Leichtathletik-WM:Athletin mit Defibrillator in Deutschlands Reihen

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Besondere Athletin: Stabhochspringerin Katharina Bauer überstand 2018 eine Herzoperation – und nimmt nun an der WM teil. (Foto: imago images / Beautiful Sports)

Das deutsche Aufgebot für die WM in Doha ist geprägt von wenigen, aber aussichtsreichen Spitzenkräften - und ein paar Überraschungsgästen.

Von Johannes Knuth, München

Sechs Wochen ist es erst her, da wussten sie im Deutschen Leichtathletik-Verband, dass noch eine unbequeme Debatte auf sie zurollen könnte. Sie hatten gerade die vier Startplätze für die WM in Doha/Katar (27. September bis 6. Oktober) fest an ihre Speerwerfer verteilt, diese sollten sich nach einem vitalen Konkurrenzkampf in Ruhe für den Jahreshöhepunkt präparieren. Nur Julian Weber vom USC Mainz war an der Versetzung gescheitert - er war etwas später in Schwung gekommen, führte dafür nun eine umso prächtigere Form mit sich. Sie funkelte zumindest prächtiger als jene von Bernhard Seifert, der Ende Mai schon 89,06 Meter geworfen hatte, dann zusehends in einen Konjunkturabschwung geschlittert war - und trotzdem die Nominierungskriterien überzeugender erfüllt hatte als Weber. Und nun?

Boris Obergföll, der Speerwurf-Bundestrainer im DLV, sagte damals, dass er mit Seifert sprechen werde, sollte dessen Form weiter einsacken. Vielleicht würde der Potsdamer seinen Platz ja freiwillig räumen. Auch wenn sie im Verband vermutlich ahnten, dass das, sollte Seifert sich nicht noch verletzten, so wahrscheinlich war wie ein halber Meter Neuschnee in Doha.

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Es wird vermutlich auch in naher Zukunft nicht in Doha schneien - für den WM-Start sind lauschige 39 Grad vorhergesagt - dafür trat Seifert seinen Platz jetzt tatsächlich an Weber ab. Der 26-Jährige ist zwar nicht verletzt, zumindest nicht offenkundig, er war zuletzt aber noch chancenloser als zuvor: Beim Diamond-League-Finale in Zürich schaffte er arg bescheidene 75,88 Meter. Obergföll suchte also das Gespräch, er beriet sich mit Seifert und dessen Heimtrainer Burkhard Looks, schließlich hielt er fest: "Für diese Entwicklung haben wir bisher alle noch keine Erklärung." Seiferts Rückzieher war dennoch beachtlich, ein WM-Start verspricht Prämien und Fördergelder; Obergföll nahm die Entscheidung auch deshalb mit "Hochachtung" auf. Auch Weber zollte seinem Kollegen "großen Respekt für dieses Fair-Play".

Und so rutschte Weber, der zuletzt seinen schmerzenden Stemmfuß hatte behandeln lassen, doch noch in das 71-köpfige Doha-Aufgebot, das der DLV am Montag verkündete. Es ist ein Team, das sich noch mehr als sonst auf wenige Spitzenkräfte verlassen muss: Malaika Mihambo war im Weitsprung zuletzt immerhin unangefochten, auch Konstanze Klosterhalfen hat es sich über 1500 und 5000 Meter, von denen sie in Doha nur eine Strecke bestreiten wird, in der Weltelite bequem gemacht - trotz Störgeräuschen wegen ihres umstrittenen Trainingsumfelds in Portland, gegen das die US-Anti-Doping-Behörde ermittelt. Die 4x100-Meter-Staffel der Frauen lief zuletzt Weltjahresbestzeit (41,67), die Zehnkämpfer Niklas Kaul und Kai Kazmirek (WM-Dritter 2017) sind ebenso für Medaillen befähigt wie Carolin Schäfer, WM-Zweite 2017 im Siebenkampf. Und die Speerwerfer stellen jetzt wieder vier Podiumsanwärter samt Titelverteidiger (Johannes Vetter). Fünf deutsche Podiumsbesuche wie 2017 in London sind da keine verwegene Vorstellung, auch wenn der DLV wieder auf eine Gewinnprognose verzichtet.

Belastung der Heim-EM, später Beginn der WM und Olympia im Blick

Zuletzt hatten ja auch die Krankmeldungen vieler Leistungsträger verlässlich die Nachrichtenspalten gefüllt, als da wären: David Storl, der zweimalige Kugelstoß-Weltmeister, Dreispringer Max Heß, Zehnkampf-Europameister Arthur Abele, der WM-Zweite Rico Freimuth, Pamela Dutkiewicz, die WM-Dritte über 100 Hürden, die Sprinterinnen Lisa Mayer und Laura Müller, Hürdensprinter Gregor Traber, Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch sowie Kristin Gierisch, die zu Saisonbeginn den nationalen Dreisprung-Rekord auf 14,61 Meter verschönert hatte. Jedes Malheur hat seine eigene Ursachen, man müsse aber bedenken, sagte DLV-Sportdirektor Idriss Gonschinska am Montag auf Anfrage, "dass die intensive Vorbereitung auf die Heim-EM 2018 in Berlin sowohl im physischen und mentalen Bereich eine besondere Belastung darstellte". Das habe in die aktuelle Saison hineingewirkt. Da die WM im heißen Doha zudem sehr spät beginnt, die Sommerspiele im kommenden Juli in Tokio indes umso früher, brach manch angeschlagener Athlet die aktuelle Saison auch offenbar ab, um seine Olympia-Ambitionen nicht zu gefährden.

Einige Athleten hatten die WM-Norm wiederum erst in den vergangenen Wochen geschafft - oder wurden erst jetzt ins finale Aufgebot berufen, wie Diskus-Olympiasieger Christoph Harting, der sich nach scharfer Kritik am DLV intern offenbar einsichtig zeigte. Andere Überraschungsgäste rückten ohne erfüllte Zulassung nach, weil der Weltverband IAAF die Felder, grob gesagt, bei Bedarf mit Athleten ohne Norm aus der Jahresbestenliste auffüllt. Der DLV hatte diese Einladungen früher nicht immer akzeptiert; das Postulat der "erweiterten Endkampfchance" stand über allem. Allerdings hatte die IAAF zuletzt die Olympianormen für 2020 stark verschärft, als zweiter Zugang dient die neue Weltrangliste. Und für die können nun "schon bei den Weltmeisterschaften in Doha wichtige Ranking- Punkte für die Olympiaqualifikation gesammelt werden", sagt Gonschinska.

Davon sollen also auch die Nachrücker profitieren, im DLV sind das unter anderem Dreispringerin Neele Eckhardt und Stabhochspringerin Katharina Bauer (dank 4,55 Metern in der Halle). Bauer sogar nach Herzoperation: Sie springt seit eineinhalb Jahren mit implantiertem Defibrillator.

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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