Mikaela Shiffrin bei Olympia:"Als würde ein Teil meines Herzens abbrechen"

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Wie eine dunkle Wolke begleitete die Nervosität Mikaela Shiffrin beim olympischen Slalom. (Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Mikaela Shiffrin gilt als beste Slalomläuferin der Welt, aber sie will in allen Disziplinen die Nummer eins sein. Ihre Niederlage im Slalom erinnert an die Tücken des Projekts.

Von Johannes Knuth

Ihre ersten Tage in Pyeongchang gestaltete die Skirennfahrerin Mikaela Shiffrin so langweilig wie möglich. Sie trainierte, aß, schlief, verbrachte Zeit mit ihrer Familie, die mitgereist war. Sie las oder sah keinen Bericht, der sie an ihre Ziele bei diesen Winterspielen erinnern könnte. Ab und zu habe sie koreanisches Fernsehen geschaut, das war in dieser Hinsicht ganz praktisch, sagte Shiffrin: "Da verstehe ich nichts." Aber eigentlich sei der Druck, der von außen auf sie einprassele, sowieso egal, sagte Shiffrin vor ihrem Rennen: "Ich glaube, es gibt niemanden, der höhere Erwartungen an mich hat als ich selbst."

Shiffrin ist noch immer erst 22, die Amerikanerin hatte vor den Spielen den Gesamtweltcup, drei WM-Titel und einen Olympiasieg im Slalom geholt. Aber im Sport geht es ja immer weiter, und genau das war jetzt das Problem. Shiffrin wollte in Pyeongchang in so vielen Disziplinen wie möglich starten, am Donnerstag gewann sie den Riesenslalom, am Freitag stand der Slalom im Programm, ihre Paradeübung, die unter der Woche ausgefallen war. Kurz vor dem Start übergab sie sich, sie kannte das, im vergangenen Winter war sie immer wieder von kurzen Panikattacken gepackt worden. Aber diesmal, erzählte sie später, begleitete sie die Nervosität weiter, wie eine dunkle Wolke.

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Shiffrin fuhr am Freitag nie so, wie man es von ihr kennt, flink, sauber auf der Kante. Sie wirkte wie ein Passagier. Nach dem ersten Durchgang war sie Vierte. Im zweiten fiel sie hinter die Österreicherin Katharina Gallhuber zurück, die am Ende Bronze gewann, Silber ging an die Schweizerin Wendy Holdener. Die Schwedin Frida Hansdotter, die ihr halbes Sportlerleben im Schatten von Shiffrins Erfolgen verbracht hatte, wurde Olympiasiegerin. Das letzte Mal, dass Shiffrin das Ziel erreicht hatte und nicht auf dem Podium eines Slaloms stand, war im Dezember 2014. "Gestern war ich auf einem emotionalen Gipfel", sagte Shiffrin später: "Vielleicht habe ich das zu sehr an mich rangelassen. Heute ist das Tal sehr tief." Sie wolle nicht arrogant klingen, sagte sie noch, aber sie sei nun mal "die beste Slalomfahrerin der Welt". Jetzt hatte sie gegen ihren größten Gegner verloren, gegen sich selbst.

Manchmal trifft man eine Entscheidung, dann taucht man ein in eine gewaltige Strömung, die einen zu ungeahnten Orten reißt. Bei Shiffrin war das 2014 in Sotschi; sie war gerade Olympiasiegerin geworden und redete über die Zukunft. Sie wolle irgendwann einmal die beste Skirennfahrerin sein, erzählte sie also, nicht nur im Slalom. Später sagte sie, dass sie früher Bode Miller zugeschaut habe, ihrem Landsmann, der damals in allen Disziplinen reüssierte. Das, sagte Shiffrin, werde sie nun auch probieren. Roland Pfeifer, ihr damaliger Trainer, war skeptisch, die Zeit der Allrounder war vorbei, einerseits. Andererseits war Shiffrin dem Gewöhnlichen immer voraus gewesen, dank ihrer Eltern, die sie früh geschult hatten. Als Shiffrin als 16-Jährige zu Pfeifer kam, hat der einmal erzählt, hatte sie die Trainingsumfänge einer 25-Jährigen hinter sich.

Als Allrounder muss man zwei Dinge im Training kombinieren, die eigentlich nicht zusammenpassen: hier die kürzeren Technikrennen mit ihren schnellen, knackigen Schwüngen, dort die Speed- Events, mit langen Gleitstücken in der Abfahrtshocke und hohen Geschwindigkeiten. Und während sich die meisten Fahrerinnen längst auf zwei, drei Disziplinen spezialisiert haben, musste Shiffrin doppelt so viele Disziplinen in der gleichen Zeit einstudieren. Sie hospitierte zunächst nur vereinzelt in den schnellen Disziplinen, gewann den Gesamtweltcup. Dann kamen die ersten Panikattacken. Wer jung ist, macht intuitiv vieles richtig, er vergisst die Welt um sich herum. "Aber ich bin nicht mehr vergesslich", hatte Shiffrin vor diesem Winter gesagt: "Wie gehe ich damit um?"

Ihr Olympiawinter begann trotzdem gut. Shiffrin gewann Slaloms, Riesenslaloms und Parallelevents. Sie fuhr in der Kombination, im Super-G und gewann sogar die Abfahrt in Lake Louise. Eine Abfahrtsstrecke sich so einzubläuen, dass man sturzfrei herunterkommt, das lastet freilich auf dem Gemüt. Und als Shiffrin im Januar spürte, wie ihr Kopf müde wurde - "da sind die Räder bereits vom Bus abgefallen", erinnerte sich ihre Mutter und Trainerin Eileen in Pyeongchang. Sie schied vor Olympia dreimal aus, "es gab viele Tränen", sagte Shiffrin. Dann habe sie beschlossen, dass sie nicht nur nach Südkorea fahre, um zu gewinnen, "sondern weil ich es liebe, mich zu verbessern".

Und jetzt?

Shiffrin wird in Pyeongchang noch in der Kombination und vielleicht in der Abfahrt starten, aber das war der Amerikanerin am Freitag erst mal egal. Sie erinnere sich bis heute an jede Niederlage, sagte sie, "das ist, als würde ein Teil meines Herzens abbrechen". Man wächst nicht an Niederlagen, hat der Publizist Jan Philipp Reemtsma einmal geschrieben, "man geht an Niederlagen zugrunde. Und wo man nicht zugrunde geht, wird man deformiert". Wobei das auch nur das Leben abbildet, und Shiffrin schien das am Freitag bereits begriffen zu haben: "Irgendwann werde ich verstehen, dass das ein Teil des Lebens ist", sagte sie. "Aber ich bin erst 22."

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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