Eines der ersten Dinge, die einem auffallen, ist diese Installation. Man sieht sie, kurz nachdem das Taxi den Flughafen verlassen hat, noch bevor es Dohas Innenstadt erreicht mit der Hafenpromenade, den Palmen und funkelnden Hochhäusern, als hätte man Miamis Skyline mit dem Frankfurter Bankenviertel gekreuzt. Ein paar Fahrminuten davor stößt man also auf dieses Kunstwerk, es verkündet seine Botschaft in großen, golden erleuchteten Lettern auf der grauen Fassade der Al-Riwaq-Galerie: "Everything is going to be alright", steht da - es wird schon alles gut gehen, irgendwie.
Die Installation ist eine Schöpfung des englischen Künstlers Martin Creed, das Original hängt seit 1999 in London. In Doha haben sie sich vor einem Jahr eine Kopie spendiert, zum Jahrestag der Blockade, die Katars Nachbarn vor zwei Jahren verhängt haben, vor allem Saudi-Arabien. Katar finanziere die Muslimbrüder, Terroristen also, so sieht der mächtige Erzfeind das. Aber Katar reagierte trotzig, und die Botschaft an der Galerie passt auch ganz gut zu jenem Projekt, das man sich gerade leistet: die Leichtathletik-WM, die am Freitag in der Hauptstadt des Emirats anbricht.
Das Event wurde zu Wochenbeginn wieder von unbequemen Nachrichten getroffen, als hätte es noch eines Beweises bedurft, unter welch zweifelhaftem Stern die Ausrichtung steht. Die britische Zeitung Guardian meldete, dass die Organisatoren kaum Tickets verkauft hätten, man werde viele der 40 000 Plätze im Khalifa-Stadion während der zehn WM-Tage abdecken und Gastarbeiter sowie Kinder einladen.
"Alles, was die haben, ist Geld"
Überraschen dürfte das wohl kaum noch jemanden bei dieser WM, die einst an den Golf verpflanzt wurde und bei der die Marathons nun zur Geisterstunde gelaufen werden, weil es dann nicht mehr 40 Grad im Schatten hat. Wobei sich eine Septembernacht in Doha noch immer so anfühlt, als käme der kurze Gang zum Supermarkt einer Mischung aus Wüsten- und Regenwalddurchquerung gleich, wegen der hohen Luftfeuchtigkeit. Wird schon alles gut gehen, irgendwie?
Die Erzählung, wie die Leichtathletik zu ihrer bislang wohl umstrittensten WM kam, begann vor acht Jahren, und vielleicht steuert sie irgendwann vor einem Pariser Gericht auf ihr vorläufiges Ende zu. Frankreichs Finanzstaatsanwälte legten zuletzt eine Anklageschrift gegen Lamine Diack vor, bis 2015 Präsident des Weltverbandes IAAF, und dessen Vertraute. Es geht darin um positive Dopingtests von russischen Athleten, die Diack gegen Geldzahlungen angeblich verschwinden ließ, es geht auch um viele Millionen, die sein Sohn Papa Massata als Marketingberater des Verbandes abgeschöpft haben soll, mit dem Segen des Vaters. Was beide abstreiten. In diesem gewaltigen Dickicht stießen die Ermittler jedenfalls auch auf eine Zahlung über 3,5 Millionen Dollar.
Die flossen im Herbst 2011 auf ein Konto von Massatas Agentur, einen Monat, bevor die IAAF ihre WM für 2017 vergeben sollte, für die sich Doha (noch erfolglos) bewarb. Absender war eine katarische Firma: Oryx QSI, verbandelt mit Nasser al-Khelaifi, Chef des katarischen Staatsfonds QSI. Eine "Anzahlung" für ein mehr als 30 Millionen Dollar schweres TV-Rechtepaket, sollte Katar die WM bekommen, sagte al-Khelaifis Lager französischen und britischen Medien. Bestechung, vermuten die Ermittler. Sie ermitteln jetzt auch - separat - gegen al-Khelaifi. Der bestreitet alles, wie Diack junior.
