Jürgen Klopp beim FC Liverpool:Abschiedsstimmung in Anfield, Teil eins

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Emotionen pur: Liverpools Trainer Jürgen Klopp am Sonntag beim Pokalsieg gegen Norwich. (Foto: Peter Byrne/dpa)

Beim Pokalsieg gegen Norwich City kämpft Jürgen Klopp schon bei der Klubhymne vor dem Spiel mit seinen Emotionen. Die Fans würdigen den scheidenden Coach mit Plakaten und Gesängen - bis zum Saisonende wird das so weitergehen.

Von Sven Haist, London

Je nach Stimmungslage kann einem die Liverpooler Vereinshymne "You'll never walk alone" kurz oder lang vorkommen. Für Jürgen Klopp dürfte sich das alte Leidenschaftslied am Sonntag wohl so endlos angehört haben wie noch nie. Der Trainer des FC Liverpool ließ den Song vor dem Anpfiff des FA-Cup-Heimspiels gegen Norwich City auf seinem Sitzplatz am Seitenrand auf sich wirken. Klopps Gemütszustand lag erkennbar zwischen ergriffen und den Tränen nahe. Immer wieder schaute er angespannt zu Boden, als versuchte er, Blickkontakt mit den Fans auf den Tribünen zu vermeiden. Als nach anderthalb Minuten das Spiel schließlich begann, löste sich Klopps Gesichtsausdruck. Ihm war die Erleichterung anzumerken, sogar ein Lächeln war zu sehen - denn sehr viel länger hätte er seine Emotionen angesichts der Begleitmusik wohl nicht mehr zurückhalten können.

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Während der Hymne schien der zwei Tage zuvor angekündigte Rücktritt Klopps als Trainer zum Saisonende erstmals greifbar zu werden, für ihn selbst und für alle Sympathisanten des Liverpool FC. Als Anerkennung für die großen Verdienste des 56-Jährigen hielten die Anhänger schon jetzt, ein halbes Jahr vor dem tatsächlichen Ende seiner dann achteinhalbjährigen Amtszeit, zahlreiche Dankesplakate hoch. Auf einem war fast standesgemäß zu lesen: "Jürgen, please stay", bitte bleib!

Noch mindestens weitere elf Heimspiele wird Klopp erleben, bevor er am Saisonende aufhört.

In gewisser Weise ließ sich die Pokalbegegnung mit dem Zweitligisten Norwich an diesem Tag kaum anders deuten, als wollte sich auch dessen Trainer David Wagner schon jetzt von Klopp persönlich verabschieden. Der frühere Bundesligatrainer Wagner ist ein langjähriger Weggefährte Klopps und sogar dessen Trauzeuge. Beide fingen zur gleichen Zeit im Herbst 2015 in England an, insgesamt viermal trafen sie mit ihren Klubs seither aufeinander, immer gewann Klopp - diesmal 5:2 (2:1), in einem für beide Trainer charakteristisch abwechslungsreichen Spiel. Im Kabinentrakt umarmten sie sich innig, später wünschte Wagner seinem Kumpel "wirklich von ganzem Herzen nur das Allerbeste".

Durch die Bekanntgabe des Klopp-Abschieds zu diesem frühen Saisonzeitpunkt ist es quasi unvermeidlich, dass die verbleibenden Spiele nun heruntergezählt werden wie die Schlussminuten eines Finales. Neun Heimpartien sind es für Klopp noch in der Premier League, beginnend mit dem Besuch von Chelsea am Mittwochabend, dazu kommt noch jeweils mindestens ein Match zu Hause im FA Cup und in der Europa League. In den englischen Zeitungen ist daher die Rede von einem "long goodbye", einer langen Abschiedstour. Viele Fans wollen unbedingt noch mal ein Spiel von Klopp in Anfield live miterleben, die Preise der Tickethändler im Internet sind schlagartig gestiegen.

Die Zuneigung gehe ihm nahe, gestand Klopp nach dem Pokalsieg, er habe sich ziemlich zusammenreißen müssen, er sei ja nicht aus Holz, witzelte er. Durchgehend würdigten ihn die Zuschauer mit dem einst für ihn gedichteten Sprechgesang "Ich bin so glücklich, dass Jürgen ein Roter ist" - zur Melodie des Beatles-Klassikers "I Feel Fine". Dabei hatte Klopp sein Publikum zuletzt mehrmals darum gebeten, dies gerade nicht zu tun, weil ihm die besondere Beziehung ohnehin bewusst sei. Die Fans, sagte er, sollten lieber die Spieler anfeuern, als "den alten Mann an der Seitenlinie" zu feiern. Linksverteidiger Andrew Robertson sagte treffend, Klopp werde "dieses Duell" mit den Fans sicher verlieren. Die Ehrerbietungen werden noch lange anhalten.

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