Weltrekord beim Berlin-Marathon:Mit einem Lächeln in die Geschichte

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"Berlin ist ein Ort, an dem ein Mensch seine Grenzen ausreizen kann": Eliud Kipchoge nach dem Zieleinlauf. (Foto: Omer Messinger/AP)

Der Kenianer Eliud Kipchoge verbessert in Berlin seinen eigenen Marathon-Weltrekord. In 2:01:09 Stunden bleibt er knapp über der Zwei-Stunden-Schallmauer.

Von Karoline Kipper, Berlin

Wenn der schnellste Marathonläufer der Geschichte auf der schnellsten Strecke der Welt antritt, und das Wetter spielt auch noch mit, kann man von perfekten Rahmenbedingungen sprechen, um die Grenzen sportlicher Leistung zu verschieben. Vor dem Rennen wurde schon ehrfürchtig über den gesprochen, der läuferischer Perfektion vermutlich am nächsten kommt. Eliud Kipchoge gewann zwei Mal nacheinander Olympia-Gold im Marathon, er hielt vor dem Start den offiziellen (2:01:39 Stunden) und den inoffiziellen (1:59:40 Stunden) Weltrekord über die 42,195 Kilometer.

Was würde also auf dieser Strecke in Berlin möglich sein? Sechs der 15 schnellsten Zeiten jemals wurden hier gelaufen. Manchmal kommen deshalb Gerüchte auf, das liege an einer zu kurzen Strecke (im April wurde deshalb sicherheitshalber noch mal nachgemessen). "Berlin ist ein Ort, an dem ein Mensch seine Grenzen ausreizen kann", sagte Kipchoge, 37, der schon 2018 in Berlin einen Weltrekord aufstellte. Seit knapp 20 Jahren ist der Kenianer in der globalen Spitze unterwegs. 2003 sprintete er bei den Weltmeisterschaften in Paris über 5000 Meter auf der Zielgeraden an den Laufgrößen Kenenisa Bekele und Hicham El Guerrouj vorbei. Bis heute hält sich die damalige Zeit als beste, die jemals bei einer Weltmeisterschaft gelaufen wurde. Zehn Jahre später wechselte Kipchoge dann auf die Marathon-Distanz.

Tigist Assefa wird zur drittschnellsten Frau in der Marathon-Geschichte

Ungefähr 45 500 Läuferinnen und Läufer warteten in Berlin am Sonntag auf den Startschuss der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, mehrheitlich Männer. Spannung in der Frage, wer gewinnen würde, bot aber vor allem das Feld der Frauen. Niemand konnte vorhersagen, welche von ihnen zuerst die Ziellinie passieren würde, von einem möglichen Weltrekord sprach niemand - zu Unrecht. Tigist Assefa lief ganze fünf Minuten früher ins Ziel, als ihr vor dem Start zugetraut wurde. In einem absurd schnellen Rennen brauchte die Äthiopierin 2:15:37 Stunden, das macht sie zur drittschnellsten Marathonläuferin überhaupt; zur Bestmarke der Kenianerin Brigid Kosgei aus dem Jahr 2019 (2:14:04) fehlten ihr nur etwas mehr als eineinhalb Minuten. Eine Deutsche spielte vorne keine Rolle, aber bei den Männern verbesserte Haftom Welday seine Bestleistung um vier Minuten auf 2:09:06, das reichte für Platz zwölf. Der gebürtige Äthiopier ist seit einer Woche offiziell deutscher Staatsbürger.

Erste in Berlin, Dritte in der Marathon-Historie: Zur Bestmarke der Kenianerin Brigid Kosgei aus dem Jahr 2019 (2:14:04) fehlten der Siegerin Tigist Assefa aus Äthiopien nur etwas mehr als eineinhalb Minuten. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Von einem Rekord wollte auch Eliud Kipchoge vor dem Rennen nichts hören. Wenn die unvermeidliche Frage nach einer neuen Bestzeit kam, sagte er stets: "Lass es uns ein gutes Rennen nennen". Aber was ein "gutes Rennen" für jemanden ist, der es schon einmal fertig gebracht hat, den Marathon in weniger als zwei Stunden zu laufen, konnte sich jeder selbst zusammenreimen.

Kipchoge sagt, er laufe, um Geschichte zu schreiben

Allerdings zählte die Fabelzeit nicht als Weltrekord. Das Unterfangen in Wien, dessen einziges Ziel es war, die Schallmauer von zwei Stunden zu unterbieten, gilt als Experiment unter Laborbedingungen. Auf einem Rundkurs wurden die edelsten Tempomacher der Welt für Kipchoge engagiert und regelmäßig ausgetauscht. Bei einem regulären Marathon ist das nicht erlaubt.

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In seiner Heimat Kenia trainiert Kipchoge auf 2500 Metern über dem Meeresspiegel. In einem einfachen Camp ist alles aufs Training ausgerichtet. Der Volksheld ist Millionär, aber ein luxuriöses Leben führt er dort nicht. "Ich laufe, um Geschichte zu schreiben", sagt er, "was mich antreibt, ist, Menschen zu inspirieren." Kipchoge hört aufmerksam zu, wenn ihm eine Frage gestellt wird. Er ist professionell und zugewandt. Kein Wunder: "Nur wer diszipliniert ist, ist wirklich frei", predigt er. Die beste Taktik sei Training, und wer gut trainiert habe, solle Vertrauen in sich haben.

Es ist nicht zuletzt diese mentale Stärke, die Eliud Kipchoge zum besten Marathonläufer gemacht hat. Seine Vorbilder findet er nicht im Laufen. Er bewundere die Konzentration von Lewis Hamilton bei einem Formel 1-Rennen und die lange Karriere von Lionel Messi. Von Roger Federer habe er gelernt, wie man als der Beste mit Klasse abtritt.

Wenn Kipchoge läuft, sieht das unwirklich lässig aus. Ganz entspannt absolvierte er die ersten fünf Kilometer in 14:14 Minuten. Zum Vergleich: Das ist mehr als zehn Sekunden schneller als der deutsche Rekord über diese Strecke von Konstanze Klosterhalfen. Als die Uhr die Halbmarathon-Zeit zeigte, zupfte Kipchoges Trainer Patrick Sang nervös an seiner Jacke. 59:51 Minuten stand dort auf der Tafel, ob das so schnell geplant war? Für seinen alten Weltrekord von 2018 hatte Kipchoge 1:01:06 Stunden für die ersten 21,0975 Kilometer gebraucht.

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Die Durchgangszeit ist bei einem Läufer wie Kipchoge ein verlässlicher Indikator für das finale Ergebnis. Der aufmerksame Zuschauer hatte in diesem Moment 59:51 und 59:51 Minuten zusammengerechnet und war zu dem Schluss gekommen, dass das in Summe wohl weniger als zwei Stunden sein dürften. Nun war es aber so, dass Kipchoge nach 25 Kilometern auf sich allein gestellt war. Dort stieg der letzte Helfer aus. Das war von Anfang an geplant gewesen, dennoch gilt es als ideal, bis Kilometer 35 Unterstützung zu haben.

Nach 42,195 Kilometern stand die neue Weltrekordzeit von Eliud Kipchoge fest: 2:01:09 Stunden. Ein gutes Rennen. Und so typisch für ihn dankte er zunächst seinem Team - mit einem Lächeln im Gesicht und kaum einem Anzeichen von Erschöpfung.

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