Möglicher Missbrauch von Geldern:Spuren ins Zentrum der Fifa

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Die brisanten Informationen hätten Fifa-Chef Sepp Blatter angeblich aus dem Amt befördern können. (Foto: dpa)

Angeblich kursieren Dokumente, aus denen "schockierende" Informationen über den Umgang der Fifa mit Finanzmitteln hervorgehen. Sie wären wohl geeignet gewesen, Sepp Blatter im Präsidentschaftswahlkampf 2011 aus dem Amt zu befördern.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Auch Urs Linsi vergnügt sich bei der WM in Brasilien. Ziemlich in Vergessenheit geraten ist der Schweizer, der beim Turnier 2006 in Deutschland noch als Generalsekretär und Chef der Fifa-Administration unterwegs war. Im Jahr darauf war Schluss, Linsi musste seinen Platz für Jérôme Valcke räumen - aber er nahm eine Abfindung von zirka acht Millionen Schweizer Franken mit.

Eine gewiss tröstliche Summe, womöglich ja auch genug, um einem einst höchstrangigen Fifa-Mann den Mund zu versiegeln, wenn es um seine Erinnerung an konkrete Geschäftsgepflogenheiten im Fußball-Weltverband geht. Der Banker, der 1999 von der Credit Suisse zur Fifa gewechselt war, war intern bald isoliert, seine Dossiers, in denen er gern Mitarbeiter beim Chef Sepp Blatter anschwärzte, waren legendär.

Offenbar pflegte Linsi sein Faible für die Sammlung interner Informationen noch, als ihm klar wurde, dass sein "Traumjob" - wie er es nannte - bei der Fifa zu Ende ging. Von intensiven letzten Büroarbeiten berichten jedenfalls Personen, die damals nah an der Fifa waren. Nun finden sich in den unzähligen Dokumenten der Sunday Times handfeste Hinweise darauf, dass Linsi seinerzeit tatsächlich brisantes Wissen gebunkert haben könnte.

Chefermittler Garcia müsste das Material brennend interessieren

Wenn der Mailverkehr, dessen Authentizität bisher von den Betroffenen nicht angezweifelt und von Fifa-Kommissionären teilweise sogar bestätigt wird, nicht lügt, dann verfügt der ehemalige Generalsekretär über ein Finanzwissen, das "schockierende" Einblicke in die seinerzeitige Situation der Fifa gewährten, die über den Missbrauch von Geldern Zeugnis ablegen und geeignet gewesen wären, Blatter im Präsidentschaftswahlkampf 2011 gegen den damaligen Herausforderer Mohamed Bin Hammam aus dem Amt zu befördern. Kurz: Es geht um Anhaltspunkte, die Michael Garcia, den Ermittlungschef der Fifa-Ethikkommission, mindestens so brennend interessieren dürfte wie die vielen Hinweise auf krumme Geschäfte im Umfeld der WM-Vergaben 2018 und 2022.

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Wie war die Situation damals, im Frühjahr 2011? Bin Hammam, mit dem WM-Zuschlag für Katar vom 2. Dezember 2010 im Rücken, reiste durch die Welt, um Stimmen für den Präsidenten-Wahltag am 1. Juni zu ergattern. Dabei heuerte er - auch mit Hilfe von Hassan Al-Thawadi, erst Chef der Bewerbung und dann des WM-Organisationskomitees Katars - allerlei professionelle Helfer an. Einer davon: Stephan Netzle, Sportrechtler in Zürich, viele Jahre am Obersten Sportgerichtshof Cas tätig und auch Vizepräsident von Suisse Olympic.

Ein gut verdrahteter Fachmann, den Al-Thawadis Assistent am 19. März 2011 einem engen Mitarbeiter Bin Hammams empfohlen hatte. Binnen weniger Tage kam ein Mandatsverhältnis zustande. Netzle schrieb Bin Hammam am 23. März 2011, dass er sich freue, "Sie zu beraten und repräsentieren zu dürfen". Erforderlichenfalls werde er ihn auch vor Schweizer Gerichten vertreten, bis hin zum Cas in Lausanne. Was er später auch tat.

Sogleich legte sich Anwalt Netzle für den prominenten Fußballklienten aus dem neuen WM-Land ins Zeug. Und während Bin Hammam ein Füllhorn an Wohltaten über die bedürftige Fußballwelt in Afrika und Asien ausschüttet, präsentierte ihm sein Schweizer Advokat rasch eine Erfolgsmeldung, die den Katarer mancher Sorgen entledigte. Netzle entwarf ihm per Mail ein Szenario, wie vor dem anstehenden Fifa-Wahlkongress in Zürich mit neuen, angeblich durchschlagenden Argumenten gegen Blatter verfahren werden könne.

Am 29. April 2011 schrieb Netzle an Bin Hammam. Er sei "heute morgen mit Dr. Linsi zusammengetroffen", man sei sich einig gewesen, dass drei Kerndinge zu verfolgen seien: Eine effiziente Kampagne vor dem Wahltag zu führen, ein korrektes Wahlverfahren sicherzustellen und die Kampagne des Amtsinhabers genau zu beobachten - ob es da "beweisbare Anzeichen für den Missbrauch von Fifa-Ressourcen zugunsten Herrn Blatters" gebe.

