DFB-Team:Der Malediven-Trick ist ausgemustert

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Bizarr! Müller läuft, Müller stürzt, Müller läuft weiter - ein Tor entwickelte sich aus dieser deutschen Freistoß-Variante im WM-Achtelfinale 2014 nicht. Aber die Welt hat laut gelacht. (Foto: imago/Ulmer/Teamfoto)
  • Bei der WM 2014 fielen sechs deutsche Tore (inklusive eines Elfmeters) nach Standardsituationen.
  • Damals durften sich die Spieler Ecken- und Freistoßübungen im Training selbst ausdenken - und entwickelten die Variante, bei der sich Thomas Müller später im Spiel gegen Algerien hinfallen ließ.
  • Diesmal räumen sie beim DFB-Team ein, dass die Standards im Training "bisher nicht die Priorität eins" hatten. Man habe aber "konkreter und expliziter" geübt, sagt Co-Trainer Thomas Schneider.

Von Christof Kneer, Watutinki

Das Training hinter dem großen grünen Sichtschutz war natürlich auch an diesem Freitag wieder streng geheim, aber eine Nachricht darf man dennoch unbesehen nach draußen geben: Thomas Müller wird sich im Training nicht freiwillig auf den Boden geschmissen und dann wieder aufgerappelt haben, und Toni Kroos wird keinen Ball in seine Richtung geschnippelt haben, der dann an einer Freistoßmauer hängen blieb.

Vermutlich ist es so, dass man diese legendäre Freistoß-Szene aus dem Achtelfinale der WM 2014 nicht mal nachstellen könnte, wenn man es wollte, aber im Moment wollen sie das auch gar nicht beim DFB. Sie haben am Freitag zum ersten Mal in der Vorbereitung Standardsituationen trainiert, sie haben einige Varianten getestet, mit denen sie den Mexikanern Schaden zufügen wollen. Ein absichtlicher Sturzflug war nicht dabei.

"Der dämlichste Freistoß aller Zeiten" stand unter den Videoclips, die sich nach dem Spiel gegen Algerien im Netz verbreiteten, aber das war natürlich nur die Ignoranz einer virtuellen Laiengemeinde. Den deutschen Spielern erging es wie den großen Künstlern, deren Werk eine irritierte Zeitgenossenschaft noch nicht verstehen kann, allerdings hatten die Fußballer noch Glück: Sie mussten keine 100 Jahre warten, um eine angemessene Würdigung für ihre schräge Kreation zu erfahren. Als sie drei Spiele später Weltmeister waren, dichtete die Sportwelt begeisterte Hymnen auf ein Team, das sich trotz seiner fußballerischen Qualität nicht zu fein war, sich auf ein paar Basics zu besinnen.

"Wir haben diesmal bewusst mehr Muster vorgegeben", sagt Co-Trainer Schneider

Sechs deutsche WM-Tore (ein Elfmeter mitgerechnet) fielen nach Standardsituationen - jener klassischen Disziplin, die Bundestrainer Löw gern "stehende Bälle" nennt. Damit weiß man schon alles, was man wissen muss: Löw ist einer, der den Ball vor allem dann mag, wenn er läuft, nicht steht - weshalb er Ecken und Freistöße jahrelang etwa so intensiv trainieren ließ wie Fallrückziehertore bei Vollmond.

Es gilt bis heute als eine von Löws größeren Leistungen bei der WM in Brasilien, dass er sich überzeugen ließ - von seinem damaligen Assistenten Hansi Flick, der das Vertrauensverhältnis mit seinem Chef auf eine harte Probe stellte, weil er ihn in ständiger Wiederholung mit diesen Standards und diesen Standards nervte. Am Ende übertrug ihm Löw die Ressortleiterschaft für diese Traditionsabteilung, woraus Flick mit ein paar Vertrauten die inzwischen tausendmal gewürdigten Standard-Challenges entwickelte - jene Ecken- und Freistoßübungen, die sich die Spieler zum Teil selbst aussuchen oder gar ausdenken durften. Wie eben den sogenannten Malediven-Trick aus dem Algerien-Spiel, der auf ein Elfmeterschießen zwischen den Malediven und Afghanistan beim asiatischen Challenge Cup im Mai 2014 zurückging. Damals tat einer der Schützen so, als würde er stolpern, sprang aber wieder auf - was der pointensichere Thomas Müller natürlich sofort nachmachen musste.

Beim aktuellen WM-Turnier wird die Kunstwelt keine Innovationen von den Deutschen erwarten dürfen, "konkreter und expliziter" habe man die Standards trainiert, sagt Löws Assistent Thomas Schneider. Die Trainer haben diesmal keine Blöcke und Stifte an die Spieler verteilt, sie wollten keine Neuerfindungen provozieren, diese Geschichte halten sie für auserzählt. "Wir haben diesmal bewusst mehr Muster vorgegeben", sagt Schneider, der einräumt, dass die Standards im Training "bisher nicht die Priorität eins" hatten. Sie möchten sich trotzdem nicht nachsagen lassen, dass sie diese Urtugend vernachlässigt hätten: Schneider verweist darauf, dass die hauseigenen Analysten seit 2014 "Tausende von Varianten" gesammelt und archiviert hätten, von denen einige "zielgerichtet" geübt worden seien.

Thomas Müller besteht übrigens bis heute darauf, dass der Malediven-Trick damals funktioniert hat. Der Freistoß von Toni Kroos sei halt nur "ein paar Zentimeter zu tief gewesen".

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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