Mirko Slomka in Hamburg:Hobbypsychologe für den kranken Dino

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Euphorisch, aber doch realistisch: Mirko Slomka bei seinem ersten Training als HSV-Trainer (Foto: Bongarts/Getty Images)

Fünf Aufsichtsräte weg, van der Vaart verletzt - und dann wartet Borussia Dortmund als erster Gegner. Auch unter dem neuen Coach Mirko Slomka kommt der Hamburger SV nicht zur Ruhe. Dieser verzichtet dennoch auf seinen Mental-Coach.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Nicht nur die Mannschaft des Hamburger SV braucht derzeit Streicheleinheiten. Auch der Vorstand des Bundesliga-Vorletzten, der vergangene Woche wegen des Umsturz-Plans mit Felix Magath beinahe vom Aufsichtsrat entlassen wurde und nur noch wenig Ansehen in der Stadt genießt, braucht ein paar Aufmunterungen. Mirko Slomka, 46, hat das gerne übernommen, als er am Montagmittag als dritter Cheftrainer der Hamburger in dieser so düsteren Saison vorgestellt wurde.

Er habe einen "hervorragenden Eindruck" von den Vertragsgesprächen am Sonntag mitgenommen. Seine Gesprächspartner, Vorstandschef Carl Edgar Jarchow und Sportchef Oliver Kreuzer, seien "sehr kompetent und zielgerichtet", sagte Slomka, der HSV sei ein "großartiger Klub", der normalerweise zu den "Top fünf" in Deutschland gehöre. Zudem übernehme er eine "toll zusammengestellte Mannschaft", weshalb er sich auf die "spannende Herausforderung" freue.

Solch positive Einschätzungen hört man beim Bundesliga-Dino während der schwersten Krise der Vereinsgeschichte wohl nur noch dann, wenn man für viel Geld neue Leute einstellt.

Mirko Slomka in Hamburg
:"Die HSV-Mannschaft ist toll zusammengestellt"

Psychologie statt Pragmatismus: Mirko Slomka stellt sich euphorisch als Trainer beim Tabellenvorletzten Hamburger SV vor. Dennoch bleibt es im Klub turbulent - fünf Aufsichtsräte treten zurück, der Verein kommt längst noch nicht zur Ruhe.

Von Jonas Beckenkamp

Mirko Slomka, Ende Dezember nach vier Jahren bei Hannover 96 entlassen, saß schon im roten Rautendress mit dem Kürzel "MS" vor einer Fotografen- und Journalistenschar, die in ihrer Größe bisher nur einmal beim HSV übertroffen worden war - als 2010 der frühere Weltklassestürmer Ruud van Nistelrooy präsentiert wurde. Inzwischen backt man beim HSV kleinere Brötchen, man wäre bereits für den Klassenverbleib dankbar. Doch selbst wenn diese Mission schief gehen sollte, möchte Slomka auch den Wiederaufbau begleiten. Er schloss einen Vertrag bis 2016 ab.

Der Vorstand konnte froh sein, dass der Aufsichtsrat diesen Vertrag mit dem Retter in spe noch genehmigt hat - denn am Montag traten fünf der elf Mitglieder des Rates wegen der anhaltenden Turbulenzen im Verein zurück: der frühere Chef des Gremiums, Manfred Ertel, dazu Ali Eghbal, Björn Floberg, Hans-Ulrich Klüver und der Schauspieler Marek Erhardt. Ertel teilte mit, er habe sich zuletzt "manipuliert und instrumentalisiert gefühlt".

"Falsche Tatsachen", "gezielte Indiskretionen"

Er sei "unter Vortäuschung falscher Tatsachen in eine Personaldebatte über eine mögliche Zusammenarbeit mit Felix Magath getrieben und durch gezielte Indiskretionen (...) genötigt worden, der Personalie um jeden Preis zuzustimmen". Mit sechs Mitgliedern (davon aber nur vier gewählte) ist der Aufsichtsrat nun gerade noch beschlussfähig, sollte ein weiterer Rat aufhören, wäre die nächste Mitgliederversammlung nötig.

