Leichtathletik in München:Ein Orkan der Begeisterung

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Überwältigt: Lea Meyer feiert ihren zweiten Platz über die 3000 Meter Hindernis. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Hindernisläuferin Lea Meyer, bei der WM noch unglücklich gestürzt, gewinnt im Olympiastadion mit persönlicher Bestzeit Silber. Auch Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre wird Zweiter - hinter dem Dominator Armand Duplantis.

Von Johannes Knuth, München

Spätestens gegen kurz nach zehn Uhr abends, das Wetter im Münchner Olympiastadion war nun doch recht frühherbstlich, war der Stabhochspringer Armand "Mondo" Duplantis bei voller Schubkraft. "Wäre ich ein Auto", hatte er nach der gemeisterten Qualifikation mit 5,65 Meter gesagt, "wäre ich heute vermutlich im niedrigen Gang gefahren". Nun hatte er sich nach übersprungenen 5,95 Metern, mit denen der 22-Jährige seinen zweiten EM-Titel festgezurrt hatte, gleich die 6,06 Meter vorgeknöpft, Meisterschaftsrekord. Und Duplantis überflog diese Höhe so, wie ein Weltrekordinhaber (6,21) eine solche Barriere eben überquert: bequem. Aber der Schwede freute sich schon sehr ordentlich, er spannte die Muskeln an und schrie ein wenig in die Münchner Nacht hinein. Dann fand er, dass es genug war für diesen Abend, an dem er das nächste funkelnde Sternchen in sein Karrieremosaik gelegt hatte.

Auch für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) hatte der vorletzte Tag dieser Leichtathletik-Europameisterschaften wieder erbauliche Nachrichten parat, nach Saskia Feiges Bronzemedaille über 20 Kilometer Gehen am Samstagmorgen. Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre flog mit 5,85 Metern als Zweiter hinter Duplantis ein, es war seine erste internationale Medaille bei den Aktiven - und die schimmerte auch ein bisschen golden, im Lichte von Duplantis' greller Dominanz. Und dann führte Hindernisläuferin Lea Meyer noch eines dieser Rennen auf, das sich viele Athleten ausmalen, die aber längst nicht immer zur Vollendung reifen: Die 24-Jährige drückte ihre Bestzeit um rund zehn Sekunden, auf 9:15,35 Minuten - nur die Albanerin Luiza Gega war an diesem Abend stärker. Es war die 14. Medaille für den DLV bei diesen Titelkämpfen.

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Von Johannes Knuth

Die deutschen Athleten waren in München in den Abendvorstellungen bislang selten ohne einen finalen Überraschungstusch ausgekommen - Stichworte: Gina Lückenkemper, Niklas Kaul, Konstanze Klosterhalfen. Und diesmal war es Meyer, zuletzt schon deutsche Meisterin in Berlin, die es in Eugene ungewollt zu internationaler Berühmtheit gebracht hatte: Als sie kopfüber in den Wassergraben plumpste, ihre Bestzeit trotzdem nur um wenige Sekunden verpasste.

Ein Covid-Infekt auf der Rückreise hatte ihre EM-Teilhabe kurz in Frage gestellt, ihr Vorlauf in München letzte Zweifel zerstreut. Im Finale floss dann alles zusammen, was Meyer sich in den vergangenen Jahren erarbeitet hatte, über viele Umwege, abgebrochene Sportinternats-Besuche, USA-Auslandsjahre, diverse Trainerwechsel. Sie zeigte sich sofort präsent an der Spitze, wie eine, die sich vorgenommen hat, jede Attacke der Konkurrenz zu parieren. Und so kam es auch, kurz vor Schluss waren nur noch Gega, die Britin Elizabeth Bird und Meyer an der Spitze. Für einen Moment sah es so aus, als könnte der Orkan der Begeisterung die 24-Jährige sogar bis ganz nach vorne pusten, Platz zwei stimmte sie aber mindestens genauso glücklich. Einen Schuss Berühmtheit gab es obendrauf.

Diesmal aus den richtigen Gründen.

Generell gibt es ja schönere Samstagsbeschäftigungen bei Regen, Nässe und Wind als einen Leichtathletikabend - vor allem im Stabhochsprung. Der Vorschlag eines französischen Reporters, den Wettkampf einfach in die Paulaner-Gaststätte am Nockherberg zu verlegen - die Deckenhöhe würde Sechs-Meter-Sprünge problemlos zulassen - kam dann aber doch nicht zur Anwendung. Duplantis hat seine Begabung freilich oft genug bei Sauwetter ausgestellt, und als er am Samstag bei 5,90 angelangt war, war er mit Lita Baehre schon alleine. Der Deutsche zappelte, klatschte, riss die Augen auf vor seinem ersten Versuch - ungültig. Duplantis zuckte mit den Mundwinkeln, dann sprang er drüber, mit knapp einem halben Meter Stauraum. Das reichte, weil Lita Baehre die 5,95 Meter nicht mehr schaffte - eine freilich gewaltige Hürde für ihn an diesem Abend.

Auch Bo Kanda Lita Baehre gewinnt Silber. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Dabei hatte der Wettkampf stotternd begonnen für den 23-Jährigen und seine DLV-Kollegen Oleg Zernikel und Torben Blech. Blech und Zernikel kippten schon bei 5,65 Metern aus dem Rennen, vor allem für Zernikel war das ein schwerer Dämpfer: Bei der WM in Eugene war er noch Fünfter geworden, mit Bestleistung (5,87). Auch Lita Baehre leistete sich bei 5,65 und 5,75 Metern je einen Fehlversuch, aber weil die Konkurrenz über 5,85 Meter zunächst nicht vorlegte, war die Tür zu den Medaillen auf einmal auf: Bei Höhengleichheit entscheidet zunächst einmal, welcher Athlet die Höhe in welchem Versuch meistert.

Lita Baehres erster Versuch: knapp gerissen mit der Hüfte. Doch die Mitbewerber, darunter Renaud Lavillenie, der einstige Olympiasieger und Weltrekordler aus Frankreich, scheiterten auch in der zweiten Runde. Und diesmal nutzte der Deutsche seine Chance, mit einem Sprung aus einem Guss, seinem besten im Wettbewerb. Die anderen mussten 5,85 nun erst einmal meistern, um ihre Chance zu wahren, den Deutschen bei der nächsten Höhe wieder zu überholen - und scheiterten schon an dieser Aufgabe.

Duplantis war dann noch viel zu stark, aber Lita Baehre unterstrich, dass er nicht nur in puncto Show-Einlagen, sondern auch sportlich ein neues Niveau erklommen hat. Als ihn die Moderatorin am Stadionmikrofon fragte, ob Silber einer gefühlten Goldmedaille gleichkomme gegen diesen unverschämt guten Sieger, sagte Lita Baehre, ernst und trocken: "Nein! Ich werde auf jeden Fall versuchen, ihn eines Tages zu schlagen!" Raunen im Rund - es war die allerletzte deutsche Pointe an diesem Abend.

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