Marcel Siem:Verdiente Kopfschmerzen im Anmarsch

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Triumph und Erleichterung: Marcel Siem hat die Hero Indian Open gewonnen. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Der deutsche Golfer Marcel Siem gewinnt acht Jahre nach seinem letzten Sieg wieder ein Turnier auf der europäischen Tour - es ist ein überfälliger Triumph nach einer langen Leidenszeit auf und neben dem Platz.

Von Felix Haselsteiner

Drei Wochen ist es her, da hatte Marcel Siem mal kurz Zeit, um zurückzublicken. Auf der europäischen DP-World-Golftour bestritt der 42-Jährige in Singapur sein 500. Turnier - eine Marke, die vor ihm nur 44 Spieler erreicht hatten. Viele Spieler, mit denen er 1998 angefangen habe, hätten die Tour längst verlassen, sagte Siem. Andere, wie der Belgier Nicolas Colsaerts, seien in den vergangenen 30 Jahren zu engen Freunden geworden: "Das ist meine Familie hier auf der Tour." Es gibt nicht viele Einzelsportarten, in denen Kameradschaft unter Konkurrenten so viel bedeutet wie im Golf - und es gibt nicht viele Charaktere, die diesen Gedanken so vorleben wie Marcel Siem.

Es war daher nicht überraschend, dass am Sonntagmittag deutscher Zeit mehr oder weniger die gesamte Familie vor dem Fernseher saß und nach Indien blickte, wo Siem nach acht Jahren voller Tiefpunkte sein Comeback als Turniersieger gab. Ein Schlag Vorsprung reichte ihm am Ende, um die Hero Indian Open zu gewinnen, sein 502. Turnier. Es war Siems fünfter Sieg auf der höchsten europäischen Golftour und gleichzeitig der, der den nachhaltigsten Effekt haben dürfte. "Lebensverändernd" sei das, hatte Siem bereits vor seiner vierten Runde gesagt.

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Als er 2014 zuletzt gewann, beim BMW Masters in England, bestätigte Siem, dass er hinter Martin Kaymer der zweitbeste deutsche Golfer war. Die beiden verband eine gemeinsame Herkunft aus dem Ort Mettmann. Während Kaymer es bis auf den ersten Platz der Weltrangliste schaffte, machte Siem sich als emotionaler Charakter in Europa einen Namen - und als Siegertyp, der seine Chancen stets nutzte.

Allein: Er bekam in der Folge kaum noch welche. Wie bei Kaymer folgte auch bei Siem ein Abstieg aus der Eliteklasse, doch er fiel noch deutlich weiter zurück als sein Landsmann. So weit, dass er fast in Vergessenheit geriet. Im August 2020 lag Siem auf Weltranglistenposition 1023, er verlor seine Startberechtigung auf der DP World Tour und spielte wieder in der zweiten Liga, wie als Amateur in den Neunzigerjahren. Auf der sogenannten Challenge Tour gibt es kaum Geld zu verdienen, selbst treue Sponsoren verlieren dort schnell das Interesse. Es geht in den Niederungen des Golfsports allein darum, irgendwie den Aufstieg zu erzwingen.

2021 erkrankte seine Frau an Krebs. Siem nahm seine kleine Tochter mit zum Turnier - und siegte

Doch nicht nur der sportliche Abstieg beschäftigte Siem: Anfang 2021 erkrankte seine Ehefrau Laura an Krebs; inzwischen hat sie den Tumor bezwungen. Er habe viel geweint in dieser Zeit, sagte Siem später über die Krankheit - die er ein Jahr lang vor der Öffentlichkeit geheim hielt, weil er nicht wollte, dass ihn alle nur darauf ansprechen, wo er doch gleichzeitig versuchte, seine Karriere zu retten. Sportler, Ehemann und Vater: Siem versuchte nun, diesen Spagat hinzukriegen, er nahm seine kleine Tochter Victoria mit zu einem Turnier in Frankreich - und schaffte die Wende. Die La Vaudreuil Golf Challenge 2021 wird als unbedeutendes Golfturnier in die Sportgeschichte eingehen, Siem bezeichnet es heute als den wichtigsten Sieg seiner Karriere: "Das war der emotionalste Sieg, mit meiner Tochter bei mir. Das hat mir ermöglicht, wieder auf der großen Bühne aufzutreten."

Marcel Siem war zurück, er spielte wenige Wochen darauf großartig bei der Open Championship, bekam am Ende des Jahres seine Startberechtigung für die DP World Tour zurück und schaffte es im vergangenen Jahr trotz einer Verletzung, sie zu erhalten. Kleinere Turniere wie das in Indien, wo die Topstars nicht hinreisen, waren nun die besten Gelegenheiten, um den nächsten Schritt auf dem Weg zurück zu gehen - und wenn Siem in den 25 Jahren seiner Profikarriere eines bewiesen hat, dann, dass er Gelegenheiten nutzen kann. "Ich habe eine ganz gute Statistik, wenn es darum geht, dann auch wirklich zu gewinnen", sagte Siem, der in Delhi im Duell mit einem weiteren Deutschen gewann: Yannik Paul, 28, war vier Jahre alt, als Siem sein Debüt als Profigolfer gab, heute gehört Paul die deutsche Zukunft im Golf, auch wenn er in Indien nur Zweiter wurde. In der aktuellen Qualifikations-Rangliste für den Ryder Cup im September liegen nur zwei Spieler vor Paul: Jon Rahm und Rory McIlroy, die Nummer eins und die Nummer drei der Weltrangliste.

Zwei Deutsche im Finale: Marcel Siem (links) and Yannik Paul bei der Hero Indian Open in New Delhi. (Foto: Sajjad Hussain/AFP)

Der Ryder Cup, die vorderen Weltranglistenplätze, all das ist für Siem sehr weit entfernt. Als Sieger hat er nun eine Startberechtigung für alle europäischen Turniere, kann Major-Turniere mitspielen und muss sich nicht mehr darum sorgen, dass er im November wieder mit leeren Händen da stehen könnte. "Jetzt geht es erst einmal nach Mauritius zu meiner Familie, dann wird neu geplant", sagte Siem, der inzwischen in Afrika lebt, weil er dort nicht in der Kälte trainieren muss - im Alter sei das wichtig, sagte er zuletzt in einem Podcast, halb im Scherz, halb ernst.

Im Gepäck hatte Siem bei seiner Abreise aus Indien nicht nur einen Pokal, sondern auch die Anerkennung seiner Golf-Familie. Zahlreiche Profis meldeten sich in den sozialen Netzwerken, der Ryder-Cup-Kapitän von 2018, Thomas Björn, schrieb, es sei ein verdienter Sieg für einen "top Menschen". "So glücklich für dich und deine Familie", schrieb der Brite Ross Fisher, ebenfalls ein Veteran der Tour. Und der Belgier Colsaerts bewies, dass er Siem, den großen Rotwein-Fan, nach all den Jahren tatsächlich sehr gut kennt, er wagte eine Prognose: "Sehr verdiente Kopfschmerzen im Anmarsch."

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