NFL-Playoffs:Mit Grußbotschaft von Damar Hamlin

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Sprint mit Ball quer übers Feld: Sam Hubbard und die Cincinnati Bengals qualifizieren sich für die Playoffs. (Foto: Darron Cummings/AP)

Vor zwei Wochen wurde das Spiel der Buffalo Bills bei den Cincinnati Bengals abgebrochen, weil der Verteidiger einen Herzinfarkt erlitt. Nun kommt es zur Neuauflage - in Buffalo. Es ist nicht die einzige spektakuläre Geschichte dieser Playoffs.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Zur richtigen Zeit am richtigen Ort - ich weiß jetzt auch nicht so genau, wie das passiert ist", sagte Sam Hubbard nach dem 24:17-Sieg seiner Cincinnati Bengals gegen die Baltimore Ravens. Er sprach damit aus, was viele in der amerikanischen Football-Liga NFL dachten: Gegen die Drehbuchideen der Götter sind selbst die mächtigsten Menschen machtlos; es passiert, was vorgesehen ist, und es passiert so, wie es sich kaum ein sterbliches Wesen ausdenken könnte.

Es stand im Spiel Baltimore gegen Cincinnati 17:17 im Schlussviertel, die Ravens brauchten weniger als zwei Meter in die gegnerische Endzone, um diese Partie auf den Kopf zu stellen, und hatten dafür vier Versuche. Erst misslang ein Pass, dann folgte ein zu kurzer Lauf; nur noch ein paar Zentimeter, Spielmacher Tyler Huntley probierte es selbst. Er hüpfte über seine Beschützer vor ihm hinweg und streckte sich, so weit er nur konnte. Doch er schaffte es knapp nicht ins gelobte Land.

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Damar Hamlin von den Buffalo Bills kollabiert nach einem Zusammenprall auf dem Spielfeld - die Partie wird abgebrochen. Der 24-Jährige schwebt noch immer in Lebensgefahr.

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Das war aber nicht das Ende des Spielzugs: Auf dem Weg nach unten schlug Cincinnatis Verteidiger Logan Wilson das Lederei aus der Hand von Huntley direkt in die Hände von Sam Hubbard - der damit zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und den Ball übers komplette Spielfeld hinweg in die Endzone der Ravens trug. Es war der längste Fumble-Return der Playoff-Geschichte, statt 17:24-Rückstand waren die Cincinnati Bengals 24:17 vorne. Diesen Vorsprung verteidigten sie bis zur letzten Sekunde, als Ravens-Passempfänger James Proche den Ball in der Bengals-Endzone durch die Finger gleiten ließ und keine Verlängerung erzwingen konnte.

Den Sportgöttern fallen bisweilen verrückte Sachen ein. Fürs Viertelfinale wollen sie dieses Duell zwischen den Bengals und den Buffalo Bills - und deshalb mussten sie auch 600 Kilometer östlich von Cincinnati eingreifen. Die Bills hatten gegen die Miami Dolphins erst hoch geführt und dann zurückgelegen, nun führten sie 34:31. Die Dolphins marschierten in Richtung Bills-Endzone; da geschah ein Wunder, Dolphins-Trainer Mike McDaniel sagte: "Das passiert zum ersten Mal in dieser Saison."

Er hatte gedacht, dass sein Team auf Höhe der Mittellinie ein neues First Down geschafft hatte, und schickte die entsprechende Formation aufs Feld. Dann hörte er: Nein, es fehlen noch ein paar Zentimeter - letzter Versuch, um die Distanz zu überbrücken. Die Dolphins wechselten, allerdings zu spät, und kassierten fünf Yards Raumstrafe. Aus der Distanz schafften die Miami Dolphins kein First Down - die Partie war gelaufen.

Also, wie es die Götter geplant hatten und worauf alle Leute, so sie nicht Fans der Dolphins oder Ravens waren, hofften: Bills gegen Bengals.

Vor zwei Wochen beim Duell dieser beiden Teams hatte Bills-Verteidiger Damar Hamlin einen Herzinfarkt erlitten und musste noch auf dem Spielfeld wiederbelebt werden. Im Krankenhaus wurde er ins Koma versetzt und künstlich beatmet. Mittlerweile ist er auf dem Weg der Besserung, unter der Woche besuchte er die Kollegen beim Training und schickte ihnen vor der Partie die Botschaft, dass er - quasi als Schutzengel - mit dem Herzen dabei sei bei der Playoff-Partie gegen Miami.

Die abgebrochene Partie zu wiederholen, war unmöglich

Das Spiel vor zwei Wochen war abgebrochen worden, es wurde viel debattiert über die Entscheidungen der Liga - wenn auch nicht über den Abbruch, da sind sich alle einig, der war richtig. Man hätte ihn eher verkünden können, anstatt die Akteure noch so lange auf dem Spielfeld einsatzbereit zu lassen. Auch war gleich klar, dass die Partie nicht nachgeholt würde, dafür ist der Spielplan bis zum Super Bowl am 12. Februar zu eng getaktet. Die Frage war: Wie sollte es weitergehen?

Keines der Szenarien hätte alle zufriedengestellt. Es gab mehrere Möglichkeiten, weil die Bengals zum Zeitpunkt des Abbruchs 7:3 geführt hatten - also: Hätte dieses Ergebnis nicht das Resultat bei Abbruch sein können? Die Bengals wären auf Platz zwei der Setzliste in der AFC gelandet, sie hätten am Wochenende die Miami Dolphins empfangen und im Viertelfinale sicher Heimrecht gehabt. Stattdessen entschied die NFL, die Partie zu annullieren und für die Setzliste die Siegquoten der Playoff-Teilnehmer zu verwenden. So kam es genau andersherum: Bills daheim gegen Dolphins, nun Heimrecht gegen die Bengals.

Am ersten Playoff-Wochenende deutete dann einiges wieder auf höhere Gewalt: das Comeback der Jacksonville Jaguars zum Beispiel, die gegen die Los Angeles Chargers in der ersten Halbzeit 0:27 zurücklagen, mit Schlusspfiff das Field Goal zum 31:30-Sieg schafften und fürs Viertelfinale zu den Kansas City Chiefs reisen. Oder die Galavorstellung der New-York-Giants-Spieler Daniel Jones und Saquon Barkley beim 31:24-Sieg über die favorisierten Minnesota Vikings: Jones schaffte insgesamt 379 Yards Raumgewinn durch Pässe oder eigene Läufe und leistete sich keinen Ballverlust; und Barkley gelangen unter anderem zwei Touchdowns.

Das waren spektakuläre Nebenhandlungen, wie es sie in jedem Drehbuch gibt, die aber letztlich nur den Rahmen boten fürs große Drama: die Neuauflage von Buffalo Bills gegen Cincinnati Bengals. Hubbard, der Matchwinner am Sonntag, stellte klar, dass die Entscheidung der mächtigen Menschen, die fürs Bills-Heimrecht sorgte, perfekt in sein persönliches Drehbuch passe: "Erstens ziehe ich mit diesen Mitspielern überall in die Schlacht; und zweitens, ganz ehrlich, spiele ich in den Playoffs lieber auswärts." Sonntagabend in Buffalo bedeutet für ihn also: zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

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