Leichtathletik:Muss Olympia ohne Usain Bolt auskommen?

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Spürte ein "Unbehagen im rechten Oberschenkel": Usain Bolt. (Foto: Gilbert Bellamy/Reuters)

Der Jamaikaner verletzt sich wenige Wochen vor den Spielen in Rio. Den Olympia-Machern droht ein großer Schadensfall.

Von Johannes Knuth, Kingston/München

Die Erschütterungen waren noch bis an die amerikanische Westküste zu spüren, bis nach Oregon, die US-amerikanischen Leichtathleten halten dort in diesen Tagen ihre Meisterschaften ab. Und natürlich sprach sich am Freitagabend in der selbsternannten "Track Town" schnell herum, was sich Minuten zuvor im fernen Kingston ereignet hatte, bei den jamaikanischen Titelkämpfen. Beziehungsweise: was sich nicht ereignet hatte.

Usain Bolt, 29, geschäftsführender Olympiasieger sowie Weltmeister über 100 und 200 Meter, Werbegesicht der Leichtathletik, er war nicht mehr zum Finale über 100 Meter angetreten. Eine "unbestimmte Verletzung", sprach der jamaikanische Fernsehreporter mit bedeutungsschwangerer Miene ins Mikrofon. Den Rest der Meisterschaften wird Bolt nun ebenfalls schwänzen müssen. Ob und in welcher Verfassung er bei den Sommerspielen in rund einem Monat in Rio einrücken wird - darüber schwebte am Samstag ein nicht gerade kleines Fragezeichen.

Bolt war bemüht, die Aufregung des Wochenendes schnell zu dimmen. Er habe nach seinem Vorlauf und dem Halbfinale (das er in mediokren 10,05 Sekunden gewann) ein "Unbehagen im rechten Oberschenkel" gespürt, teilte er per Facebook mit. Die medizinische Überprüfung habe eine "Zerrung" (Grade 1 tear) ergeben. Bolt soll ziemlich sauer auf die Ausrichter in Kingston gewesen sein, sie hatten ihn früh ins Stadion zitiert, dort musste er offenbar eine halbe Stunde warten, ehe sie ihn in sein Halbfinale entließen.

Hoffnung auf eine Ausnahmegenehmigung

Er habe nun jedenfalls eine medizinische Ausnahmegenehmigung beantragt, um für den Rest der Meisterschaften freizubekommen und seine Zulassung für Rio später zu erwerben, richtete Bolt aus: "Ich werde mich sofort behandeln lassen und hoffe, mich am 22. Juli in London für die Olympischen Spiele empfehlen zu können."

Das dafür vorgesehene Protokoll könnte Bolt allerdings Schwierigkeiten bereiten. Nur die drei Klassenbesten bei den jamaikanischen Trials rücken nach Rio weiter, es ist die gleiche harte Auslese, die die Amerikaner betreiben. Bolt kann sich also zunächst für keinen olympischen Wettbewerb einschreiben, weder für 100 noch für 200 Meter. Einen verborgenen Pfad gibt es allerdings: die Ausnahmegenehmigung, die Bolt am Freitag beim jamaikanischen Verband (JAAA) wegen seiner Verletzung beantragte. Sollte die JAAA ihm diese Ausnahme gewähren, könnte er seine Fitness nachträglich nachweisen.

Nur: Der jamaikanische Verband gestattet derartige Ausnahmen bloß, wenn sich der Athlet unter "den besten Drei der Welt für die jeweilige Disziplin" eingereiht hat - bevor er sich verletzt. Bolt hat im aktuellen Geschäftsjahr über 100 Meter die zweitschnellste Zeit der Welt produziert, in 9,88 Sekunden. Die 200 Meter ist er in 2016 aber noch gar nicht gelaufen; jamaikanische Medien berichteten am Freitag prompt, Bolt könne die 200 Meter in Rio also in keinem Fall in Angriff nehmen.

Wobei das nationale Regelwerk nicht explizit vorschreibt, in welchem Zeitraum sich ein Athlet unter den besten Drei in einer Disziplin eingefunden haben muss. Der jamaikanische Verband erklärte am Samstag, man beziehe sich dabei auf den vom Weltverband ersonnenen Zeitraum, in dem man sich für Rio qualifizieren kann, sprich: vom 1. Mai 2015 bis zum 11. Juli 2016. Aus diesem Zeitraum kann Bolt seine Weltjahresbestleistung von der WM im vergangenen August einbringen.

Der 29-Jährige kann also noch nachträglich nachweisen, dass er fit ist, allerdings nicht bis Ende Juli, wie von ihm am Freitag verbreitet. Sondern bis spätestens zum 18. Juli, wenn die Zulassung für Rio schließt, wie JAAA-Teammanager Ludlow Watts erklärte. Je nachdem, wie es dann um seine Fitness steht, könnten sie Bolt per Nachmeldung sogar bis Anfang August in die Startliste heben. Die Olympischen Spiele beginnen am 5. August, die Leichtathletik-Wettbewerbe brechen am 12. August an.

Den Olympia-Machern droht also ein großer Schadensfall, viel Zeit bleibt Bolt ja nicht mehr, um zu genesen. Sie wollten ihn in Rio zum letzten Mal präsentieren, nach der WM 2017 will er seine Karriere ja stilllegen, ein letztes Mal Olympia also, mit Bolt und seinen Sternendeuter-Gesten, längst ein Dauerrenner des PR-Sports. Und Bolt wollte natürlich wieder das Gold-Triple erwirtschaften, über 100, 200 Meter und mit der Staffel. Drei goldene Dreiklänge, das hat noch kein Leichtathlet geschafft, und Bolt hat stets betont, wie wichtig ihm diese Marken sind. Die größten Gewinner des Wochenendes waren also zunächst einmal die amerikanischen Sprinter, allen voran Justin Gatlin, der zweite Mann im internationalen Sprint-Gewerbe, der am Sonntagabend bei seinen Trials in Oregon mit 9,80 Sekunden Weltjahresbestzeit lief.

Andererseits hat Bolt fast schon ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, von Verletzungen und Tiefschlägen zurückzukommen. 2009, vor seinen bis heute validen Weltrekorden bei der WM in Berlin, war er im Winter in einen Autounfall verwickelt, 2012 verlor er bei den Trials gegen Yohan Blake. Und im Vorjahr zwangen ihn Rückenprobleme in ein Formtief, ehe es Bolt dann doch irgendwie schaffte, Justin Gatlin bei der WM in Peking zu bezwingen.

Fernab der Aufregung um Bolt schob sich in Kingston die Jamaikanerin Elaine Thompson in die Pole Position für Rio. Sie gewann das 100-Meter-Finale in 10,70 Sekunden, schneller waren weltweit überhaupt erst vier Läuferinnen: Landsfrau Shelly-Ann Fraser-Pryce (10,70/am Freitag Zweite in Kingston in 10,92), sowie die Amerikanerinnen Marion Jones (10,65), Carmelita Jeter (10,64) und Florence Griffith-Joyner (10,49).

© SZ vom 03.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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