Dann folgte die Schlüsselaussage. "Dr. Linsi" so teilte Netzle mit, "hat mir bestimmte Finanzinformationen offengelegt, die schockierend sind und gewiss zu Ihren Gunsten wirken werden." Linsi, der Ex-Generalsekretär und einst hohe Fifa-Geheimnisträger, offeriert schockierende Finanzinformationen - hat Netzle mit dieser heiklen Ankündigung seinen Klienten nur hinters Licht geführt? Er stimme, schrieb der Anwalt weiter, Urs Linsi darin zu, dass es wichtig sei, die Delegierten unbedingt vor der Wahl zu informieren. Andererseits solle man der Fifa-Administration nicht zu viel Zeit "für die Vorbereitung für wortreiche Erklärungen und Abwehrargumenten" einräumen. Denn: "Ihre Informationen über die finanzielle Situation und den Missbrauch von Fifa-Mitteln sollte die Fifa-Delegierten überraschen."

Der so eingefädelte Coup fand beim Kongress dann gar nicht statt, weil sich Bin Hammam in seiner eigenen Korruptionskampagne verhedderte. Sein Amtskollege im Fifa-Vorstand und an der Spitze des Kontinentalverbandes von Nord- und Mittelamerika (Concacaf), Jack Warner, hatte für ihn Anfang Mai eine opulente Bestechungsorgie mit Funktionären in der Karibik orchestriert; insgesamt eine Million Dollar, sauber abgepackt in 25 Briefkuverts, lag zur Abholung bereit. Doch der Großauftrieb blieb in den intriganten Fußballkreisen nicht lange geheim.

Die Fifa erhielt Hinweise auf die Veranstaltung, sie ließ den global operierenden Wirtschaftsdetektiv Louis Freeh von der Leine und hatte schnell genug Beweise beisammen, um Blatters Herausforderer Bin Hammam zu suspendieren - wenige Tage vor der Wahl. Blatter war plötzlich Alleinkandidat, er ließ sich erneut krönen und versprach, dies sei seine letzte Amtszeit. Beim Fifa-Kongress in São Paulo vergangene Woche stellte er aber klar, dass er nun lieber doch ein fünftes Mal gewählt werden will.

"Es geht grundsätzlich Swiss Olympic nichts an, was Exekutivmitglieder privat machen"

Michael Garcia, der unabhängige Chefermittler der Ethikkommission, könnte da aber noch einen Riegel vorschieben. Er hat Kenntnis von dem brisanten Vorgang und der Mail Netzles an seinen katarischen Klienten. Auf Anfrage teilte Garcias Büro am Donnerstag mit: "Herr Garcia kommentiert keine spezifischen Vorwürfe. Er hat schon beim Fifa-Kongress am 11. Juni vorgetragen: Was wir tun können, und was wir getan haben, auch in Hinblick auf frühere Berichte, ist jede Art Material von anderen Seiten einzusammeln, die glauben, es könnte unserer Untersuchung helfen. Wie wir das schon immer taten, werden wir uns natürlich jede Art und alle Materialen ansehen, die vorgelegt werden."

Während sich Sportrechtler Netzle nun in der Schweiz auf seine anwaltliche Schweigepflicht beruft und sich auf Anfrage zu der Causa nicht äußern möchte und Linsi bei der WM nicht erreichbar ist, hat Swiss Olympic, die Dachorganisation der Schweizer Sportverbände, bereits reagiert. Auf die Frage, ob ihr Vizepräsident Netzle wegen der Beteiligung am Putschversuch gegen Blatter noch tragbar sei, teilte sie mit: "Es geht grundsätzlich Swiss Olympic nichts an, was Exekutivmitglieder privat machen. Sein Mandat bei Mohamed bin Hammam (. . .) ist in der Öffentlichkeit bekannt. Ich bin überzeugt, dass sich Stefan Netzle an alle Gesetze und Standesregeln gehalten hat." Der Vorgang stelle für den Exekutivrat von Swiss Olympic kein Problem dar, so der Vorsitzende Jörg Schild, weil "Sepp Blatter seit ich Präsident bin (seit 2005, d. Red.) noch nie an einer Sitzung teilgenommen hat".

Was immer den Sportrechtler Netzle seinerzeit so elektrisiert hatte, dass er seinem Klienten beste Wahlaussichten gegen Blatter prognostizierte und einen Überraschungscoup für die Fifa-Delegierten vorschlug: Michael Garcia muss es interessieren. Denn für eine Fifa-Ethikkommission kann es keine heißeren Spuren geben als solche, die auf Mittelmissbrauch hindeuten und ins Zentrum der eigenen Verbandsmacht führen. Auch Blatters Gegenspieler in Europas Fußball-Union (Uefa) sind auf den neuen Vorwurf aufmerksam geworden. Am Freitag hieß es aus Uefa-nahen Kreisen, man hoffe, dass Garcia alle Belege prüfen werde, die er erhalten kann. Wen immer es treffen möge.

© SZ vom 21.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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