Lúcio bei FC São Paulo ausgemustert:Zu viel Drang zum Sturm

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Abwehrspieler Lúcio: Zu angriffsfreudig für den FC São Paulo (Foto: AFP)

Für Lúcio hätte es ein zünftiges Wiedersehen mit alten Bekannten werden können, doch beim Gastspiel in München tritt der FC São Paulo ohne ihn an. Der brasilianische Klub musterte den einstigen Münchner aus. Lúcios unzähmbarer Offensivdrang scheint ihm nun das Karriereende zu vermiesen.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

In München hätten sie sich gefreut über ein Wiedersehen mit Lucímar Ferreira da Silva, bekannt als Lúcio. Den FC Bayern hat der brasilianische Abwehrspieler zwischen 2004 und 2009 zwar einige Nerven gekostet, wenn es ihm hinten zu langweilig wurde und er wie von Sinnen nach vorne rannte.

Doch dank seiner durchaus unverhohlenen Liebe zur Offensive schoss Lúcio in 144 Spielen für seinen deutschen Lieblingsklub immerhin sieben Tore, und manchmal bekam der verhinderte Mittelstürmer sogar die Kapitänsbinde, wenn Torwart Oliver Kahn nicht dabei war. Man gewann Titel zusammen. Vielleicht war Lúcio ein Grund, weshalb der FC São Paulo als außereuropäischer Vertreter zum Audi-Cup nach München eingeladen wurde. Doch Lúcio kommt nicht mit.

Der brasilianische Erstligist aus der Metropole flog ohne seinen bekanntesten Mann an die Isar, der Weltmeister von 2002 soll trotz eines Vertrages bis 2015 nicht mehr für den FC São Paulo spielen. Trainer Paulo Autuori strich ihn am Wochenende in Absprache mit den Klubverantwortlichen aus dem Kader und stellte ihn schon beim 0:0 am Sonntag beim Lokalrivalen Corinthians nicht mehr auf. "Das war eine disziplinarische Frage", erläuterte Vizepräsident João Paulo de Jesus Lopes. "Individuelle Wünsche werden nicht bevorzugt", sagte Autuori, "Lúcios Situation ist entschieden." Was war passiert?

Vor einer Woche gegen Internacional Porto Alegre hatte sich der Innenverteidiger im heimischen Stadion Morumbí wieder in die falsche Richtung entfernt. Angreifer Leandro Damião nutzte den Platz am Strafraum, schoss den Siegtreffer und erweiterte die Krise der Hausherren. Seit zwölf Spielen hat der FC São Paulo nicht mehr gewonnen, und bis zum Unentschieden an diesem Wochenende ohne Lúcio acht Mal nacheinander verloren - trotz teurer Spieler wie Ganso, Wellington, Jádson, Lúcio.

In Brasiliens Meisterschaft belegt die Institution den 18. und drittletzten Platz. Abstiegszone. Nach dem 0:1 gegen Porto Alegre nahm sich Coach Autuori seinen ausgerissenen Manndecker vor versammelter Mannschaft zur Brust, doch Lúcio wollte von der Kritik nichts wissen. Jetzt will sein Arbeitgeber nichts mehr von ihm wissen.

Seine Neigung zu Sturm und Drang wurde ihm im reifen Alter von 35 zum Verhängnis, dabei hatte er erst im Dezember 2012 beim FC São Paulo unterschrieben. Nach zwölf Jahren Europa war der Wanderarbeiter bei Juventus Turin gescheitert und in die Heimat zurückgekehrt, er wollte dort zum Abschluss seiner glorreichen Karriere nochmal zu den Altstars gehören.

Weitere Haudegen wie Clarence Seedorf (Botafogo), Ronaldinho (Atlético Mineiro) und Diego Forlán (Inter Porto Alegre) begehen den Herbst ihrer Laufbahn ebenfalls im Land des WM-Gastgebers 2014, doch sie kommen dort besser zurecht als Heimkehrer Lúcio. Bereits mit dem vorigen Trainer Ney Franco hatte er Ärger gehabt, nachdem er in der Copa Libertadores ausgewechselt und vom Platz gestellt worden war. Jetzt scheint sein Gastspiel in dem Moloch nach sechs Monaten vorbei zu sein.

Auch mit der WM zu Hause wird es nach 105 Länderspielen eher nichts werden. Der vormalige Nationaltrainer Mano Menezes stellte den Kapitän zuletzt am 5. September 2011 in London gegen Ghana auf - Nachfolger Luiz Felipe Scolari dagegen vertraut auf das Tandem Thiago Silva und David Luiz, mit denen er im Maracanã-Stadion kürzlich den Konföderationen-Pokal gewann. Und der FC São Paulo ließ ihn also daheim bei der Tournee zu den Turnieren in München, Lissabon und Tokio. Trainer Paulo Autuori lobte nach dem torlosen Unentschieden ohne Lúcio gegen Corinthians: "Heute war unsere Abwehr wieder in ihrer Zone." Die Münchner Fans werden den Ausreißer Lúcio in der Allianz-Arena vermissen.

© SZ vom 30.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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