Interview mit Mischa Zverev:"Er hatte zu viele Chancen. Das nervt ihn"

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Musste den Rückflug nach Europa umbuchen: Alexander Zverev, US-Open-Finalist. (Foto: Frank Franklin II/AP)

Der Tennisprofi spricht darüber, wie das dramatisch verlorene Grand-Slam-Finale an seinem Bruder Alexander Zverev nagt und warum die Rückreise aus den USA chaotisch lief.

Interview von Gerald Kleffmann

SZ: Herr Zverev, Sie haben wie kaum ein anderer TV-Zuschauer bei den US Open mitgelitten. Ihr Bruder Alexander verlor dramatisch sein erstes Grand-Slam-Finale gegen den Österreicher Dominic Thiem, und Sie haben Tonnen an Knabberzeug zur Beruhigung verputzt...

Mischa Zverev: Ja, das waren intensive Tage. Mir geht es langsam besser. Am Montag bin ich aufgewacht, und es hat sich wie ein schlechter Traum angefühlt. Aber das Turnier wirkt noch immer nach, klar. Noch heute hat sich der ganze Tagesablauf geändert, wegen der Rückreise von Sascha.

Ist die nicht gut verlaufen?

Doch, nur musste er die Route und Zeiten ändern. Eigentlich wollte er nach Nizza fliegen. Aber Frankreich lässt niemanden aus den USA rein, ohne einen Test 72 Stunden davor gemacht zu haben. Er hatte den letzten Test am Freitag oder Donnerstag gemacht. Er hat versucht zu erklären, dass er bei den US Open gespielt hat und in einer Blase wochenlang war. Es half nichts - auch nicht, dass er im Finale war. Sascha ist nun nach Mailand geflogen, und unser Vater holt ihn gerade mit dem Auto ab.

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Ein dramatisches Finale und die Folgen: Alexander Zverev muss eine Riesen-Enttäuschung verarbeiten, aber ihm bleiben positive Erkenntnisse - Rückblick auf ein Grand-Slam-Turnier, an dem er wachsen wird.

Von Barbara Klimke, Jürgen Schmieder und Jonas Beckenkamp

Was wird das für ein Familientreffen?

Wir haben etwas für ihn vorbereitet, aber wir müssen sehen, wie es ihm geht. Für ihn ist es immer noch eine Niederlage. Er sagte, er hätte weniger Probleme gehabt, wenn er 3:6, 3:6, 3:6 verliert. Aber so? Er hatte zu viele Chancen. Das nervt ihn.

Wieso hat Ihr Bruder nach 2:0-Satzführung und Dominanz noch verloren?

Ich habe irgendwie gespürt: Das war nur ein Vorsprung auf dem Papier. Thiem gibt nie auf. Ich wusste, wenn er sich nur ein bisschen steigert, ändert sich die Lage.

In welcher Phase war das Match gekippt in Richtung Ausgeglichenheit?

Bei 5:1 im zweiten Satz. Bis dahin hatte er strikt seinen Plan umgesetzt, die Bälle im Steigen genommen, mit viel Spin, nicht zu hohem Risiko, ließ sich nicht nach hinten drängen. Einmal aber ging er plötzlich auf den Return-Winner, wurde zu aggressiv, machte weitere Fehler, statt den Ball beim Return reinzuspielen und mit dem vierten oder sechsten Schlag die Chance zu suchen. Aus dem 5:1 wurde ein 5:2, er wurde nervöser, 5:3, 5:4. Zu dem Zeitpunkt die Strategie leicht zu ändern, war vielleicht einen Tick zu früh. Das Match hatte ja erst zwei Sätze hinter sich. Da war noch viel Spielraum. Dominic stand mehr an der Grundlinie, und Sascha wurde mehr nach hinten gedrängt. Ein Kumpel hatte mir da noch vorhergesagt: Es gibt einen Fünften! So kam es, wobei er da ja auch die Chance hatte. Als Alexander bei 5:3 zum Sieg aufschlug, war das so eine Situation, die ich so nachempfinden kann - zumindest von kleineren Turnieren her: Plötzlich hast du Gedanken, wenn du nah an einem Triumph bist, die sind unkontrollierbar. Leider ist es so gekommen.

