Neuer Milan-Trainer Seedorf:Berlusconis Lösung

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Clarence Seedorf: neu auf der Bank des AC Mailand (Foto: AFP)

Monatelang wurde spekuliert, nun ist Clarence Seedorf tatsächlich neuer Trainer des AC Mailand, auf ausdrücklichen Wunsch von Silvio Berlusconi. Für den Boss ist der Neue nicht ungefährlich: Seedorf hat eine eigene Meinung. Und er steht zu ihr.

Von Birgit Schönau, Rom

Clarence Seedorf war immer schon schneller als viele andere. Kurz vor seinem 17. Geburtstag hatte er seinen ersten Einsatz für Ajax Amsterdam, mit 18 gewann er den ersten Meistertitel, mit 19 erstmals die Champions League. Bis heute ist Seedorf der einzige Fußballer, der mit drei Klubs vier Mal die Champions League gewann - außer mit Ajax Amsterdam auch mit Real Madrid und zwei Mal mit dem AC Mailand, wo er zehn Jahre lang spielte.

Jetzt, mit 37, hat der Niederländer aus Surinam schon wieder einen Rekord aufgestellt: Seedorf beendete in Rio de Janeiro seine Karriere als Spieler, verabschiedete sich formvollendet bei seinem Klub Botafogo FR, und bestieg am Dienstag ein Flugzeug, das ihn nach Mailand bringen sollte. Dort wurde er am Mittwoch als neuer Cheftrainer des AC Mailand erwartet, zur zweiten Halbzeit des Pokalspiels La Spezia.

Das hat er dann zwar doch nicht ganz geschafft, beim 3:1-Pflichtsieg fehlte Seedorf noch. Doch auch so war alles sehr schnell gegangen. "Es war eine schwere Entscheidung", gestand Seedorf in einer flugs anberaumten Pressekonferenz in Rio. Er habe sich quasi über Nacht dazu durchgerungen, das Angebot anzunehmen, nachdem ihn Milan-Geschäftsführer Adriano Galliani am Montagmorgen angerufen habe, während des Trainings. "In der Nacht danach habe ich kaum geschlafen, meine Karriere lief wie ein Film vor mir ab. Alles kam so plötzlich", erzählte er.

Als Botafogo dem Spieler noch ein eilig kreiertes Abschiedsgeschenk überreichte, hatte Seedorfs Agentin Deborah Martin in Mailand bereits einen Vertrag unterschrieben. Bis zum 30. Juni 2016 soll Clarence Seedorf den Klub trainieren. Wie hoch sein Salär ist, war noch nicht zu erfahren, nur soviel: "Ich konnte Silvio Berlusconi nicht nein sagen."

Über Seedorf als Nachfolger für den glücklosen Massimiliano Allegri war in Italien seit Monaten spekuliert worden. Der Spieler hatte sowohl Berlusconi als auch Galliani zu Verhandlungen getroffen, überraschend kam das Angebot deshalb nicht. Vielmehr saß Seedorf im übertragenen Sinne schon auf der Milan-Bank - bereit, für Allegri eingetauscht zu werden, falls dieser sich endlich zum Rücktritt entschlossen hätte. Die Lösung hätte Berlusconi favorisiert, um das ausstehende Gehalt und die Abfindung sparen zu können: Der einstmals reichste Mann Italiens ist nach einer 500-Millionen-Geldbuße und den horrenden Unterhaltszahlungen für seine zweite Ex-Frau etwas klamm und hat als verurteilter Steuerbetrüger wenig lukrative neun Monate gemeinnützige Arbeit vor sich.

Allegri ließ sich davon nicht erweichen. Er blieb, bis Milan sich 30 Punkte hinter dem Tabellenführer Juventus Turin auf Platz elf eingependelt hatte und am Sonntag auch noch 3:4 beim Aufsteiger US Sassuolo verlor. Sämtliche Gegentore wurden der einzigen verbliebenen italienischen Mannschaft im Champions-League-Achtelfinale von einem 19-Jährigen verpasst: Domenico Berardi versenkte damit auch den Milan-Coach Allegri. Nur Stunden später wurde er vom Hof gejagt, Geld spielte jetzt keine Rolle mehr.

Gegen La Spezia sitzt Mauro Tassotti für Milan auf der Bank, Milans ewiger Assistenztrainer. Tassotti ist seit 30 Jahren beim Verein, länger noch als Berlusconi. Er hörte als Spieler auf und wurde die Nummer zwei hinter Cesare Maldini, Carlo Ancelotti, Leonardo und Allegri, nun wird er die Nummer zwei hinter Clarence Seedorf. Dabei hat der neue Chef noch gar kein Trainer-Diplom, das wird ihm erst Ende April ausgehändigt. Möglicherweise muss Seedorf bis dahin Tassotti den Vortritt lassen, eine reine Formsache.

Der Neue startet am Sonntagabend in San Siro gegen den Tabellensechsten Hellas mit dem Stürmer Luca Toni, der in dieser Saison schon neun Tore erzielt hat. Kein Problem, sagt Seedorf: "Ich weiß noch nicht, wie meine Mannschaft spielen wird, aber da wird mir schon etwas einfallen. Es ist hilfreich, dort sieben ehemalige Mitspieler anzutreffen." Vor allem den Freund Kaká, der inzwischen von Real Madrid zurückgekehrt ist.

Doch die alten Bekannten könnten für den neuen Trainer ein Problem sein, zeugen sie doch von Milans Zurückhaltung auf dem Transfermarkt. Seit Seedorf weg war, wurden die besten Spieler verkauft, der Ersatz ist eher mittelmäßig. Zuletzt kam Keisuke Honda ablösefrei von ZSKA Moskau, wurde von den Hofgazetten pflichtschuldig als neue Lichtgestalt gefeiert, die sich beim nicht ganz halbstündigen Einstand gegen die Außerirdischen aus Sassuolo spontan verdüsterte.

An Selbstbewusstsein mangelt es Seedorf nicht, er pflegt sehr deutlich seinen Standpunkt zu vertreten, übrigens in fünf Sprachen, wenn es sein muss. Wie das bei Silvio Berlusconi und dessen Stellvertreterin, der nicht weniger autoritären Tochter Barbara ankommt, wird man ja sehen - das Wörtchen "Nein" zum Beispiel verstehen die Berlusconis gemeinhin auch auf Italienisch nicht.

Seedorf aber hatte sich bereits als 20-Jähriger mit seinem damaligen Nationaltrainer Guus Hiddink überworfen. Für die EM 2008 gab er später der Milan-Legende Marco van Basten einen Korb. Mit dem Argument, van Basten verstehe sich nicht auf Menschenführung. Ohnehin, so Seedorf damals, sei die niederländische Nationalelf nicht sein Ding: "Eigentlich war ich immer für Brasilien."

© SZ vom 16.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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