IAAF-Präsident Sebastian Coe:Er macht Dinge oft etwas schöner, als sie sind

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Wiedergewählt: Sebastian Coe vor der WM in Doha. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images for IAAF)
  • Der Brite Sebastian Coe wird beim Kongress des Leichtathletik-Weltverbandes in Doha auf triumphale Weise als Präsident bestätigt.
  • Der 62-Jährige hat in seiner ersten Amtszeit viele Reformen angeschoben - und viele brisante Fragen bislang elegant umschifft.
  • Hier geht es zum Zeitplan der Leichtathletik-WM.

Von Johannes Knuth, Doha

Für einen Moment erlebte man Sebastian Coe am Mittwoch tatsächlich so, wie er selten auftritt: sprachlos. 203 Delegierte aus den Nationalverbänden hatten sich gerade im Sheraton Grand Hotel zur Abstimmung eingefunden - ein paar waren offenbar an der Kaffeebar geblieben -, und diese 203 schickten Coe dann in seine zweite Amtszeit als Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Der frisch Gekürte erhob sich, neigte den Kopf gerührt zur Seite, sprachlos. Dann teilte er mit, "sehr, sehr, sehr geehrt" zu sein. So beschwingt wirkte der 62-Jährige am ersten Kongresstag der IAAF in Doha, dass es nicht gewundert hätte, hätte er sich noch ans Klavier gesetzt und die Jazzmusik intoniert, die sie während der Kaffeepausen im Tagungssaal einspielten.

Da kann die Leichtathletik ihre WM nach Katar vergeben und kübelweise Kritik auf sich ziehen - Coe moderiert das in diesen Tagen so elegant weg, als hätte dem Sport kein besserer Ausrichter passieren können. Die umstrittene Menschenrechtslage im Emirat? Da könne der Sport doch Veränderungen anstoßen. 40 Grad außerhalb des klimatisierten Stadions, Marathon um Mitternacht? Man werde schon aufpassen, mehr Wasser ausschenken. Außerdem werde man so der Nachtlaufbewegung gerecht, hatte die IAAF zuvor verkündet, wobei diese Bewegung vermutlich so real ist wie der sagenumwobene asiatische Markt im Fußball. Coe würde wohl auch einen Marathon durch die Wüste anpreisen, vielleicht als Hommage an die Beduinen. Man spürt, dass er im echten Leben eine PR-Firma führt; dass er Dinge oft ein wenig schöner macht als sie sind. Eine Fertigkeit, die ihm in den ersten vier Jahren seiner Präsidentschaft nicht ungelegen kam.

Leichtathletik-WM in Doha
:So umstritten war noch keine WM

Im Wüstenemirat sind die Temperaturen tropisch, das Stadion ist ein Kühlschrank, die Menschenrechtslage prekär. Ausschwitzen müssen es die Athleten.

Von Johannes Knuth

Eine ungewöhnlich robuste Haltung

Es stimmt schon: Es hat sich einiges zum Besseren gewandelt, seitdem der Lord den schwer unter Korruptionsverdacht geratenen Lamine Diack abgelöst hat. Ein IAAF-Präsident darf mittlerweile nur noch für zwölf Jahre wirken. Mindestens einer der vier Vizepräsidenten muss eine Frau sein, so will es die neue, von Coe angeschobene Verfassung. In Doha fiel diese Rolle erstmals Ximena Restrepo zu, einer ehemaligen 400-Meter-Läuferin aus Kolumbien. Die IAAF hat auch ihre Integritätseinheit (AIU) vom Verband abgekoppelt, die Doping- und Ethikverstöße separat ahnden soll. Zu Wochenbeginn suspendierte sie wieder diverse Athleten, darunter Dilschod Nasarow, der Hammerwurf-Olympiasieger von 2016 aus Tadschikistan, der bei Nachtests der WM 2011 mit Turinabol aufgeflogen war. Ahmed Al Kamali aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, ein Bewerber für den IAAF-Rat, war am Mittwoch zudem durch den - mittlerweile obligatorischen - Integritätscheck gerauscht.

