EM-Kandidat Schottland:Für die Pubs, den Thymian und die Tartan Army!

Lesezeit: 3 min

Schottischer Sturmlauf nach dem 0:0 und 5:3 im Elfmeterschießen gegen Israel, das zum Playoff-Finale führte. (Foto: Andrew Milligan/PA Images/Imago)

Seit 22 Jahren sehnen sich die fußballbegeisterten Schotten nach der Teilnahme bei einem Großereignis. Im Playoff-Finale zur EM treten sie in Serbien an - und wollen auch für Berti Vogts gewinnen.

Von Sven Haist, London

Vor dem wichtigsten Fußballspiel seit 13 Jahren lässt Schottland nichts unversucht. Der beliebte Radiosender Clyde 1 veröffentlichte am Dienstag in seiner Morgenshow ein zweiminütiges Musikvideo - Titel: "We all go together", wir gehen alle zusammen! Der emotionale Clip soll der Nationalmannschaft als Motivation für die Reise nach Serbien dienen, zum Entscheidungsspiel an diesem Donnerstag (20.45 Uhr) um die Teilnahme an der kommenden Europameisterschaft.

Die Inspiration für das Video lieferte das Volkslied "Wild Mountain Thyme", wilder Bergthymian, ein hinreißendes Stück aus dem alten Jahrtausend, das auf poetische Weise die Liebe mit der Natur verbindet - und dessen Refrain es verdient, gelesen zu werden: "Wir gehen alle zusammen / wilden Bergthymian pflücken / rund um die blühende Heide / willst du mitgehen, Mädchen, gehst du mit?" Vor der EM 1996 in England sang Rod Stewart seine leicht abgewandelte Version "Purple Heather", lila Heidekraut, mit der schottischen Nationalelf ein. Beim Turnier scheiterte das Team dann unglücklich in der Vorrunde.

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Der Hunderttausende Male angesehene Beitrag von Clyde 1 illustriert das Warten der tapferen Schotten, ihre Beharrlichkeit, Sehnsucht und besonders ihre Hoffnung, nach 22 Jahren endlich wieder bei einem Großereignis dabei sein zu dürfen.

Zuletzt ist das bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich der Fall gewesen. Nach einem 0:3 gegen Marokko schied die von Craig Brown gecoachte Elf nach der Gruppenphase aus. Seitdem haben sich acht verschiedene Trainer versucht. Ein paar davon werden im Video erwähnt, zum Beispiel Gordon Strachan, Alex McLeish, Walter Smith, auch der frühere Bundestrainer Berti Vogts und die legendären Spieler Kenny Dalglish und Graeme Souness. Für sie alle soll gegen Serbien gewonnen werden, heißt es im Clip. Und für einiges mehr, was Schottland ausmacht: die Pubs, die Towns, die Hügel und Täler, die lila Heide und den Bergthymian. Und natürlich soll für die Tartan Army, die Fans, gewonnen werden. Und für James McFadden, einer der vielen tragischen Figuren.

Die Schotten erwartet nun der "Nailbiter"

Sein unglaublicher Siegtreffer 2007 gegen Frankreich ist mitten im Video mit Originalkommentar zu sehen. Nach einem Abstoß traf McFadden per Direktschuss aus 35 Metern. Ein weiterer Sieg damals hätte die erfolgreiche EM-Qualifikation für 2008 bedeutet, aber Schottland verlor in Georgien und danach zu Hause gegen Italien - wie so oft, wenn alles auf dem Spiel steht. Vier Jahre zuvor gab es ein 0:6 gegen die Niederlande, nachdem Schottland das Playoff-Hinspiel 1:0 gewonnen hatte.

Jetzt ist Schottland wieder bis auf ein Spiel dran an der dritten Teilnahme bei einer EM nach 1992 und 1996. Nach dem dritten Platz in der Qualifikationsgruppe hinter Belgien und Russland erhielt das Team über die Nations League die zweite Chance. Im Oktober retteten sich die Männer von Trainer Steve Clarke nach einem 0:0 gegen Israel im Elfmeterschießen (5:3) ins Playoff-Finale. Im Rajko-Mitic-Stadion zu Belgrad erwartet die seit acht Spielen ungeschlagenen Schotten nun ein Nailbiter, wie Zitterpartien im Englischen genannt werden. Auch wenn Zuschauer beim Spiel in der serbischen Hauptstadt nicht erlaubt sind, werden die Schotten selbstverständlich trotzdem ihrem Team beistehen - in Gedanken und vor dem Fernseher.

Der Bezahlsender Sky UK gab kurzfristig bekannt, die Partie in Schottland am Donnerstagabend kostenlos zugänglich zu machen. Das war eine bemerkenswerte Entscheidung, nachdem Sky sich die Rechte an den Länderspielen beim schottischen Verband für satte 15 Millionen Pfund pro Jahr gesichert hat - und noch vor einem Monat die damalige Bitte der Regierungschefin Nicola Sturgeon ablehnte, das "Old Firm" - das prestigeträchtige Glasgower Stadtduell Celtic gegen Rangers - frei empfangbar auszustrahlen. Sturgeon überkam die Sorge, die Fans beider Lager würden für diese Partie über die Grenze in die Pubs nach England reisen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kneipen daheim zum Schutz vor den Coronaviren bereits geschlossen.

Gegen Serbien, das in Dusan Tadic (Ajax Amsterdam), Sergej Milinkovic-Savic (Lazio Rom), Luka Jovic (Real Madrid) und Aleksandar Mitrovic (FC Fulham, 36 Tore in 59 Länderspielen) über renommierte Individualisten verfügt, setzt Schottland vorwiegend auf Zusammenhalt und Kampfgeist. Das Team ist abgehärtet, alle nominierten Spieler verdienen ihr Geld im physischen britischen Inselfußball. Aus dem homogenen Aufgebot ragen die Profis aus der Premier League heraus, allen voran die Außenverteidiger Andrew Robertson (FC Liverpool) und Kieran Tierney (FC Arsenal), zudem Mittelfeldspieler Scott McTominay (Manchester United).

Trainernovize Steven Gerrard mit exzellenter Arbeit

Die guten Ergebnisse des Nationalteams gehen einher mit dem wiederbelebten Zweikampf zwischen Celtic und Rangers in der Meisterschaft. Nach neun Titeln in Serie für Celtic und dem Zwangsabstieg der Rangers 2012 in die vierte Liga scheinen die Rivalen nun wieder sportlich auf Augenhöhe zu sein. Momentan führen die Rangers sogar bei zwei Spielen mehr neun Punkte vor Celtic. Zurückzuführen ist das auf die exzellente Arbeit des Trainernovizen Steven Gerrard, der mit Liverpool als Spieler große Erfolge feierte. Für die Rangers war Gerrards Verpflichtung vor zwei Jahren ein ähnlicher Glücksfall wie vorher die zweieinhalbjährige Tätigkeit von Erfolgscoach Brendan Rodgers (mittlerweile Leicester City) bei Celtic.

In der Europa League kämpfen beide zusammen ums internationale Ansehen der schottischen Premiership, ein Co-Erfolg der Nationalelf wäre da enorm hilfreich. Eine EM-Teilnahme würde den Schotten in der Vorrunde zwei Spiele im Glasgower Hampden Park garantieren - sowie ein Duell beim Nachbarn England. Sollten sie sich qualifizieren, würde es sicher wieder heißen: "We all go together."

© SZ vom 12.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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