Frankfurter Arena.

Dortmunds Chefcoach geißelte eine Haltung, die sich irgendwo auf einer Negativskala zwischen Selbstüberschätzung und Nachlässigkeit bewegte; sonst hätte Tuchel auf Nachfrage nach dem ersten Gegentor - Szabolcs Huszti traf von der Strafraumgrenze gleich nach Wiederanpfiff (46.) - nicht mit triefender Ironie konstatiert: "Bei der Art und Weise, wie wir aus der Kabine gekommen sind, hätte es mich fast gewundert, wenn wir kein Gegentor bekommen könnten."

Bundesliga
:Tuchel: "Unsere Leistung war ein einziges Defizit"

Der BVB verliert in Frankfurt und Thomas Tuchel schäumt, Werder Bremen und der HSV trennen sich im Nordderby unentschieden, auch sonst gibt es keinen Sieger am Samstag.

Tuchel wirkte hochgradig beleidigt - und bei solch öffentlich vorgebrachter Kardinalkritik müssen die Versäumnisse eigentlich tiefer liegen. Haben die Spieler nach Trainer-Meinung die Erfordernisse für den Bundesliga-Alltag nicht erkannt? Dazu passt, dass manch einer den Nackenschlag tatsächlich eher als Betriebsunfall abtat. "Im Endeffekt hat nicht die bessere, sondern die glücklichere Mannschaft gewonnen", sagte Nationalspieler Matthias Ginter. "Unnötig. Vielleicht wollten wir nach dem Ausgleich zu viel."

Trotz statistischer Vorteile bei Zweikampfquote (55:45) und Ballbesitz (63:27) wirkte der Champions-League-Teilnehmer unter dem Strich fast hilflos gegenüber der körperlichen Präsenz und läuferischen Qualitäten der Hausherren. Auch Mario Götze, genau wie André Schürrle in der Startelf aufgeboten, setzte viel zu wenig Akzente. Und so verlor sich der BVB in einem Abnutzungskampf, der wie eine Blaupause zu den bisherigen Schlappen in Leipzig und Leverkusen daherkam: gegen Gegner mit extremem Widerstandsgeist wirkt dieses Gebilde zu wankelmütig. Da fehlt es an Wehrhaftigkeit.

Tiefschlaf nach dem Ausgleich

Erst nach einem Dreifachwechsel (es kamen Ousmane Dembélé, Marco Reus und Sebastian Rode) glich der Gast nach einer Dembélé-Flanke durch den Kopfball von Pierre-Emerick Aubameyang aus (77.) - nur um sich gleich danach den nächsten Gegentreffer einzufangen, als Torwart-Oldie Roman Weidenfeller bei einem Flachschuss des eingewechselten Haris Seferovic viel zu spät reagierte (79.). Dass Irrwisch Dembélé in der Nachspielzeit nur die Latte traf, passte ins betrübliche Borussen-Bild.

Dortmund hat damit den Rückenwind, den das 1:0 gegen den FC Bayern hätte geben können, nicht genutzt. Das vogelwilde 8:4 gegen Warschau in der Königsklasse hatte die breite Öffentlichkeit eher verzückt als verstört - nicht zuletzt wegen Rückkehrer Reus. Tuchel aber tat sich da schon mit Lob schwer - und bohrte jetzt so tief in der Wunde, dass Grundsatzgespräche mit Sportdirektor Michael Zorc und Vorstandschef Hans-Joachim Watzke unvermeidlich werden, wenn kein Graben aufreißen soll. In Mainzer Zeiten hat Tuchel sich derart schnippisch und verbittert meist nur an Schiedsrichtern abgearbeitet - dann aber irgendwann eingesehen, dass dieses Ventil nicht weiterhilft. Ob der an diesem Tag in Frankfurt eingeschlagene Weg besser ist?

© SZ vom 27.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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