Golden State Warriors in der NBA:Wie tasmanische Teufel

Lesezeit: 3 min

Stephen Curry von den Golden State Warriors musste bis jetzt einiges alleine schultern. (Foto: AFP)
  • Die Golden State Warriors liegen in der Finalserie der NBA mit 1:3 hinten, haben aber den Glauben an eine Wende noch nicht aufgegeben.
  • Dabei spielen die Raptors - angeführt von einem beeindruckenden Kawhi Leonard - überlegenen Basketball.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Und wenn die Wade von Kevin Durant nicht mehr zwickt und er bereits zur fünften Partie der NBA-Finalserie im Kader der Golden State Warriors steht? Wenn der Oberschenkel von Klay Thompson wegen der beiden spielfreien Tage am Samstag und Sonntag ausreichend heilt, dass er am Montagabend die komplette Partie durchhält? Wenn sich Dauerläufer und Scharfschütze Steph Curry ein paar Tage ausruhen kann? Sollten die Warriors dann nicht ein Comeback schaffen, diese Serie gegen die Toronto Raptors gewinnen und zum dritten Mal nacheinander Meister werden?

Es herrscht eine eigenartige Stimmung gerade in der NBA, seit die Raptors am Freitagabend auch die zweite Partie in Oakland (105:92) gewonnen haben. Sie führen nun in der Best-of-seven-Serie mit 3:1, zwei der verbleibenden Partien würden in heimischer Halle stattfinden. Toronto ist noch einen Sieg davon entfernt, als erster kanadischer Verein die Meisterschaft in der besten Basketballliga der Welt zu gewinnen - und dennoch darf zum Beispiel Curry sagen, ohne dass es nach Durchhalteparole klingt: "Es ist noch nicht vorbei. Jeder von uns glaubt daran, dass wir das noch schaffen können."

Was da gerade los ist, lässt sich am besten mit diesem einen Wort beschreiben, das Joel Embiid bei Twitter veröffentlicht hat. "Regret", schrieb der Center der Philadelphia 76ers, der nach seiner Karriere als Basketballspieler ohnehin eine Laufbahn als Twitter-Komiker anstreben sollte, nach der vierten Partie. Er bereut, dass sein Verein die spannende Viertelfinalserie gegen die Raptors verloren hat, durch einen Wurf in letzter Sekunde der entscheidenden Partie - bei dem der Ball in nur für Physikprofessoren verständlichen Richtungen über dem Korb tanzte, eher er durch den Ring tropfte.

Die Warriors haben den besten Kader der Liga

Embiid schreibt noch ein bisschen mehr: "One hand wash away lmao" - er lacht sich also kaputt darüber, dass er seiner Meinung nach nur ein Händewaschen vom NBA-Titel entfernt gewesen ist. Embiid hatte eine Erkältung geplagt, und seine Einträge implizieren nun zum einen: Wäre ich gesund gewesen, dann hätten die 76ers die Raptors und danach auch die Milwaukee Bucks bezwungen. Und zum anderen: Gegen diese angeschlagenen Warriors würde Philadelphia nun auch 3:1 führen.

"Wir haben das schon mal erlebt, auf der falschen Seite allerdings - warum sollten wir diese Geschichte nicht andersrum schreiben? Wir müssen drei Spiele nacheinander gewinnen, das ist uns schon gelungen", sagt Flügelspieler Draymond Green, auch bei ihm klingt es weniger nach Verzweiflung denn nach Herausforderung, und es stimmt schon: Die Warriors haben den besten Kader der Liga, wenn alle Spieler gesund sind - und deshalb kursieren nun sogar schon Karma-Theorien durch die sozialen Medien: Im Jahr 2016 haben die Warriors im Halbfinale einen 1:3-Rückstand gegen Oklahoma City Thunder (damals noch mit Durant) aufgeholt, dann aber in der Finalserie einen 3:1-Vorsprung gegen die Cleveland Cavaliers verspielt.

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Was wäre das für eine Geschichte, würde Kevin Durant die Warriors zum Comeback führen. Sie glauben daran bei den Warriors, auf unheimliche Weise sind diese Comebacks ein Alleinstellungsmerkmal der Warriors, auch im Mikrokosmos einzelner Spiele: Sie lagen in dieser Saison gegen Ende der ersten Halbzeit häufig deutlich im Rückstand, dann schafften sie vor der Pause ein paar gelungene Aktionen in der Defensive und einige Drei-Punkte-Würfe, kamen aus der Umkleidekabine wie tasmanische Teufel - und führten plötzlich. Beim zweiten Spiel dieser Finalserie zum Beispiel lagen sie 5:16 Minuten vor der Halbzeit mit zwölf Punkten zurück, zur gleichen Zeit im dritten Viertel führten sie mit zwölf.

Doch, Moment mal: Warum eigentlich reden nun so viele Leute über ein mögliches Comeback der Warriors? Warum reden sie nicht darüber, wie fantastisch die Raptors bislang gespielt haben? Sie profitieren von Verletzungen und Blessuren des Gegners, gewiss, doch welcher Spieler kann derzeit von sich behaupten, schmerzfrei zu sein? Raptors-Aufbauspieler Fred van Fleet musste nach einem (unabsichtlichen) Ellenbogenschlag von Shaun Livingston mit sieben Stichen an der Wange genäht werden, er verlor ein Stück eines Zahnes - und kehrte nach kurzer Behandlung aufs Spielfeld zurück.

Die Raptors spielen eine - man kann, man darf das nicht anders sagen - unfassbare Serie. Sie sind herausragend eingestellt von Trainer Nick Nurse, übrigens in dessen erster Saison als NBA-Cheftrainer. Er kann es sich leisten, auch aufgrund der Blessuren der Warriors, hin und wieder die so genannte "Box-and-One-Defensive" auszurufen, die gewöhnlich im Jugendbasketball verwendet wird, wenn vier Spieler den Korb beschützen und einer den besten Spieler des Gegners durch konsequente Verfolgung nervt. Nurse reagiert schnell und meist virtuos darauf, was gerade auf dem Spielfeld passiert. Er hat seine Strategie den Gegebenheiten dieser Finalserie grandios angepasst.

Ja, die Warriors sind verwundbar gerade, doch wäre das als Analyse der bisherigen vier Partien zu kurz gegriffen. Die Raptors erwiesen sich nicht nur als ebenbürtiger Gegner, sondern als, ja wirklich: die bessere Mannschaft. Sie haben in der regulären Spielzeit zwei Mal gegen die Warriors gespielt, beide Male war Kevin Durant dabei, und beide Male haben die Raptors gewonnen. Gewiss, diese Partien sind nicht mit denen einer Finalserie zu vergleichen, aber: Sie scheinen nun endlich an sich zu glauben in Toronto, ohne zu früh zu feiern. Kawhi Leonard, der bislang beste Spieler dieser Serie (30,7 Punkte und 10,2 Rebounds pro Partie), zitierte nach der vierten Partie einfach Steph Curry: "Es ist noch nicht vorbei."

© SZ vom 09.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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