Mont Ventoux bei der Tour de France:"Setzt mich wieder auf das Rad"

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Der britische Radrennfahrer Tom Simpson ließ 1967 am Mont Ventoux sein Leben. (Foto: dpa)

Wenn die Fahrer der Tour den Teufelsberg Mont Ventoux besuchen, werden sie keinen Blick haben für die Gedenktafel kurz vor dem Gipfel. Der Brite Tom Simpson starb hier 1967 - aufgeputscht mit einem Drogencocktail. Aus der Tragödie hat der Sport sehr wenig gelernt.

Von Andreas Burkert, Tours

Es ist jetzt wieder richtig heiß, der Sommer hat sich endlich eingerichtet in Frankreich. Die Provence glüht, so wie damals, als sie zu einem traurigem Symbol des Sports wurden. Der Berg, der Mont Ventoux. Und Tom Simpson.

Ihre Geschichte, die in Wahrheit eine Tragödie ist, ist nicht neu. Zum 15. Mal seit der Premiere 1951 besucht die Tour de France an diesem Sonntag den Mont Ventoux, zum neunten Mal ist er das Ziel einer Bergankunft. Das ist recht wenig für das vielleicht stärkste Symbol, das diese Veranstaltung zu bieten hat, die sehr lange eine fatale Romantik beschwor, viel zu lange: bis heute.

Man könnte fast meinen, das Rennen habe häufig verschämt einen Bogen gemacht um den Koloss, diese 1900 Meter über dem Meer gelegene Geröllhalde, die der Mistral umweht und die aus der Ferne so friedlich aussieht. Aber beim Jubiläum, bei der 100. Tour gehört ein Symbol dazu, obwohl die Organisatoren sicherlich bei der Streckenplanung die faszinierenden Bilder sich verausgabender Fahrer im Sinn haben und weniger die schaurige Todesfratze von Tom Simpson.

Die Profis werden keinen Blick haben für die Gedenktafel, die an Tom Simpson gemahnt; sie steht 1,5 Kilometer vor dem Gipfel, dort, wo er am 13. Juli 1967 sein Leben ließ: der erste und bis heute einzige Drogentote der Tour. Im offiziellen Streckenplan der 15. Etappe von Givors zur 1882 errichteten Wetterstation ist die "Stele Tom Simpson" nicht vermerkt. Aber vielleicht werden die Veranstalter, wird der stets geschäftige Tour-Direktor Christian Prudhomme seine rote Limousine kurz am Wegesrand parken und Blumen niederlegen, wie neulich im Portet-d'Aspet, wo der Italiener Fabio Casartelli 1995 bei der Abfahrt zu Tode stürzte. Jahre später führte der Radsport, auch wegen des Symbols Casartelli, die Helmpflicht ein.

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Im heißen Tourjuli 2013, in dem ja weiterhin Misstrauen vorherrscht, jetzt gerade besonders gegenüber einem Landsmann von Simpson, dem Gesamtführenden Christopher Froome, gibt es da aber immer noch diese Frage: Wofür starb Tom Simpson? Wenn doch mit ihm endgültig auch die Mär starb von den tollen Männern, die sich allein mit Muskelkraft und Wasser durchs Hochgebirge kämpfen -und der Betrug weiterhin floriert, wie anzunehmen ist, nur etwas unsichtbarer?

Der 13. Juli 1967, ein Donnerstag. 42 Grad im Schatten maßen die Statistiker. Nur, am Mont Ventoux gibt es keinen Schatten, nirgends. Wenn die Hitze Südfrankreich erfasst, verwandelt sich die aus duftenden Pinien- und Zedernwäldern emporragende Mondlandschaft in einen Glutofen; eine zynische Laune der Natur, deren Asphalt die Hitze potenziert, auf 20,8 Kilometern, bei 7,5 Prozent Steigung.

Der Franzose Jean Mallejac verlor hier schon 1955 das Bewusstsein, auch er voll mit Aufputschmitteln. Wie Simpson. Der witzige Engländer, Sohn eines Bergmanns, galt als Hasardeur, als jemand, der alles tun würde für Siege und Ruhm. An diesem Tag attackierte er, aber sie holten ihn wieder ein, und bald offenbarte sich, was Simpson aufs Spiel gesetzt hatte. Ein Menschenleben von 29 Jahren.

Simpson fuhr Zickzack-Linien, sein schmaler Körper dehydrierte im Brutkasten des Mont Ventoux, vor allem rebellierte er gegen die fatale Mischung aus Alkohol und Aufputschmitteln, die Simpson sich mal wieder eingeflößt hatte. Der Mann im weißen Trikot der britischen Nationalmannschaft verlor die Kontrolle über dieses makabre Spiel, im Zeitlupentempo sank er zu Boden, stieg mithilfe von Zuschauern noch einmal aufs Rad, ehe der Kampf verloren war. Tourarzt Pierre Dumas ist rasch zur Stelle, es gibt Bilder von ihm, wie er sich, längst des Hemds entledigt, vor Simpson kniet und versucht, ihn wiederzubeleben mit Herzmassagen, Mund-zu-Mund-Beatmung und Wasser.

"Setzt mich wieder auf das Rad", sollen die letzten Worte gewesen sein, die Tom Simpson aus Haswell, County Durham, sprach. Am späten Nachmittag des 13. Juli 1967 erreichte den Tour-Tross die Nachricht von seinem Ableben. Von dem Toten am Teufelsberg Mont Ventoux.

Es hat dann ein paar Schattengefechte gegeben zur Schuld an Simpsons Tod. Es galt natürlich, eine Mär am Leben zu erhalten. Doch der Befund war eindeutig, Doktor Dumas, der sonst nichts mit dem Radsport zu tun hatte, fand bei Simpson Röhrchen mit Amphetaminen. Tödliches Etappenproviant. Dumas verweigerte zunächst, die Papiere für die Bestattung zu signieren, er wandte sich an die Justiz. In Simpsons Blut fanden Gerichtsmediziner dann Alkohol und Amphetamine. Ein Drogencocktail, der ein austrainiertes, vom Gift belastetes Sportlerherz überforderte.

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Der Sport hat aus der Tragödie des Tom Simpson sehr wenig gelernt. Dabei hatte schon 1963 die Europäische Kommission angesichts vermehrter Affären eine Resolution verabschiedet, um den Gebrauch von leistungssteigernden Substanzen zu verbieten. Die erste Dopingkontrolle bei der Tour de France fand übrigens am 28. Juni 1966 statt, sie sollten der Gesundheit der Fahrer dienen, hieß es. Aber das Peloton brauchte so etwas nicht, es rebellierte, Anführer war der französische Tour-Sieger Jacques Anquetil. Den Streik brach dann: Tom Simpson. Er war ja der amtierende Weltmeister, er wollte unbedingt fahren. Im WM-Rennen '65 hatte Simpson den Deutschen Rudi Altig bezwungen: Altig, Spitzname "die rollende Apotheke".

Vor der Tour 1968 schrieb der damalige Renndirektor Jacques Goddet einen Leitartikel im Tour-Organ L'Équipe. "Lieber Tom Simpson. Du starbst nicht umsonst. Doping ist keine mysteriöse Krankheit mehr, versteckt, unkontrollierbar. Die Fahrer scheinen allgemein entschlossen, sich von dieser Geißel zu lösen."

1968. Das ist jetzt 45 Jahre her.

© SZ vom 13.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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