Denver Nuggets in der NBA-Finalserie:Ein Nugget namens Jokic

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Verschafft sich Zeit, peilt die Lage, verteilt die Bälle, erhöht das Tempo nach Belieben: Nikola Jokic (rechts) auf dem Weg ins NBA-Finale. (Foto: Gary A. Vasquez/Imago)

In der NBA-Finalserie schauen alle auf einen 28-jährigen Serben. Einen wie ihn hat es in der Liga noch nie gegeben: Der Center aus Denver gestaltet das Spiel, zockt wie ein Streetballer - und ist erstaunlich altruistisch.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich wird ordentlich spekuliert vor der NBA-Finalserie zwischen den Denver Nuggets und Miami Heat; es gibt in etwa so viele Prognosen, wie es Basketballfans gibt. Das liegt nicht nur an der wunderbaren Eigenheit von Profisport, dass zwar niemand weiß, wie es ausgehen wird, aber alle zu wissen glauben, was passieren muss, damit es so oder so ausgeht. Es liegt in diesem speziellen Fall auch an der Konstellation: Wer hatte zu Beginn der Playoffs geglaubt, dass die Außenseitertruppe aus Florida, die noch im Schlussviertel des Entscheidungsspiels um den letzten Playoff-Platz zurückgelegen hatte, erst die Milwaukee Bucks und dann die Boston Celtics besiegen würde, die beiden erfolgreichsten Teams der regulären Saison?

Kaum jemand, genau deshalb müssen sich nun alle Experten erst einmal neu sortieren. Und weil die SZ-Sportredaktion nicht immun dagegen ist zu glauben, genau zu wissen, was passieren wird müssen und wie es ausgehen wird, kommt hier eine Prognose zu diesem Finale in der nordamerikanischen Basketballliga: Es ist gut möglich, dass Nikola Jokic von den Denver Nuggets auch bei einem Triumph seines Vereins nicht zum wertvollsten Spieler der Best-of-seven-Serie gewählt wird - und zwar genau deshalb, weil er der wertvollste Spieler für die Nuggets ist.

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Es wird jetzt viel über den Lulatsch-Lümmel aus Serbien geredet, der die Sportart und damit die NBA auf den Kopf stellt. Die einen vergleichen ihn mit Football-Legende Tom Brady, der einst an 199. Stelle der Talentbörse gewählt wurde - und sich zum erfolgreichsten Akteur der Geschichte entwickelte. Die Nuggets wählten Jokic im Jahr 2014 an 41. Position; das ist im Basketball, was im Football die 199 ist, und Jokic steht damit symbolisch dafür, dass es beim Draft keineswegs darum geht, wie gut einer ist, sondern wie gut einer werden kann. Jokic ist mittlerweile fünfmaliger All-Star, zwei Mal ist er zum wertvollsten Spieler der regulären Saison gewählt worden. Nun hat er mit bislang acht Triple Doubles - so viele wie noch kein Spieler in der NBA-Geschichte - seine Nuggets durch die Playoffs zur ersten Final-Teilnahme der Vereinsgeschichte geführt.

Jokic, 28, gilt als Beispiel dafür, was passiert, wenn einer Dinge mitbringt, die nur schwer zu erlernen und deshalb nur schwer zu messen sind: Spielfreude, Ballgefühl, Auge für Situation und Mitspieler sowie Gelassenheit in all dem Zirkus, der die NBA oftmals ist - und dann im besten Basketball-System der Welt das Erlernbare lernt. Wie zu Beginn seiner Profilaufbahn wiegt er 125 Kilo, doch wirkt er nun nicht mehr wie ein Teig auf Füßen - es gibt von ihm, wie von Brady auch, ein überaus unvorteilhaftes Jugendfoto -, sondern wie einer, dem man zutraut, in den Wäldern von Colorado Bäume zu fällen.

Die Trainer haben an der Beweglichkeit gearbeitet, an der Balance, an der Wurftechnik - haben ihm aber seine Zocker-Eigenheiten gelassen, derentwegen er einzigartig ist. "Basketball-IQ" ist ein Begriff, der inflationär verwendet wird und oft deshalb, weil Leute nicht erklären können, warum jemand so gut ist. Letztlich bedeutet es, und zwar in jeder Sportart: Er trifft sehr häufig Entscheidungen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sein Team erfolgreich sein wird.

