Snowboarder Nörl im Weltcup:Auf der Genusswelle

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Gesamtsieger auf der Zielgeraden: Martin Nörl (rechts) schiebt sich beim Saisonfinale in Kanada noch an allen Konkurrenten vorbei. (Foto: Jacques Boissinot/dpa)

Snowboardcrosser Martin Nörl musste sich viele Jahre gedulden, ehe es ihn an die Spitze seines Sports verschlug. Jetzt belohnt sich der 29-Jährige mit dem zweiten Sieg im Gesamtweltcup - und der besten Saison seiner Karriere.

Von Johannes Knuth

Sportler und ihr Reisegepäck, das ist ein langes, anekdotenreiches Kapitel. Die Stabhochspringer etwa haben sich über die Jahre zu gewerkschaftsähnlichen Bewegungen zusammengeschlossen, um Fluggesellschaften davon zu überzeugen, ihre meterlangen Stäbe fachgerecht zu transportieren. Wer erfolgreich ist, hat zusätzliche Sorgen, denn die Trophäen, in denen sich die Großartigkeit eines sportiven Erfolgs spiegeln soll, lassen sich oft gar nicht so leicht in den Flugzeugfächern verstauen, zwischen Laptoptaschen und Proviant, der aus Kühltaschen krümelt.

Der Snowboardcrosser Martin Nörl vom DJK-SV Adlkofen wird die Umstände seines neuerlichen Preziosentransports verschmerzt haben. Er überließ die große Kristallkugel, die er jetzt beim Saisonfinale in Mont Sainte-Anne in Kanada erstand, einfach seinem Co-Trainer David Speiser. Nörl trug bei der Rückreise dafür das Gefühl bei sich, soeben "die beste Saison meiner Karriere" beschlossen zu haben. Zweiter war er zuletzt bei der WM geworden, nun also sein zweiter Gesamtsieg im Weltcup, den er - angemessen dramatisch - auf der Zielgeraden des letzten Laufs gesichert hatte. Das wiederum erzählte auch einiges darüber, was es braucht, um an die Spitze zu finden, in der Wintersportnische und überhaupt.

Silber bei der WM, Titel im Gesamtweltcup verteidigt: Martin Nörl ragte in diesem Winter im deutschen Team heraus. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Nörl hat ein paar Jahre gebraucht, um zu erlernen, wie man sich behauptet in diesem Wettstreit: Wenn sich vier Snowboarder zugleich auf einen Parcours stürzen, über Wellen und Sprünge, durch Steilkurven und Gleitpassagen. Er debütierte im Januar 2010 im Weltcup - die Datenbanken weisen einen 66. Platz in Bad Gastein aus -, es folgte eine lange Reise durch den zweitklassigen Europacup, fünf Jahre später die erste Visite unter den besten Fünf eines Weltcups. Platz acht bei den Winterspielen 2018 war schon beachtlich, im Winter darauf gewann Nörl seinen ersten Weltcup. Aber nach oben zu klettern und oben zu bleiben, das sind auch im Snowboardcross zwei verschiedene Übungen.

Andreas Scheid, der Sportdirektor im Verband Snowboard Germany, musste in den vergangenen Monaten oft entschlüsseln, weshalb es für seine medaillenambitionierten Athleten nicht ganz zusammengeflossen war am großen Tag - sowohl bei den Jüngeren in der Freestyle-Sparte als auch bei den Arrivierten im Race-Sektor (wobei Ramona Hofmeister zuletzt fast zum vierten Mal den Gesamtweltcup gewann). Nörl war in diesem Winter jedenfalls eine Ausnahme, er gewann bei der WM die einzige deutsche Medaille, sicherte nun den einzigen Gesamtsieg. Müsste der Sportdirektor Scheid daraus eine Lehre ableiten, würde die wohl von der Kunst der Geduld erzählen - und davon, dass man nie aufhören sollte, ein Schüler seines Sports zu bleiben. "Es braucht Zeit", sagt Scheid, "aber es braucht auch kontinuierliches Lernen und Arbeiten."

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Die Arbeit am Start etwa, wenn sich die Crosser mit beiden Händen an ein Gatter klammern und mit einem Ruck auf die Strecke katapultieren. Nörl schmeckt das nicht so sehr, er hat nicht den kräftigsten Armzug, er muss die Konkurrenz oft mühsam auf der Strecke überholen.

Da ist auch das Tüfteln, welches Wachs das Board am besten gleiten lässt.

Oder die Erkenntnis, dass es einen eigenen Athletiktrainer brauchte, den Nörl zum Teil selbst finanziert, um seine Rückenprobleme zu lindern.

Oder die Teamkollegen wie Paul Berg, 31, mit dem Nörl eine Wohnung in Sonthofen bezog, in der Nähe der Stützpunkte, um sich in jedem Training noch mehr zu fordern.

Oder der Spagat zwischen Sport und Familienleben mit zwei Töchtern. Aber das sei auch ein Vorteil, hat Nörl einmal erzählt: Als er im vergangenen Jahr von den Winterspielen in Peking zurückkehrte, als Fünfter und ohne Trophäe, war der Ärger über das verpatzte Rennen schnell verraucht. "Dann sind die Kinder einfach froh, dass ich wieder da bin."

Nörl hat gelernt, auf fast allen Kursen schnell zu sein - auf seine Weise

Ein Wendepunkt war die vorvergangene Saison. Da zeigte Nörl, dass er gelernt hat, auf (fast) allen Kursen schnell zu sein, auch wenn er nach wie vor nicht am schnellsten startet. Dafür bahnt er sich danach seinen Weg, in den Steilkurven etwa, wenn die Konkurrenz am Fuß der Kurve den direkten Pfad nimmt, Nörl den längeren, steileren Part nimmt - und dann mit mehr Schwung aus der Kurve hinausschießt. Ein bisschen spiegeln solche Aufholjagden auch seine Karriere. "Mit Sicherheit", sagt er, "bin ich kein Frühzünder."

Das Saisonfinale nun in Kanada war so gesehen eine Gipfeletappe auf dieser Reise. Vor dem letzten Rennen lag Nörl in der Gesamtwertung 24 Punkte vor dem Spanier Lucas Eguibar, beide kämpften sich durch mehrere K.-o.-Runden ins Finale. Dort musste Nörl schon direkt hinter dem Spanier landen, um seinen Gesamtsieg aus dem Vorjahr zu wiederholen. Tatsächlich schob er sich kurz vor dem Ziel vor Eguibar, vorbei auf Platz eins - bei der WM hatte er einen ähnlichen Endspurt noch verloren, gegen den Weltmeister Jakob Dusek aus Österreich.

Und jetzt? Hat Nörl, der 29-Jährige, einen Platz auf seiner Reise erreicht, um den ihn viele Kollegen beneiden. Es ist dieser Zustand, in dem einer aus einem tiefen Teich an Erfahrung und Können schöpft; in sich ruht, ohne die Aggressivität abzustreifen; nichts mehr beweisen muss, aber kann. "Jeder Erfolg kommt jetzt zusätzlich auf sein Habenkonto", sagt sein Sportdirektor. Martin Nörl wäre nicht der erste Athlet, der auf der Genusswelle noch zum einen oder anderen Erfolg carvt.

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