Lindsey Vonn:"Ich habe viel geweint heute"

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Sehr emotional in Garmisch: Lindsey Vonn. (Foto: Stephan Jansen/dpa)

Nach ihrer langen Verletzungszeit gewinnt Lindsey Vonn die Abfahrt in Garmisch. Danach tanzt sie sogar zur Guggenmusik.

Von Matthias Schmid, Garmisch-Partenkirchen

Als klar war, dass Lindsey Vonn die Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen gewinnen sollte, ließ die Amerikanerin sich nur noch von ihren Emotionen treiben. Es waren kuriose Momente, irgendwo zwischen Freude und Verwirrung, sie folgte den Gefühlen zu den Klängen einer Blaskappelle aus der Schweiz, die im Zielraum schon die ganze Zeit über ziemlich schräg und falsch spielte. Doch das schreibt eben die Vereinsordnung der sogenannten Guggenmusik vor, die vor allem im alemannischen Raum zur Fastnacht verbreitet ist: Sie musizieren schräg und falsch - und Lindsey tanzte nun mit den verkleideten und teilweise maskierten Menschen zu den wilden Rhythmen. Minutenlang bewegte sich die 32-Jährige in Skistiefeln so geschmeidig, als würde sie barfuß tanzen. "Das hat Spaß gemacht", bekannte Vonn hinterher, "ich habe viel geweint heute und etwas getanzt."

Dass sie am Samstag von ihren Gefühlen überwältigt wurde, sah man zum einen an der Wimperntusche, die ihr ins Gesicht rann. Zum anderen an ihrer Sprachlosigkeit. Vonn ist eigentlich jemand, die sich sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch treffend auszudrücken vermag. "Doch jetzt fehlen mir die Worte", gestand sie: "Das ist einfach nur unglaublich."

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Es ist in der Tat eine bemerkenswerte Geschichte, die Vonn am Samstag beim 64. Kandahar-Rennen in Garmisch-Partenkirchen geschrieben hat. Nur eine Woche nach ihrer Rückkehr - nach einer zehnmonatigen Absenz wegen verschiedener Frakturen und einem 13. Platz bei der Abfahrt von Zauchensee, holte sie nun im Werdenfelser Land ihren 77. Weltcupsieg, es war ihr erster Sieg seit fast einem Jahr - ebenfalls in Garmisch.

Mit der Strecke unterhalb der Zugspitze verbindet sie eine spezielle Beziehung. Es war bereits ihr dritter Abfahrtssieg auf der Kandahar, ihr siebter Weltcuperfolg an dieser Stelle insgesamt. "Ich habe hier so viele Weihnachten mit der Riesch-Familie verbracht und auch mein 50. Weltcuprennen gewonnen", erzählte Vonn, als ihr das Sprechen wieder leichter fiel. Der 39. Sieg in einer Abfahrt war vielleicht ihr wichtigster, weil "ich mich und die Konkurrenten damit überrascht habe", wie sie selbst sagte.

Auch Viktoria Rebensburg rast endlich wieder auf das Podest

Am Ende hatte Vonn 15 Hundertstelsekunden Vorsprung auf die Zweitplatzierte Lara Gut aus der Schweiz; die gute Dritte Viktoria Rebensburg lag 0,48 Sekunden zurück. Der erste Podestplatz von Rebensburg seit fast einem Jahr ging durch Vonns Triumph ein bisschen unter. Zuletzt hatte die Riesenslalom-Olympiasiegerin - ebenfalls beim Heimrennen in Garmisch - zwei Speedrennen auf dem Podium beendet. "Es ist schön, dass ich meine gute Form endlich auch mal in eine gute Platzierung runterbringen konnte", bekannte die 27-Jährige.

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Doch auch Rebensburg landete bei ihrer Analyse des Rennens schnell bei Lindsey Vonn. "Das war beeindruckend", fand sie, "weil man an ein paar Stellen gesehen hat, dass sie noch gezögert hat. Aber sie kann halt so gut die langen Schwünge fahren und trifft da meistens den Punkt, um die maximale Geschwindigkeit aus der Kurve mitzunehmen."

In der Tat begünstigten die Bedingungen unter makellosem und blauem Himmel die Amerikanerin, der einzige Sprung am Ausgang des Tröglhangs wurde nach dem Training abgetragen. Es blieb ein "Hupferl" übrig, wie manche Athleten despektierlich meinten. Vonn mag einen hohen Luftsprung nicht besonders, sie muss die Skier auf dem Boden spüren, erst dann kann sie ihr famoses Fahrgefühl voll entfalten. "Ich hätte selbst nicht geglaubt, dass man ohne Training eine Abfahrt gewinnen kann", sagte sie. Vonn hatte sich nach dem 13. Rang in Zauchensee zuletzt gefragt, wann sie denn wieder mit Selbstvertrauen runterfahren könnte. Sie zweifelte ein wenig an sich und ihren Fahrkünsten.

Seit ihrer Oberarmoperation im November, als Vonn ohne Gefühl im Arm aufwachte, weil einige Nervenbahnen beschädigt waren, konnte sie die schnelleren Disziplinen nicht mehr fachgerecht trainieren. Sie kommt seit September auf gerade mal die drei vorgeschriebenen Trainingstage, ohne die sie im Rennen überhaupt nicht starten dürfte. "Ich habe aber schon in den letzten Tagen gespürt, dass ich wieder in einer besseren Abfahrtsposition auf den Skier stehe und so aggressiver fahren kann", sagte Vonn und fügte hinzu: "Es war aber schwierig, wieder den Mut zu finden."

Eigentlich liebt sie es, auf Pisten zu fahren, die auch die Männer in Angriff nehmen. In Garmisch ist die Strecke bis zum Eishang dieselbe, erst dann trennen sich die Wege, die Frauen fahren durch die Hölle, verzichten aber auf das extrem steile Gelände mit Kramersprung und den Freien Fall. Erst der Tauber Schuss führt die beiden Strecken im Zielhang wieder zusammen. Als Vonn über die Ziellinie raste und die grüne Zahl für die Führende aufleuchten sah, ließ sie sich in den Schnee fallen und schrie mehrmals so laut, als wollte sie endgültig alle Schmerzen vertreiben, die sie in der Reha ihrer mehrfach reparierten Bänder und Sehnen ertragen musste. "Ich habe es einfach nicht glauben können, dass ich führe", sagte Vonn. Es kam dann nach ihr keine Läuferin mehr, die schneller war.

Ihr erstaunlicher Sieg lieferte noch einige Randgeschichten, sie ist mit 32 Jahren nun die drittälteste Fahrerin, die eine Abfahrt im Weltcup gewinnen konnte. Doch das interessierte Lindsey Vonn nicht. Sie dachte schon wieder an den nächsten Tag, an das nächste Rennen im Super-G. Vonn sagte: "Da will ich wieder gewinnen." Und vielleicht das nächste Tänzchen mit den Guggenmusikern wagen.

© SZ vom 22.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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