Manipulation im Radsport:Nacktscanner für Rennräder

Lesezeit: 3 min

Beschleunigen auf Knopfdruck: Betrügen Radprofis mit kleinen Elektromotoren? Nach Fabian Cancellaras Fabel-Antritten werden bei der Tour de France alle Rahmen durchleuchtet - sicher ist sicher.

René Hofmann

Eines, sagt Julia Timmerer, müsse sie gleich vorweg schicken: "Wir haben nie einen unserer Antriebe an einen Profi-Radrennfahrer verkauft." Julia Timmerer ist Assistentin der Geschäftsleitung einer Firma, die in den vergangenen Wochen dank einer abenteuerlichen Geschichte viel Auftrieb bekommen hat. Die Gruber Antrieb GmbH& Co KG produziert in Wörgl an der Inntalautobahn kleine Elektromotoren, die sich in die Rahmen von Fahrrädern schieben lassen und die - auf Knopfdruck - direkt auf die Tretkurbel wirken. Das erleichtert dem Radler das Treten, er kommt leichter und schneller voran.

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2004 hatte die Idee ein Tüftler in Innsbruck. Kurz darauf schon war sie serienreif. Seit 2006 gibt es den Antrieb zu kaufen, der 900Gramm wiegt. Als Bausatz zum Nachrüsten kostet er 1999 Euro. Elektromotoren für Räder liegen im Trend. Es gibt viele Anbieter. So gut versteckt wie der patentierte, zylinder-förmige Antrieb aus Österreich aber sind wenige. Dass sie nicht zu sehen ist, hat der Maschine nun eine unerwartete Popularität eingebracht.

Bereits seit Mitte Mai halten sich in der Radsport-Szene Gerüchte, einige Profis könnten sich bei ihren Rennen verbotenerweise zusätzlich von solchen Motoren antreiben lassen. In Verdacht geraten ist vor allem der Schweizer Fabian Cancellara. Der 29-Jährige war bei der Flandern-Rundfahrt Anfang April und eine Woche später beim Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix der Konkurrenz aufreizend leicht davongezogen. Am 18. Mai brachte ein italienischer Journalist derlei Ausnahme-Leistungen in der Zeitung Il Giornale mit den Motoren in Verbindung, wie sie Gruber anbietet. Von Italien aus wanderte das Gerücht in die Schweiz. Von dort schwappte es nun nach Deutschland.

"Bei uns hört man ein Surren"

Befeuert wird die Geschichte von einem Film, der im Internet unter dem Stichwort "Cancellara" leicht zu finden ist und in dem der einstige italienische Rad-Profi Davide Cassani, 49, ein mit einem versteckten Elektromotor frisiertes Rennrad vorführt und behauptet, damit könne er auch heute noch eine Etappe des Giro d'Italia gewinnen. Die Verbreitung, die der Film findet, ist enorm. Bis Donnerstag wurde die englische Version 1,3 Millionen Mal abgerufen. Am Freitag stand der Klick-Zähler schon bei 1,6 Millionen. Tendenz schnell steigend.

In Wörgl hat die Geschichte dazu geführt, dass die Server zusammenbrachen. Zwischen 200 und 500 Klicks registrierte die Homepage der GmbH & Co KG bisher an normalen Tagen, inzwischen sind es gelegentlich mehr als 10000. Dabei sind sie sich in Wörgl ziemlich sicher, dass ihr Antrieb nicht der Grund war für Cancellaras Wunder-Antritte. "Ausschließen kann man es nicht", sagt Julia Timmerer, "allerdings: Man würde ihn hören. Bei unserem Motor hört man ein Surren."

In einer schriftlichen Erklärung versichert die Firma, dass ihr System "nicht als Motor-Doping entwickelt wurde, und auch nicht im Rennbetrieb dafür eingesetzt werden kann". Wer die surrende Hilfskraft bestellt, bekommt eine Maschine, die maximal bis zu 90 Pedal-Umdrehungen pro Minute Unterstützung bietet. Die meisten Rad-Rennfahrer treten eine höhere Frequenz. Meistens jedenfalls. Dass der Motor von fachkundigen Händen aber frisiert werden kann, ist nicht auszuschließen.

Etwa 1000 Motoren hat die Firma, die sechs Mitarbeiter beschäftigt, bisher verkauft, hauptsächlich in Österreich und nach Deutschland. Aktuell laufen die Geschäfte - auch dank der unerwarteten Werbung - prächtig. Noch aber sind genügend Teile auf Lager, die Lieferzeit beträgt zwei Wochen.

Bereits 2009 Hinweise

Das Team Saxo Bank, bei dem Cancellara beschäftigt ist, reagierte am Freitag empört auf die Geschichte. An ihr sei "nichts Wahres" heißt es in einer Erklärung der dänischen Equipe: "Es gibt und gab niemals ein Saxo-Bank-Rad, das mit einem Motor versehen war." Teamchef Bjarne Riis bezeichnete den im Internet abrufbaren, sechseinhalb Minuten langen Film als "eine Fiktion, die als Dokumentation getarnt ist".

Inzwischen hat die Geschichte aber eine Dynamik erreicht, der sich auch der Radsport-Weltverband UCI nicht mehr entziehen kann. Am Montag wird es ein Treffen mit Vertretern der Rad-Industrie geben. Außerdem, so kündigte UCI-Präsident Pat McQuaid an, würden schon bei der am 3.Juli beginnenden Tour de France die Fahrräder auf Zusatz-Motoren durchleuchtet. Nach Informationen der Zeitung L'Avvenire hat die Materialkommission der UCI bereits bei der Frankreich-Rundfahrt im vergangenen Jahr Hinweise erhalten, dass bei der Technik womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugehe. Daraufhin hätten "alle Alarmglocken geschrillt", zitiert sie Marco Bognetti, einen Berater des Kommissionsleiters.

In anderen Fachpublikationen wird dem Publikum ein anderes, leicht anzuwendendes Mittel empfohlen, wie zu durchschauen ist, wer womöglich betrügt: Beim nächsten Rennen einfach mal schauen, wer sein Rad ohne ersichtlichen Grund kurz vor dem Ziel wechselt! Das könne ein Trick sein, den Materialkontrollen im Ziel zu entgehen.

© SZ vom 05.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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