In dieser Stimmungslage übernimmt nun Slomka - mit weiteren Handicaps: Spielmacher Rafael van der Vaart (Bänderriss im Sprunggelenk) fällt etwa drei Wochen aus. Und der nächste Gegner heißt Borussia Dortmund. Dieser schweren Aufgabe kann Slomka jedoch etwas Positives abgewinnen: Der BVB sei "ein phantastischer Gegner, um zu zeigen, dass Leben in der Mannschaft ist".

Der neue Chefcoach bringt vorerst nur Nestor El Maestro als Assistenten mit, mit dem er schon in Schalke und Hannover zusammengearbeitet hat. Den Rest des Stabes werde er sich anschauen, das seien ja lauter "klasse ausgebildete" Mitarbeiter. Und mit denen werde er "ziehen und zerren", um die missliche Lage in den verbleibenden 13 Liga-Spielen zu verändern.

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:Ehemaliger HSV-Aufsichtsrat kritisiert Kollegen

Nach seinem Rücktritt als Aufsichtsrat des Hamburger SV schreibt Manfred Ertel über "Vortäuschung falscher Tatsachen". Beim Treffen der besten Basketballer der Welt gibt es einen Punkte-Rekord. Renaud Lavillenie, neuer Stabhochsprung-Weltrekordhalter, sagt seinen Start bei der Hallen-WM ab.

Slomka ahnt, dass er bei der verunsicherten Mannschaft vor allem als "Hobby-Psychologe" etwas Positives bewirken und ihr wieder "das Erfolgs-Gen einhauchen" kann. Auf die Mitarbeit des Mental-Coaches Peter Boltersdorf wird er, anders als zuletzt in Hannover, verzichten. Die Profis hätten wegen der vielen Trainerwechsel schon genügend neue Leute kennengelernt, meinte er. Stattdessen will Slomka die Mannschaft "hier und da etwas anders einstellen" als seine Vorgänger Thorsten Fink und Bert van Marwijk. Er outete sich auch in Hamburg sogleich als Freund der Doppelsechs. Die beim HSV vorhandenen "kampfbereiten Sechser" will er mit den "guten, schnellen offensiven Mittelfeldspielern" kombinieren und vermutlich eine ähnliche Blitzkonter-Taktik wie in Hannover aushecken. Für die kommenden Tage setzte er je zweimal Training an - bei van Marwijk noch die absolute Ausnahme.

Gleichwohl sieht Slomka kein Fitnessproblem bei seiner neuen Elf. In Hannover war das anders, als er das Team im Januar 2010 übernommen hatte. Damals startete er während der Saison noch einmal ein komplettes Vorbereitungsprogramm. Hannover verlor nach seiner Ankunft sechsmal in Serie - auch, weil alle schwere Beine hatten. Aber das sei eine andere Situation gewesen, sagte Slomka, nach dem Suizid von Robert Enke habe 96 damals eine Weile nicht konzentriert trainieren können.

Die vier Jahre in Hannover waren bis auf den Anfang und das Ende eine Erfolgsgeschichte für Slomka, der zweimal die Europa League erreichte. Aber es gab auch kritische Stimmen. Zum Beispiel vom früheren 96-Torjäger Dieter Schatzscheider, den vor allem jene Assistenten störten, die Slomka für Fitness und Trainingssteuerung engagiert hatte (und die bei den Spielern angeblich unbeliebt waren): "Wenn Mirko weiter nach oben will, kann ich ihm nur raten, sich von diesem Rattenschwanz zu trennen", empfahl Schatzschneider.

Dennoch glaubt er, dass Slomka "mit seinem Auftreten gerade im Hamburger Umfeld punkten könnte". Slomka und der HSV, das hätte ja auch schon mehrmals fast geklappt. 2008 war er im Gespräch als Nachfolger von Huub Stevens, er machte bei den Verhandlungen mit dem damaligen Vorstand Bernd Hoffmann eine gute Figur. Doch die Hamburger, die damals noch in der oberen Tabellenhälfte verkehrten, nahmen Martin Jol. Ein Jahr später war Slomka im Kreis der Jol-Nachfolger, diesmal wurde Bruno Labbadia vorgezogen. Und als die Hamburger sich nach dem Aus von Armin Veh 2011 ein drittes Mal mit ihm beschäftigten, holten sie sich eine Absage von Hannovers Klubchef Kind.

© SZ vom 18.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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