Drei Jahre später klappte es dann, mit der WM 2019. "Es hat sich die mit Abstand schlechteste Kandidatur durchgesetzt", polterte der spanische Verbandschef José María Odriozola damals: "Alles, was die haben, ist Geld." Helmut Digel, einziger deutscher Vertreter im IAAF-Council damals, fand allerdings, dass Katar sich an die Spielregeln gehalten habe. Die Bewerber konnten sich damals mit finanziellen Anreizen überbieten, Doha offerierte der IAAF noch 15 Minuten vor der Wahl ein 30 Millionen Euro pralles Sponsorenpaket - und gewann, gegen Eugene und Barcelona. Da müsse man sich doch fragen, sagte Digel, "ob die Regeln die richtigen sind".
Gut, bald darauf standen auf dem Hof des kenianischen Funktionärs Isaiah Kiplagat halt auch zwei Luxusautos, mit freundlichen Grüßen der Gönner aus Katar. Sanktioniert wurde aber lediglich Kiplagat.
Und Digel? Der hatte, wie 2016 bekannt wurde, jahrelang ein Salär von Diack senior erhalten, diskret und offenbar ohne Rechtsgrundlage. Er, der lange das Marketing-Ressort der IAAF betreut hatte, in dem sich der skandalumtoste Filius des Präsidenten austobte. Doch Digel reagierte damals nicht auf SZ-Berichte und Anfragen; später sagte er, er habe halt viel für die IAAF gearbeitet. Daher die Zuwendungen.
Unbestritten ist, dass Katar den Sport braucht. Und nicht nur den. Für das kleine Land, 2,6 Millionen Einwohner, "geht es ums politische Überleben", sagt Danyel Reiche, der an der Amerikanischen Universität in Beirut Politik und Sport lehrt. Katar sei zwar reich, dank seiner Erdgasfelder, es sei aber auch eine "Urangst" des Landes, "irgendwann überrannt zu werden" - der schwelende Konflikt zwischen Iran, Saudi-Arabien und den USA wärmte diese Angst zuletzt wieder auf. Also investiert das Emirat in Weltmeisterschaften, bald auch im Fußball; es baut Golfplätze und Hotels, weil die Erdgasfelder irgendwann versiegen; es pumpt Milliarden in französische Transportkonzerne und deutsche Firmen, von Volkswagen bis Siemens.
Es waren auch deutsche Unternehmen, die billige Gastarbeiter auf Katars Baustellen beschäftigten - immer wieder starben dort Arbeiter aus Nepal, Indien, Bangladesch, wegen der Hitze oder gefährlicher Bedingungen, auch am Khalifa-Stadion. Das Emirat, hielten die Menschenrechtler von Amnesty International zuletzt fest, sei weiter "ein Tummelplatz skrupelloser Arbeitgeber". Allen Reformzusagen zum Trotz.
Ausbaden - oder besser: ausschwitzen - müssen das nun die Leichtathleten. "Wir werden ja leider erst gefragt, wenn die Vergabe stattgefunden hat", sagt die Weitspringerin Malaika Mihambo etwa, die größte deutsche Medaillenhoffnung in Doha. Die Vergabe nach Katar finde sie "fragwürdig", aber als Athlet, findet sie, müsse man die Bedenken nun halt "beiseite stellen". Mihambo ist nicht die einzige, die gerade verbal auf Zehenspitzen durch eine Wüste an Problemen tippelt. Da ist die Lage Homosexueller, denen in Katar Gefängnis droht - was den schwulen britischen Geher Tom Bosworth zuletzt zu der Bemerkung veranlasste, dass er in Doha bitteschön nicht auf die Menschenrechtslage angesprochen werden möge. Da ist der späte Termin der WM, wegen der Hitze, der die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele stört, die bereits im kommenden Juli anbrechen. Da sind die Marathonläufe um Mitternacht. Und da ist das Khalifa-Stadion, das dank einer Klimaanlage auf bis zu 20 Grad runtergekühlt werden kann, wobei die eingesetzte Technik 40 Prozent schonender sei als vergleichbare Methoden, wie die Organisatoren zuletzt verkündeten. Was heißt "Fridays for Future" noch mal auf Arabisch?
Mitarbeit: Anne Armbrecht, Doha