Der Kongress segnete dann auch die Entscheidung von Coes Rat ab, Russlands Leichtathletikverband weiter von internationalen Wettkämpfen zu suspendieren. Wenn auch mit 30 Gegenstimmen. "Ein Beispiel, dem alle Sportarten folgen sollten", fand Rune Andersen, der Chef der zuständigen Task-Force - schöne Grüße ans Internationale Olympische Komitee (IOC), das Russland längst wieder in die Sportfamilie aufgenommen hat, trotz vieler offener Fragen. Andersen erklärte auch, dass der Hochspringer Danil Lyssenko zuletzt der AIU gestanden habe, mit Hilfe von russischen Verbandsfunktionären ein Attest gefälscht zu haben, mit dem er um eine Dopingkontrolle herumgekommen sein soll. Lyssenko habe sein Geständnis mittlerweile zwar widerrufen, aber solange schon diese Affäre ungeklärt sei, wäre es absurd, den Verband wieder zuzulassen. Nicht wenige Insider vermuten, dass Coe auch wegen dieser ungewöhnlich robusten Haltung im Weltsport bis heute nicht mit einer IOC-Mitgliedschaft belohnt wurde, im Gegensatz zu seinen Vorgängern. Ach wo, hatte IOC-Präsident Thomas Bach sinngemäß entgegnet: Coe müsse derzeit doch so viel reformieren, da könne er nicht auch noch im Olymp dienen.

Das stimmt halt eben auch: dass noch immer einige Geister der Vergangenheit durch die Flure von Doha bis Monaco spuken, dem Stammsitz der IAAF. Frankreichs Finanzstaatsanwälte hatten zuletzt, nach vierjährigen Ermittlungen, ihre Anklage vorgelegt, die sich vor allem um Coes Vorgänger Lamine Diack und dessen Filius Papa Massata dreht. Erstgenannter steht nach wie vor unter Hausarrest, letztgenannter wird von Interpol gesucht. In der 89-seitigen Schrift, die der SZ vorliegt, finden sich viele der bereits bekannten, schwindelerregenden Vorwürfe - vor allem, wie der ehemalige Präsident und sein Sohn Geld von russischen Athleten eingetrieben haben sollen, um positive Dopingtests verschwinden zu lassen. Es gibt aber auch weitere Fährten, zum Beispiel zur Frage, wie die Weltmeisterschaften 2019 und 2021 unter Diack senior nach Doha sowie Eugene kamen. Coe hat beide Vergaben stets verteidigt. Sein Sport müsse nun mal neue Märkte erschließen.

Dieser Eindruck beschleicht einen auch oft bei diesem PR-Profi: dass er sich gerne etwas unwissender gibt, als er in Wahrheit ist, auch wenn Coe das streng bestreitet. Einst betonte er, dass er dank sieben Dienstjahren als Vizepräsident unter Diack - seinem Lehrmeister - prächtig als dessen Nachfolger geeignet sei. Als Diack verhaftet wurde, fiel Coe ein, dass er doch gar nicht so viel Zeit mit Diack verbracht habe. Und eine ominöse E-Mail, die ihm im Sommer 2014 zugespielt wurde und aus der hervorging, wie die Diacks eine russische Marathonläuferin erpresst haben sollen? Die habe er ungelesen an die damaligen Ethikwächter weitergeleitet, behauptete Coe vor dem britischen Sportausschuss. Der hielt das für bedingt glaubhaft, sprach ihn letztlich aber von Fehlverhalten frei.

Coe beweist, wie man sich die Gunst der Delegierten sichert

Letztlich erging es den Delegierten in Doha offenbar wie Jürgen Kessing, seit zwei Jahren Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV): "Ich kann mir im Moment keinen besseren Präsidenten vorstellen." Kessing selbst war mit seiner Bewerbung für den IAAF-Rat klar gescheitert, 45 Stimmen hatte er auf sich vereint, 91 wären nötig gewesen. "Ich habe keinen großen Aufwand betrieben, es ist ein respektables Ergebnis", fand Kessing, im echten Leben Bürgermeister in Bietigheim-Bissingen. Er wolle es in vier Jahren erneut probieren. Bis dahin wird im Council weiter ohne einen Vertreter des weltweit größten Nationalverbandes entschieden.

Coe bewies am Mittwoch dann noch mal, wie man sich die Gunst der Delegierten sichert: Er verkündete den "größten, singulären Sponsorendeal" in der Historie der IAAF: mit dem chinesischen Dalian-Wanda-Konzern, der auf dem - für seine notorische Korruption bekannten - heimischen Immobilienmarkt groß wurde. Filetstück des Pakets: Der Konzern übernimmt die Rolle des Titelsponsors der Diamond League, die seit 2012 vakant war. Er freue sich, sagte Coe, dass bald "viele großartige Leichtathletik-Events" im Land seines neuen Sponsors entstehen würden. Was heißt noch mal Compliance und Menschenrechte auf Chinesisch?

© SZ vom 26.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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