100-Meter-Weltmeisterin Sha'Carri Richardson:Ruhe, bitte!

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Sha'Carri Richardson siegte in 10,65 Sekunden. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Nie war eine Frau schneller bei einer WM: Im Moment des Triumphes will Sha'Carri Richardson ihre schwierige Zeit vor dem Sieg am liebsten ausblenden - genau wie die kontroverse Vergangenheit ihres Trainers.

Von Johannes Knuth, Budapest

Sha'Carri Richardson saß auf dem Podest im Pressesaal, in einem weißen Anzug, der wie eine Kreuzung aus Bademantel und Abendkleid wirkte, und hatte für fast jeden Fragesteller eine Botschaft parat. Ja, ihr Start im Halbfinale sei bescheiden gewesen, aber das habe jeder gesehen, das hätte der Reporter nicht eigens erwähnen müssen. Und ja, ihr vergangenes Jahr war furchtbar, aber auch auf die Erinnerung hätte sie gerne verzichtet. Und überhaupt wäre es mal nett, wenn man ihren Vornamen richtig aussprechen würde, es heiße "Shakääärri", sei das zu viel verlangt?

Nun ist das nun mal eine Notwendigkeit unter Sportbeobachtern: Um Größe zu vermessen, muss man den Zollstock auch am Tiefpunkt anlegen. Andererseits war die 23-Jährige aus Dallas gerade Weltmeisterin über 100 Meter geworden, bei ihrem ersten WM-Start, vor den vielfach prämierten Olympiasiegerinnen und Weltmeisterinnen Shericka Jackson (10,72) und Shelly-Ann Fraser Pryce (10,72). Schneller als Richardsons 10,65 Sekunden war bei Weltmeisterschaften noch keine Frau gewesen. Da überraschte es nicht völlig, dass die Amerikanerin nicht mehr all das hören mochte, was sie hatte verlieren müssen, um diesen Gipfel zu erklimmen.

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Aber, es hilft ja nichts: Im April 2021 war Richardson in 10,72 Sekunden schon eine der schnellsten 100-Meter-Zeiten der Historie gelaufen, und sie fiel auch so auf, mit neonbunten Haaren, neonbunten Fingernägeln und neonbunten Outfits. Das erinnerte den einen oder anderen in den USA womöglich vage an eine gewisse Florence Griffith-Joyner, gerade pünktlich vor den Olympischen Spielen in Tokio. Zwei Monate später wurde Richardson bei den US-Meisterschaften dann mit Marihuana erwischt.

Das habe sie genommen, um den Rummel und den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten, sagte sie. Olympia war trotzdem gelaufen, und es brach eine "sehr dunkle und sehr wütende Zeit" an, wie Richardson später sagte. Sie legte sich öffentlich mit Konkurrentinnen, Ex-Freundin Janeek Brown und einem Flugbegleiter an. Sie qualifizierte sich nicht für die Weltmeisterschaften in Oregon, fürs große Heimspiel. Sie erfuhr, welch rassistisch motivierter Hass in sozialen Netzwerken hochkocht, wenn eine Person of Color, homosexuell, Marihuana-Konsumentin, Aktivistin gegen Rassismus, nicht mehr so schnell rennt wie gewünscht.

"Ich habe nur noch Rot gesehen", sagte sie bei einem Treffen im vergangenen Juni in Los Angeles. "Ich musste viel lernen, ich musste erwachsen werden." Sie sei nun aber, das betonte sie auch in Budapest, kein neuer Mensch: "Es ist eher so, dass diese Person immer in mir war. Ich musste werden, wer ich wirklich bin." Als laufe sie nun endlich nur noch gegen die Konkurrenz, nicht mehr gegen sich selbst.

Richardsons Trainer hat eine lange Dopinghistorie

Budapest schien nur kurz ein Deja-vu bereitzuhalten, denn Richardson kam im Halbfinale wirklich fürchterlich aus dem Block, preschte gerade noch ins Finale. Dort wurde ihr Bahn neun zugeteilt, die Außenseiterbahn, aber vielleicht war es kein Nachteil, dass sie dort etwas unbehelligter sprinten konnte. So stand ihr Finale auch ein wenig stellvertretend für ihre holprige Reise nach Budapest, wenn man sie später richtig verstand: Die wichtigste Lektion sei gewesen, nie aufzugeben, "all den Lärm" auszublenden, "nie Medien und Außenstehenden es zu überlassen, einen zu definieren".

Noch ein bisschen Lärm gefällig? Am Montagabend stand im Presseraum auch ein Mann im schwarzen T-Shirt und adretten, pastellfarbenen Shorts im Presseraum: Dennis Mitchell, Richardsons Trainer. Ja, der Dennis Mitchell, der einen Positivtest auf Testosteron einst damit erklärte, dass er am Vorabend fünf Bier getrunken und vier Mal mit seiner Frau geschlafen habe; der im Zuge der Balco-Affäre testierte, sein Trainer Trevor Graham habe ihm Wachstumshormon gespritzt und der später, als er den 2017er-Weltmeister Justin Gatlin trainierte, Undercover-Reportern des Daily Telegraph angedeutet haben soll, wie selbstverständlich der Steroidmissbrauch nach wie vor in der Leichtathletik sei.

Als Richardson im Frühjahr darauf angesprochen wurde, sagte sie: "Ihr müsst euch nicht sorgen, dass aus meiner Ecke irgendein Dopingkram kommt. Ich stehe zu 1000 Prozent hinter Dennis." Als wolle sie sagen: Die Erinnerung daran hätte es auch nicht gebraucht.

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