Wie wird Alexander dieses Endspiel wegstecken?

Körperlich geht es ihm gut, aber mental ist er angeschlagen. Wie lange es dauern wird, das zu verarbeiten, weiß ich leider nicht. Solche Matches habe ich länger nicht gesehen. Ich hoffe sehr, dass Sascha wieder die Chance in einem Grand-Slam-Finale hat; Andy Murray zum Beispiel hat ja auch vier Finals verloren, ehe er dann ein paar gewann. Im Tennis ist vieles unvorhersehbar. Jetzt hängt es davon ab, wie stark er ist, wie wir ihm helfen können. Aber ich bin sicher, wir schaffen das. Wir wissen auch mit Niederlagen umzugehen. Vielleicht hilft, dass in zehn Tagen die French Open sind und er wieder in den Ring steigen kann. Sascha ist ein Kämpfer.

Wie sehen Sie seine Entwicklung? Im Januar war Alexander ja bereits im Halbfinale der Australian Open.

Er hat gerade bei den Grand Slams eine neue Qualität erreicht. Er hat die Ruhe, Lösungen auch in schwierigen frühen Partien zu finden und sich das Leben da weniger schwer zu machen. Wenn es um große Titel geht, muss man mental wahrscheinlich auch speziell trainieren für spezielle Gegner. Um sich das Selbstvertrauen zu holen für diese wichtigen Momente. Man kann sich dann auch besser auf seine Waffen in Stresssituationen verlassen. Vielleicht hilft es auch, weniger zum Beispiel über die Probleme beim Aufschlag nachzudenken. Klar ist aber einfach: Im Topbereich spielt die Psychologie eine große Rolle.

"Ich habe auf alle Fälle große Lust weiterzumachen": Mischa Zverev. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Und wie sehen Sie seine charakterliche Entwicklung? Er ist ja durchaus impulsiv auf dem Platz.

Bei den US Open hat er mich überrascht. Er hat keinen Schläger kaputt gemacht! Hat nicht viel rumgenörgelt oder sich mit Schiedsrichtern angelegt. Er war ruhig und hat sich in schwierigen Phasen wie gegen Pablo Carreño Busta selbst rausgezogen. Da hat er gezeigt, dass er stark ist vom Kämpferherz her. Das hat mich beeindruckt. Die sechs Monate Pause haben auch etwas bewirkt, ihm gut getan. Wenn man ständig spielen kann, schätzt man vielleicht nicht jedes Turnier. Die Lage hat sicher alle nachdenklicher gemacht. Er wusste es zu schätzen, wieder zu spielen.

Er musste auch Kritik für das Verhalten auf der Adria-Tour einstecken, bei der sich einige mit Corona infiziert hatten.

Ja, da gab es viele Schlagzeilen. Und vielleicht hat es solche mal gebraucht, um jetzt zu sagen: Jetzt will ich andere Schlagzeilen! Menschen entwickeln sich weiter. Roger Federer war in frühen Jahren auch emotionaler und hat Schläger mal geworfen.

Ihre Eltern waren jüngst Corona-positiv. Wie sehr hat dies Alexander belastet?

Es war eine merkwürdige Zeit. Sie haben sich ja relativ gut gefühlt. Sascha hat sich viele Sorgen gemacht. Wir haben ihm ständig Fotos und Videos geschickt, damit er sieht, es geht uns gut. Im Haus lief Papa dann die Treppen hoch, um zu gucken, wie die Lunge funktioniert. Und das haben wir berichtet. Vielleicht hat ihn das sogar stark gemacht: dass wir als Familie da zusammenhielten und das durchlebten. Und den Eltern geht es wieder gut.

Herr Zverev, wie steht es mit 33 um Ihre eigene Karriere? Sie sind in der Weltrangliste ja auf Platz 261 abgerutscht.

Ich habe mich entschieden, jetzt einige kleinere Turniere auf Hartplatz zu bestreiten. Ich habe auf alle Fälle große Lust weiterzumachen. Erst recht, wenn Sascha so gut spielt. Ich muss noch ein guter Trainingspartner für ihn bleiben.

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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