Leichtathletik: Gay vs. Bolt:Zu leicht, um wahr zu sein

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Der Amerikaner Tyson Gay fügt dem Weltrekordler Usain Bolt seine erste 100-Meter-Niederlage seit zwei Jahren zu - und traut dem Erfolg nicht. Der jamaikanische Supersprinter verliert seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit.

Thomas Hahn

Tyson Gay hat mit seinem Stolz ganz gut haushalten können. Wenn er überhaupt stolz war auf diesen 100-Meter-Sieg über Usain Bolt beim Diamond-League-Meeting in Stockholm, der ihm seltsam leicht gefallen war. 9,84 Sekunden zu 9,97 Sekunden - irgendwie passten diese Zahlen nicht zu diesem Duell, das einzelne Veranstalter gerne als Titanen-Kampf oder Megaduell verkaufen. Dieser Abstand von über einer Zehntelsekunde, vor allem diese Zeit des jamaikanischen Dreifach-Olympiasiegers und -Weltmeisters, dessen Weltrekord über die Strecke bei 9,58 Sekunden liegt.

Die beiden schnellsten Männer der Welt: Tyson Gay (li.) besiegt Usain Bolt. (Foto: AP)

Es war die erste Niederlage Usain Bolts, seit er vor zwei Jahren ebenfalls in Stockholm seinem Landsmann Asafa Powell unterlegen war, aber es war auch das schwächste Rennen, das Bolt seit seinem Aufstieg zur Überfigur der Leichtathletik gezeigt hatte. Tyson Gay, der WM-Zweite von Berlin aus den USA, wirkte fast enttäuscht darüber, wie glatt alles für ihn ausgegangen war. "Ehrlich gesagt", sagte er im britischen Fernsehen, "tief in mir drinnen weiß ich, dass er nicht bei hundert Prozent war."

"Keine Kraft, kein gar nichts"

Man hat wirklich keine Wallfahrten ins Innerste einer amerikanischen Sprinterseele unternehmen müssen, um zu erkennen, dass Bolt an diesem Abend nicht in Bestform war. Seinen langen Schritten fehlte die Spritzigkeit. Bolts Übergeschwindigkeit hat immer die Tatsache ausgemacht, dass der 1,96-Meter-Mann die Trägheit seiner hünenhaften Gestalt überwinden konnte und mit seinen schnellen Schritten in der gleichen Zeit mehr Raum greifen konnte als alle anderen Sprinter.

In Stockholm aber wirkte er wieder wie ein normaler Riese in Spikes, der nach einem behäbigen Start Mühe hat, seine langen Beine auf Tempo zu bringen. Seine Leichtigkeit war fort, Usain Bolt verzerrte das Gesicht während seines Laufs, er schien mehr Mühe zu haben als bei seinen Weltrekorden, von denen er einen - jenen bei Olympia in Peking 2008 in 9,69 - mit offenen Schnürsenkeln bewerkstelligte. Er sagte selbst: "Die ersten zehn Meter waren Quatsch. Ich hatte keine Kraft, kein gar nichts."

Dieser Boltsche Rückschlag ist ein bisschen überraschend gekommen, wenn man bedenkt, wie verlässlich der Mann zuletzt immer siegte. Jeder hat mal einen schlechten Tag, aber bei Bolt schien es keine schlechten Tage zu geben, nicht einmal nachdem er in dieser Saison wegen einer Achillessehnenentzündung pausieren musste. Anfang Juli beim Meeting in Lausanne änderten sie eigens das Startprogramm für ihn, weil Bolt von seinem Münchner Hausarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zur Schonung der wehen Sehnen ein Kurvenlauf-Verbot bekommen hatte und deswegen seinen avisierten 200-Meter-Start nicht wahrnehmen konnte.

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Dafür lief er die 100 Meter in geschmeidigen 9,82 Sekunden, mit denen er neben Powell immer noch an der Spitze der Weltjahresbesten-Liste steht. Und auch sonst war er recht flott unterwegs: 9,84 Mitte Juli in Paris, 9,86 Mitte Mai in Daegu. Allerdings in Abwesenheit von Tyson Gay, der selbst auf Anraten Müller-Wohlfahrts wegen eines Fitness-Defizits verspätet in die Saison einstieg.

Usain Bolt gratulierte seinem großen Konkurrenten um die Sprintkrone der Welt artig. (Foto: dpa)

Eine tiefere Bolt-Krise hat man wohl eher nicht hineininterpretieren müssen in den Stockholmer Auftritt. Als "Weckruf" hat ihn die jamaikanische Zeitung Oberserver verstanden und mit etwas spitzem Ton angemerkt, dass die Niederlage auch etwas mit seinem Nachtleben zu tun haben könne. Tatsächlich ist diese Saison für Bolt ein Zwischenjahr ohne WM oder Olympia, da ist der ganze Bolt im Grunde gar nicht nötig, um ordentliche Gagen zu erzielen. Hauptsache er ist da, tritt als Hingucker auf, beschenkt Veranstalter mit seinem publikumswirksamen Konterfei, tanzt ein bisschen für die Galerie und stellt sich ab und zu dem sehr teuren, weil seltenen Duell mit Tyson Gay.

Seltene Duelle

Ehe Bolt das viel beachtete Rennen in Stockholm verlor, berichtete er auf einer Pressekonferenz mal wieder über seine Zukunftspläne, die derzeit so aussehen, dass er ab 2012 Weitsprung versuchen könnte, dafür niemals den 400-Meter-Lauf ("Weitsprung ist viel einfacher") und sein Karriere-Ende nach Olympia in Rio 2016 anpeilt. Auf der Bahn zeigte er Breakdance-Einlagen und kugelte lustig aus dem Startblock, als die Kampfrichter die Vorstartphase zum zweiten Mal unterbrachen.

In die Tiefen der Boltschen Geschäfte kann niemand schauen. Vielleicht kommt ihm die Niederlage ja sogar ganz recht, um ein bisschen das Gerede von seiner Unschlagbarkeit abzuschütteln und den Druck etwas von seinen Schultern zu nehmen. "Ich habe euch gesagt, dass ich nicht unschlagbar bin", sagte Usain Bolt nach der Niederlage, und das stimmt, das hat er immer gesagt, nur geglaubt hat es keiner, weil er mit so großer Leichtigkeit gewann. Jetzt hat das Publikum den Beweis, es kehrt ein bisschen Spannung zurück ins Feld der Sprinter, und Usain Bolt kann die Aussicht auf einen Konter als Motivation nehmen. Tyson Gay wusste schon, warum er nicht zu stolz war auf seinen Sieg.

© SZ vom 09.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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