Basketball:Das wertvollste Rädchen im Uhrwerk

Basketball: Wann kommt er zurück? In welchem Zustand? Und wo spielt er nächste Saison? Um die Zukunft von Kevin Durant ranken sich viele Fragen.

Wann kommt er zurück? In welchem Zustand? Und wo spielt er nächste Saison? Um die Zukunft von Kevin Durant ranken sich viele Fragen.

(Foto: Nathan Denette / AP)

In der NBA-Finalserie wirft Titelverteidiger Golden State die Frage auf, ob er ohne den angeschlagenen Kevin Durant vielleicht sogar besser dran ist.

Von Jürgen Schmieder, Oakland/Los Angeles

Es gibt Sportler, die lassen das Schwere leicht aussehen und das Mühevolle mühelos: Aktuell zu bestaunen sind zum Beispiel Roger Federer bei den French Open im Tennis, Alex Morgan bei den Vorbereitungsspielen zur Frauenfußball-WM oder Steph Curry und Klay Thompson in der Finalserie der Basketball-Profiliga NBA. Weil es immer so locker aussieht, wenn die Scharfschützen der Golden State Warriors den Ball aus acht Metern Entfernung ohne Ringberührung ins Netz platschen lassen, vergessen die Zuschauer bisweilen, welche Anstrengungen nötig sind, damit es so lässig daherkommt.

Eine beispielhafte Szene aus der zweiten Partie gegen die Toronto Raptors, die Warriors gewannen 109:104 und glichen die Serie aus: Curry dribbelt den Ball nach vorn, sein Laufweg wird von Draymond Green freigesperrt, und weil die Verteidiger nun beide Curry nachlaufen, gibt der ab auf den unbewachten Green. Der läuft in Richtung Korb und sorgt für weitere Verwirrung in der Defensive, über Thompson und DeMarcus Cousins kommt der Ball zurück zu Curry, der sich in der Ecke über einen weiteren Block freigelaufen hat. Sämtliche Laufwege und Pässe sind perfekt aufeinander abgestimmt, die Offensive der Warriors funktioniert wie ein Uhrwerk, die Verteidigung der Raptors kollabiert - und dann macht es "platsch".

Schön anzusehen ist das, Basketball zum Zungeschnalzen, allen 22 erfolgreichen Würfen in der zweiten Halbzeit ging jeweils ein sofort verwertbares Zuspiel voraus. Zum Vergleich: Die Houston Rockets, komplett ausgerichtet auf den dauerdribbelnden James Harden, hatten in der kompletten fünften Partie der Viertelfinalserie gegen die Warriors gerade mal 19 Assists geschafft. Es sieht leicht und lässig aus, was Golden State praktiziert, und es führt aufgrund der Verletzung von Kevin Durant zu einer philosophischen Frage: Kann das Kollektiv so viel mehr sein als die Summe der einzelnen Teile, sodass es das beste Einzelstück gar nicht mehr braucht?

Durant ist aktuell einer der fünf besten Basketballer auf diesem Planeten, darüber gibt es keinen Zweifel, vielleicht ist er derzeit sogar der beste. Er ist in der Lage, von jeder Position aus für sich selbst Wurfchancen zu kreieren, mittlerweile ist er ein brauchbarer Spielmacher und hervorragender Verteidiger, und auch bei ihm sieht alles locker und lässig aus. So einer kann jedem Team helfen, seit seinem Wechsel aus Oklahoma City im Jahr 2016 hat er genau das getan: Die Warriors haben in den vergangenen zwei Spielzeiten den Titel gewonnen, Durant ist jeweils zum wertvollsten Spieler der Finalserie gewählt worden.

Seit jener fünften Partie gegen Houston fehlt Durant allerdings wegen einer Wadenverletzung, er könnte nun zum dritten Spiel an diesem Mittwoch in Oakland, Kalifornien, zurückkehren. Sie warten sehnsüchtig auf ihn bei den Warriors, auch weil der Einsatz von Devon Looney (Blessuren am Schlüsselbein) ausgeschlossen und der von Thompson (Oberschenkelverletzung) fraglich ist. Und doch lautet die Frage, nicht nur für den Verlauf der Finalserie: Sind die Warriors ohne Durant vielleicht sogar besser dran? Funktioniert dieses Uhrwerk ohne das wertvollste Rad womöglich sogar präziser? "Sie sind variabler, schneller und unvorhersehbarer ohne ihn", sagt zum Beispiel Currys Bruder Seth vom Halbfinalgegner Portland Trail Blazers.

Durant, 30, ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens, er darf am Saisonende wechseln, wohin er möchte, und er hat bereits angekündigt, was er zu tun gedenkt: "Ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich tun werde. Was ich will: Basketball spielen und Geld stapeln. Ich will so viel Geld wie möglich verdienen." Aufgrund der NBA-Regeln können die Warriors diesen Wunsch am ehesten erfüllen, sie dürfen ihm einen Fünfjahresvertrag mit einem Gesamtgehalt von 221,3 Millionen Dollar anbieten - jeder andere Klub darf maximal 164 Millionen Dollar für vier Jahre offerieren.

Die New York Knicks sind interessiert, die Los Angeles Clippers ebenfalls, nur: Sind auch die Warriors interessiert? Sie müssen auch den Vertrag von Thompson verlängern, im Gespräch sind mehr als 190 Millionen Dollar für fünf Spielzeiten. Die Verträge von Curry (40,2 Millionen), Green (18,5 Millionen) und Andre Iguodala (17,2 Millionen) für die kommende Saison sind fix, bei einem Verbleib von Durant und Thompson bliebe wegen der Gehaltsobergrenze kaum Raum für weitere interessante Einzelstücke, die das Warriors-Kollektiv derzeit so viel besser machen als die Summer der Teile - der gerade genesene Center Cousins zum Beispiel, Looney, Cook oder Shaun Livingston, die nach dieser Saison allesamt ohne Vertrag dastehen.

Derzeit wird jedes noch so kleine Indiz für einen Blick in die Glaskugel verwendet: dass Durant sein Haus in Nordkalifornien zum Verkauf angeboten und eine Villa in New York gekauft hat zum Beispiel; oder dieses T-Shirt mit sämtlichen Spielorten Durants seit der Highschool, ganz unten ist San Francisco vermerkt, dorthin ziehen die Warriors aber erst in der kommenden Saison. Solche Sachen eben.

Eine entscheidende Rolle könnte der weitere Verlauf der Finalserie spielen. Wird Durant zurückkehren, wann genau, in welchem Zustand? Wie gut kann er spielen? Gewinnen oder verlieren die Warriors trotz oder wegen ihm? Es ist unmöglich, den Ausgang vorherzusagen, diese Serie ist offen, zumal die Toronto Raptors in den ersten beiden Spielen gezeigt haben, dass sie es für die Warriors keinesfalls leicht, lässig oder gar mühelos aussehen lassen wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: