Der Samstag bot den Skirennfahrerinnen beim Weltcup in Zauchensee ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm. Tina Weirather hospitierte in der Hotelküche, beim Flambieren. Lara Gut freute sich derweil über den Schnee, "für den wir so lange gebetet haben" - wobei der Schnee halt auch die Abfahrt an selber Stelle verhinderte. Und Julia Mancuso trieb die Absage prompt in den Tiefschnee. Die Amerikanerin wäre schon gerne bei der Abfahrt gestartet, es wäre ihr Comeback im alpinen Wettkampfbetrieb gewesen; nach einem Jahr voller Hüftbeschwerden und einer Operation. Aber die 32-Jährige wirkte am Samstag auch nicht allzu erschüttert ob der Absage, sie mag das freie Fahren im Gelände, "ich finde, dass die Skigötter es gut mit uns gemeint haben", teilte sie fröhlich mit.
Allein die Skirennfahrerin Lindsey Vonn schien am Samstag keine Lust zu verspüren, die Welt an ihren Freizeitaktivitäten teilhaben zu lassen. Sie hatte das zuletzt ja oft genug erlebt: keine Rennen bestreiten zu können. Die 32-Jährige hatte am Samstag im österreichischen Weltcup-Standort ebenfalls in den Betrieb zurückkehren wollen, nach zwei zähen Monaten des Stillstands. "Wenn wir hier nicht fahren können", hatte sie mit der ihr eigenen Nüchternheit gesagt, "werde ich verrückt".
Lindsey Vonn hat in Zauchensee fürs Erste dann ein Comeback ohne Rennen erlebt. Am Freitag war Nebel in die Strecke gekrochen, und als sich der Nebel verzog, fing es an zu schneien. Daran änderte sich bis zum Samstag wenig. Das war gut fürs Tiefschneefahren, aber schlecht für den Rennsport, der eine ebene Piste und freie Sicht erfordert, und so fiel am Samstag halt auch die Abfahrt aus, wie zuvor die Trainingsläufe. Am Sonntag soll es weder schneien noch nebeln, die Jury will dann die Abfahrt nachholen; die ursprünglich geplante Kombination wird verdrängt. Für die Kombination, sagte Renndirektor Atle Skaardal, hätte man sonst eine neue Rennlinie präparieren müssen. Vonn wird also am Sonntag wohl in den Weltcup zurückkehren, nach der "härtesten Reha ihrer bisherigen Karriere", und das bewundernswert ist oder verrückt, da ist sich die Szene noch nicht ganz einig.
Die Amerikanerin verrät: "Ich habe am Anfang sehr viel Angst gehabt"
Die Amerikanerin hatte sich im vergangenen November im Training den Oberarm gebrochen, auch die Nervenbahnen nahmen Schaden. Was Vonn erst mal für sich behielt. "Ich habe am Anfang sehr viel Angst gehabt, dass ich meine Hand gar nicht mehr normal benutzten kann", sagte sie in Zauchensee. Mittlerweile fühle sich die Hand noch immer so an, als ob sie eingeschlafen sei. Immerhin, die Skistöcke liegen wieder fest in der Hand. Vonn hat ihren Ski-Anzug zusätzlich gepolstert, um den Arm zu schützen. "Für den Rest meiner Karriere wird definitiv ein großes Risiko bestehen, den Arm noch mehr zu beschädigen", sagte sie, wenn sie stürze oder den Arm verdrehe. Die Helfer müssten sie dann umgehend von der Piste schaffen, ins Krankenkaus fliegen, in Zauchensee haben sie dafür sogar den Notfallplan angepasst. Es wäre ein kompliziertes Unterfangen, womöglich müssten sie den Arm erneut operieren, und Vonn steckt ja noch eine Platte von ihrem vergangenen Bruch darin. Noch ein Sturz, das hieße: sechs Monate Pause, mindestens.
Warum aber drängelt sich Vonn dann schon jetzt in den Weltcup, mit mickrigen drei Tagen Renntraining in den Beinen?
Vonn hat in Zauchensee immer wieder geduldig die gleichen Antworten vorgetragen. Dass das Leben "ohne Skifahren auch nicht schön genug" sei. Dass sie die Geschwindigkeit brauche. Dass sie "noch mehr zu gewinnen" habe in diesem Sport. Dass sie schon nach Olympia 2014 aufhören und "eine Familie bauen" wollte, dann kamen zwei Kreuzbandrisse, die Scheidung. Dass sie den Sport noch immer liebe, und mit der Liebe ist es ja so: Sie verhüllt gerne einmal den Blick aufs Rationale. Vonn entgleitet so langsam freilich auch die Zeit, Anfang Februar bricht die WM in St. Moritz an, davor bietet der Kalender nur noch zwei Sammelpunkte für die schnellen Disziplinen, Garmisch-Partenkirchen und Cortina d'Ampezzo.
Und ein Grund ist bei Vonn immer auch die Familie: Als Zwölfjährige war sie mit ihrer Familie von Minnesota nach Vail umgesiedelt, die Geschwister wurden aus ihrem Umfeld entwurzelt, alles für Lindsey, alles für den Erfolg. Als sich erste Risse durch die Ehe der Eltern zogen, hatte in Vonn, die damals Kildow hieß, längst eine Haltung stählerne Festigkeit erlangt: Nur der maximale Erfolg ist genug, die Familie hatte ja viel für sie geopfert.
Es gab am Wochenende in Zauchensee noch einen schönen Moment, als ein Reporter Vonn fragte, welcher Teil ihres Sportlerkörpers eigentlich noch unversehrt sei. Vonn überlegte, sie zählte erst einmal alle Schadensfälle auf, die Gehirnerschütterungen, den Rücken, klar, zwei gebrochene Finger an der rechten Hand, einen Schienbeinkopfbruch, zwei Kreuzbandrisse, eine Knöchelverletzung ... die Hüfte, sagte Vonn schließlich, doch, die Hüfte sei noch ganz okay. Und die linke Hand. Und jetzt?
"Come on, ich bin ein Skirennfahrer", sagte Vonn mit gespielter Empörung. Es war ihre knappste und vielleicht vielsagendste Antwort des Wochenendes.
Auch die Männer müssen pausieren
Nicht nur die Abfahrerinnen müssen sich in diesem Winter gedulden, auch die Männer hatten am Samstag in Wengen ungewollt viel Freizeit: Die Lauberhornabfahrt fiel aus, der Schnee war schuld. Die Männer haben seit Saisonbeginn nun also weiterhin nur zwei Abfahrten in den Beinen, prominente Vertreter wie der Österreicher Hannes Reichelt hatten zuletzt öffentlich gegrummelt; der Ski-Weltverband Fis hatte ja erwogen, die ausgefallene Abfahrt Ende Dezember in Santa Caterina gar nicht mehr nachzuholen. Renndirektor Markus Waldner sagte am Samstag in Wengen nun, dass er um beide verlorenen Abfahrten kämpfen werde, um Wengen und Santa Caterina. Eine könnte in zwei Wochen in Garmisch nachgeholt werden, die zweite nach der WM, vielleicht in Beaver Creek. Die Organisatoren in Kitzbühel, dem nächsten Stopp der Abfahrer am kommenden Wochenende, luden die Athleten per Twitter vorsorglich für den Montag ein - es war ein Scherz, am Montag findet in Kitzbühel eine zweitklassige Europacup-Abfahrt statt.
Am Montag soll es in Kitzbühel allerdings auch erst einmal: schneien.