Football:Raben für Minijob gesucht

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Viel Rauch in der Vorstadt: Einlauf der Munich Ravens Anfang September beim Heimspiel gegen Barcelona. (Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Der Andrang beim Sichtungstraining der Munich Ravens ist gewaltig - auch weil die Spieler nach der erfolgreichen Premierensaison der Football-Franchise wissen, dass die Münchner eine der besseren Adressen in Europa sind. Und Titel holen wollen.

Von Christoph Leischwitz

Am vergangenen Sonntag hielt die amerikanische Football-Profiliga NFL mal wieder ein Spiel in London ab, aber Zac Cooney-Quinn war das egal, dass in seiner Heimatstadt zwei der weltweit 32 besten Teams zu einem gut besuchten Spektakel aufeinandertrafen. Der 23-jährige Abwehrspieler will ja selbst Karriere machen und verbrachte den Tag deshalb in: München.

Dort hatte das Football-Franchise Munich Ravens zum Tryout eingeladen, zu einem Sichtungstraining. "Es lief ganz gut", sagt er nach sechs Stunden auf dem Kunstrasen. 85 Spieler waren gekommen, in der Hoffnung, bei den Ravens anheuern zu können. Der Gastspieler von der Insel, dem sie ein Trikot mit der Nummer "9" gegeben hatten, stach schnell heraus, durch seine Antrittsschnelligkeit und seine Präzision in den Abläufen. Gegen Ende fing er in einem simulierten Spielzug auch noch den Wurf des gegnerischen Quarterbacks ab. Cooney-Quinn hat vier Jahre an einem College in den USA verbracht, jetzt will er in Europa Profi werden, er wird noch viel reisen in den kommenden Tagen. "Barcelona, Paris... die Tryouts sind alle ungefähr zur selben Zeit", sagt er.

Ein Tryout ist immer auch mit ein bisschen Eigenwerbung verbunden. Als sie vor einem Jahr aus dem Ei schlüpften, mieteten sie das Olympiastadion an, diesmal den Rasenplatz Nummer zwei am Campus des FC Bayern. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Ravens vor ihrem ersten Jahr in der European League of Football (ELF) beim FC Bayern angefragt hatten, ob sie dort ihre Heimspiele austragen könnten. Der Fußballverein ist bekanntlich recht footballaffin, es besteht auch eine Kooperation mit den Kansas City Chiefs. So bewahrten sich die Ravens die guten Kontakte.

Es ist zwar noch völlig offen, ob die Ravens einmal so etwas werden wie der FC Bayern des europäischen Footballs. Fest steht aber nach der Premierensaison im vergangenen Sommer, dass München ein guter Standort ist. 5000 Zuschauer kamen im Schnitt zu den Heimspielen. Die Liga selbst steht vor ihrem vierten Jahr, sie ist von einem starken Gefälle geprägt: Manche Teams verzeichnen kaum Zuschauer und haben Finanzierungsprobleme, die Teams in Leipzig oder Istanbul gibt es schon gar nicht mehr. Auf der anderen Seite müssen sich Hamburg oder Düsseldorf in Sachen Zuschauerinteresse nicht einmal mehr vor Fußball-Bundesligisten verstecken. München gehört schon jetzt zu den besseren Adressen.

Vielen Spielern war die Nervosität beim Tryout anzumerken. Football-Profi zu werden, das war vor wenigen Jahren noch undenkbar, jetzt winkt zumindest eine Verpflichtung auf Minijob-Basis. Ein großer Stamm der Vorsaison wird in München bleiben, aber längst nicht alle. "Ungefähr 30 werden wir in die Saisonvorbereitung mitnehmen", sagt Ravens-Sportdirektor Sean Shelton über die Tryout-Teilnehmer. Davon landet geschätzt die Hälfte im Kader, der im Juni in die Saison gehen wird.

Der neue Trainer dürfte nur wenig Akklimatisierungszeit benötigen: "Ich verstehe die europäische Art des Spiels, ich kenne sie durch und durch", sagt Kendral Ellison

Gut möglich also, dass Cooney-Quinn, der auffällige Engländer, dann auch wieder ein Ravens-Trikot tragen wird. Selbstverständlich ist es allerdings nicht. Denn in ihrem ersten Jahr haben die Ravens viel darüber gelernt, was sie wollen und was nicht. Was sie offensichtlich nicht wollen, ist ein Trainer, der mit der europäischen Mentalität der Spieler nicht so gut klarkommt. Wohl auch deshalb musste John Shoop nach einem Jahr schon wieder gehen, obwohl die erste Saison mit sieben Siegen in zwölf Spielen durchaus positiv verlief. Doch so manche Ansage soll für europäische Ohren zu harsch und zu laut gewesen sein. Es geht im europäischen Profi-Football also auch darum, seine eigene Linie zu finden, und nicht einfach den American-Football-Way zu kopieren.

Shoops Nachfolger ist zwar auch US-Amerikaner, jedoch einer, der acht Jahre lang in Europa spielte, vor allem in Deutschland, und sich jetzt nur noch von Hamburg kommend akklimatisieren muss. Bei seiner Vorstellung sprach der 35-jährige Kendral Ellison auffällig viel über seine europäische Erfahrung. "Ich verstehe die europäische Art des Spiels, ich kenne sie durch und durch." Und ergänzte: "Wenn man glückliche Arbeitnehmer hat, passieren großartige Dinge." Ellison wurde auch prompt mit einem Zweijahresvertrag ausgestattet, was für die junge Liga noch eher eine Ausnahme ist.

Sportdirektor Shelton sagt, man dürfe Ellisons Verpflichtung auch dahingehend verstehen, die Stellung der deutschen Spieler zu stärken. Deshalb wird es Cooney-Quinn nicht leicht haben, ein Raven zu werden, zumal es für Nicht-EU-Ausländer ein stark begrenztes Kontingent gibt (zehn, davon maximal vier aus den USA). Ein gleichgutes Talent aus Deutschland wird immer den Vorzug bekommen. So befinden sich alle ELF-Teams in einem permanenten Balanceakt zwischen internationalem Flair und Lokalpatriotismus.

Dem Vernehmen nach nutzte der neue Chefcoach Ellison das Tryout auch dafür, die bisherigen Co-Trainer zu sichten. Denn auch die Position des Co-Trainers für die Offensive ist noch nicht besetzt, das soll aber bald geschehen. "Jetzt ist es meine Aufgabe, all das zu einem bayerischen Kraftpaket zusammenzuführen", sagte Ellison. Die Reise sei lang, aber Ziel sei es, Titel zu gewinnen.

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