Lilli Schwarzkopf gewinnt Silber im Siebenkampf:Wie in einem derben britischen Sketch

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Was Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf kurz nach dem abschließenden 800-Meter-Lauf erlebt, ist eine peinliche Ungeheuerlichkeit. Ihre vorübergehende Disqualifikation wirkt wie ein herber britischer Sketch, ist während dieser Spiele aber kein Einzelfall. Dass sie das Olympiastadion am Ende doch mit der Silbermedaille verlässt, verdankt sie nicht nur ihren starken Leistungen.

Jürgen Schmieder, London

Die Briten haben, so sagt man sich jedenfalls, eine ganz besondere Art von Humor: schrullig, gerne ein bisschen derb, immer jedoch mit einem liebevollen Augenzwinkern. Die besten Komiker des Landes, sie heißen Benny Hill oder Rowan Atkinson oder John Cleese, verpacken diesen Humor in kleine Sketche, bei denen die Hauptfigur irgendwann einmal recht bedröppelt in die Kamera gucken muss.

Lilli Schwarzkopf will ihre Disqualifikation nach dem 800-Meter-Lauf nicht akzeptieren - verlangt Beweise von den Kampfrichtern. (Foto: dpa)

Die britischen Komiker, an diesem Samstag waren sie Mitglieder des Kampfgerichts beim Siebenkampf, führten im Olympiastadion einen Sketch auf, der äußerst schrullig war und überaus derbe - und die Lilli Schwarzkopf guckte recht bedröppelt drein, als sie erfahren hatte, dass sie die Hauptfigur war in diesem Schauspiel.

Es war nach dem 800-Meter-Lauf, der letzten Disziplin im Siebenkampf, Schwarzkopf hatte sich durch famose Leistungen zuvor - sie hatte persönliche Bestleistungen über 100 Meter Hürden und im Hochsprung geschafft, dazu Saisonbestmarken beim Kugelstoßen, über 200 Meter und im Weitsprung - in die Position gebracht, um Silber und Bronze zu laufen. Gold, das stand schon vorher recht sicher fest, würde die Britin Jessica Ennis gewinnen. Also lief sie. Sie lief richtig gut, lange Zeit lag sie in Führung. Sie hatte genügend Vorsprung auf die, die vor ihr gelegen hatten, Ludmila Yosypenko und Antoinette Nana Djimou Ida. Und sie war nahe genug an Tatjana Tschernowa, die hinter ihr gewesen war.

Dann begann der Sketch, dessen Drehbuch die Protagonistin am besten erzählen kann. "Ich habe nach oben auf die Anzeigetafel geguckt und gesehen, dass mein Name da nicht auftauchte", sagte sie später, "ich wusste erst gar nicht, was los war. Dann habe ich gesehen, dass ich disqualifiziert sei. Beim 800-Meter-Lauf." Schwarzkopf schlug die Hände über dem Kopf zusammen, doch sie geriet nicht in Panik. Sie ging zu einer Kampfrichterin und fragte nach dem Grund der Disqualifikation.

"Ich dachte nur, mein Tag kann nicht so enden. Nein, bitte nicht. Die können mich doch nicht einfach so stehen lassen", sagte Schwarzkopf später, "ich war nervlich viel zu platt, die Situation nachvollziehen zu können. Ich bin zum ersten Schiri, dann beim nächsten, dann zum dritten und dann zum vierten." Sie habe am Start die Linie übertreten, das sei eindeutig zu sehen, wurde ihr versichert. Schwarzkopf geriet immer noch nicht in Panik: "Ich habe nur gesagt: 'Nein, das glaube ich nicht. Das müssen Sie mir erst einmal zeigen.'" Doch, doch, versicherte die Offizielle, kommen sie doch mit und sehen Sie selbst.

Erst zeigte man ihr ein Bild, danach ging es in den Videoraum. Und tatsächlich: Auf dem Video war - selbst ohne Zeitlupe - deutlich zu erkennen, dass da eine Läuferin einen Fehler gemacht hatte. Nur: Es war nicht Schwarzkopf, auch das war - wieder ohne Zeitlupe - auf dem Video zu sehen. "Ich habe denen gesagt, dass das nicht mein Fuß ist und dass ich keinen Fehler gemacht habe." Die Kampfrichter sahen sich die Aufzeichnung noch einmal an.

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Es waren nicht die weißen Schuhe mit den blauen Laschen an der Ferse, die Schwarzkopf trug. Man sah eindeutig die gelbe (links) und rote Lasche der Russin Kristina Savitskaya. Oooooooooooooh, sagte die Kampfrichterin nun, da haben wir wohl einen Fehler gemacht und müssen Sie wieder in die Wertung aufnehmen. Da sollten wir wohl auch im Stadion das richtige Ergebnis noch einmal einblenden. Schwarzkopfs Antwort: "Bitte machen Sie das!"

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Der deutsche Verband musste gar nicht protestieren, die Disqualifikation wurde rückgängig gemacht - ein Protest der ukrainischen Mannschaft, deren Starterin Ludmilla Josypenko nun ja plötzlich ohne Medaille dastand, wurde sogleich abgeschmettert. "Das muss wohl der britische Humor sein, den ich auch nach zwei Tagen noch nicht verstanden habe", sagte Schwarzkopf danach. Lachen konnte sie darüber nicht, wohl aber über ihre Silbermedaille. Auf der Anzeigetafel stand dann auch: Lilli Schwarzkopf, Platz zwei, 6649 Punkte. Dritte wurde Tatjana Tschernowa.

Es war natürlich nicht britischer Humor, sondern eine peinliche Ungeheuerlichkeit, die sich die Kampfrichter da geleistet haben - und sie passt in die Liste der Peinlichkeiten bei diesen Olympischen Spielen in London. Es hatte mit einer südkoreanischen Flagge begonnen, die bei den nordkoreanischen Fußballerinnen eingeblendet worden war. Dann gab es das Drama beim Fechten und nun die Disqualifikation von Schwarzkopf. Es war auch eine Frechheit den beiden Athletinnen Lilli Schwarzkopf und Ludmilla Josypenko gegenüber.

Die eine bekommt während der Ehrenrunde per Anzeigetafel und trockener Durchsage mitgeteilt, dass sie disqualifiziert sei - und die andere darf sich im Stadion freuen und bekommt dann doch keine Medaille. Und die trockene Entschuldigung, von denen man ohnehin viel zu viele hört in diesen Tagen in London, wirkt ein wenig wie Hohn.

Man will sich ja gar nicht ausdenken, was passiert wäre, wenn Schwarzkopf nicht so beharrlich darauf bestanden hätte, das Video zu sehen. "Ich habe so etwas schon im vergangenen Jahr erlebt mit Fehlstarts und hin und her, ich bin ja schon ein paar Tage dabei", sagte Schwarzkopf, "diese Erfahrungen lassen einen dann in mancher Situation gelassener reagieren." Das wirklich Schöne an diesem britischen Humor ist, dass am Ende die Menschen trotz aller Tragik ein Lächeln auf den Lippen haben und manchmal gar ein fröhlich Lied pfeifen.

Als Lilli Schwarzkopf aus dem Stadion ging, da hatte sie die Medaille in eine Schatulle getan und unter den Arm geklemmt. Sie pfiff nicht. Aber sie lächelte.

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