Einen wie ihn gibt es so nicht in der NBA, hat es vielleicht auch noch nie gegeben

Ja, er schafft grandiose individuelle Statistiken; siehe die acht Triple Doubles, also jeweils zweistellige Werte in drei Statistik-Kategorien, in den Playoffs hat er bislang sogar ein Triple Double im Schnitt geschafft: 29,9 Punkte pro Partie, 13,3 Rebounds, 10,3 Zuspiele. Man nimmt ihm aber ab, wenn er beteuert, dass ihm diese Werte so was von egal sind, solange die Mannschaft erfolgreich ist, und das hebt ihn ab von anderen Superstars in dieser Liga. Die wollen freilich ebenfalls gewinnen und Titel holen, wollen dabei aber gefälligst als Hauptgrund dafür gewürdigt werden - unvergessen Kobe Bryant, der erst dann zufrieden war, als er zum NBA-Titel 2009 auch die Auszeichnung des MVP als "wertvollster Spieler der Finalserie" bekam. Jokic ist anders, diese Finalserie ist anders, und das führt zu dieser Prognose.

Jokic ist Center-Spielmacher, einen wie ihn gibt es so nicht in der NBA, hat es vielleicht auch noch nie gegeben - und so was sorgt für eine Denksportaufgabe beim Gegner, der sich nicht auf ihn vorbereiten kann, so wie niemand einen Ballwechsel gegen Novak Djokovic oder einst das Einstecken eines Hakens von Mike Tyson trainieren kann, ohne es direkt zu erleben. Heat-Trainer Eric Spoelstra, übrigens selbst mit bemerkenswertem Basketball-IQ gesegnet, muss zu Beginn eine Entscheidung treffen, wie er mit Jokic umgehen will, und diese Strategie muss er während der möglicherweise sieben Spiele immer wieder anpassen; also quasi einen Reifen bei voller Fahrt wechseln - denn der schlaue Jokic wird auf die gegnerische Taktik auch reagieren und sein Spiel dementsprechend anpassen.

Selbst Lakers-Titelsammler LeBron James (Nr. 6) gelang es im NBA-Halbfinale selten, sich gegen die Kernspieler von Denver durchzusetzen - von links: Jamal Murray (Nr. 27), Aaron Gordon (50) und Nikola Jokic. Letzterer führte die Nuggets zu einem unerwartet deutlichen 4:0-Triumph. (Foto: Harry How/Getty)

Das bedeutet: In Doppeldeckung wird er das ohnehin fantastische Zusammenspiel mit Aufbauspieler Jamal Murray suchen und ihm das Rampenlicht sowie die meisten Punkte überlassen; und wenn Murray so zuverlässig trifft wie bisher in diesen Playoffs (48 Prozent aus dem Feld, 40 Prozent von jenseits der Dreierlinie, 92 Prozent aller Freiwürfe für durchschnittlich 27,7 Punkte pro Partie), ist er dank Jokic definitiv ein MVP-Kandidat des Finales. Gut möglich auch, dass Jokic in bedeutsamen Momenten Ausschau hält nach Aaron Gordon; wenn der trifft und gleichzeitig herausragend gegen Heat-Starspieler Jimmy Butler verteidigt, könnte er so wertvoll sein, wie es Andre Iguodala 2015 für die Golden State Warriors war - als dieser trotz des Trios Steph Curry, Klay Thompson und Draymond Green zum MVP gewählt wurde.

Weil Jokic so einzigartig ist - ein 2,11-Meter-Hüne mit dem Ballgefühl eines Flügelspielers, der Übersicht eines Aufbauspielers und der Spielfreude eines Streetball-Zockers -, macht er alle um sich herum besser; und es bereitet ihm erkennbar Freude, dass er das schafft. Jokic ist der beste Bessermacher der NBA, und deshalb ist es bei einem Nuggets-Triumph gut möglich, dass ein anderer zum MVP gewählt wird: weil Jokic ihn dazu gemacht hat.

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