Leichtathletin Carolin Schäfer:Für Dennis, gegen den Schmerz

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Siebenkämpferin Carolin Schäfer hat sich mit ihren 6542 Punkten in Götzis in den erweiterten Favoritenkreis für die WM Ende August in Peking geschoben. (Foto: Ian Walton/Getty Images)

Siebenkämpferin Carolin Schäfer hat vor kurzem ihren Freund verloren. Zu Beginn der Leichtathletik-Saison empfiehlt sie sich für höhere Aufgaben - und nutzt den Sport zur Trauerbewältigung.

Von Johannes Knuth, Götzis

Die Frage war eigentlich harmlos, aber manchmal bahnen einfache Fragen den Weg für besondere Antworten. Wer sie begleitet habe beim Mehrkampf-Meeting in Götzis, wollte eine Journalistin am Sonntagabend von Carolin Schäfer wissen. Schäfer war eben noch von Kamera zu Kamera gezogen, hatte gut gelaunt Auskunft erteilt über ihren famosen Siebenkampf.

Jetzt dämpfte sie ihre Stimme ein wenig. "Meine Eltern", sagte Schäfer, sie hielt inne, dann ergänzte sie: "Und die Familie von meinem verstorbenen Freund. Das hat mir angesichts der Umstände viel Motivation und Sicherheit gegeben."

Schäfer wählt den Weg der öffentlichen Trauer

Carolin Schäfer vom TV Friedrichstein ist am Wochenende Zweite in Götzis geworden. Zweite Plätze fallen einem nicht einfach zu bei diesem traditionsreichen, stark besetzen Meeting. Schäfers Platzierung, verknüpft mit einer neuen Bestleistung von 6547 Punkten, war also zunächst einmal ein Zeichen: Die 23 Jahre alte Siebenkämpferin ist endgültig in Richtung Weltelite aufgebrochen, nach ihrem vierten Rang im vergangenen Sommer bei der EM. Das war die eine Geschichte des Wochenendes. Die andere war, dass Bestleistungen und Platzierungen aus der vermeintlich großen Welt des Sports ganz schnell ganz klein werden können.

Es seien schwere Monate, sagte Schäfer am Montag im Hessischen Rundfunk, "es werden auch noch viele weitere vor mir liegen". Schäfers Freund, Dennis Hefter, Volleyballspieler beim Bundesligisten CV Mitteldeutschland, hatte am 23. Februar an einem Bahnhof die Gleise überquert. Hefter wollte eine Abkürzung nehmen, er merkte zu spät, dass ein Zug heranrauschte. Seine Mannschaftskameraden traten kurz darauf trotzdem zu den Playoffs an, Hefters Familie hatte diese Entscheidung unterstützt, ausdrücklich. Auch Schäfer entschied sich, öffentlich zu trauern, elf Tage nach dem Unfall reiste sie zur Hallen-EM nach Prag. Sie sei sicher, dass ihr Freund es so gewollt hätte, ließ sie ausrichten. Mehr wollte sie nicht sagen, erst einmal.

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Wenn Beziehungen enden, verschwindet nicht nur ein Mensch. Man muss sich auch von der Zukunft trennen, die man sich ausgemalt hatte, von gemeinsamen Zielen, und Schäfer versucht jetzt eben, die Ziele ihres Partners in ihren aufgehen zu lassen. Sie hat den Vorhang zu ihrer Gedankenwelt zuletzt ein wenig geöffnet. "Mein Umfeld weiß, für wen ich das am Wochenende gemacht habe, für wen diese Punktzahl ist. Das hilft mir natürlich bei meinem Verarbeitungsprozess", sagte sie am Montag.

Nicht alle Athleten wählen diesen Weg der öffentlichen Trauer. Die deutsche Hindernisläuferin Antje Möldner-Schmidt war 2010 ganz weg vom Sport, wer sie fragte, der erhielt eine abgespeckte Version ihres Leidens, sie kuriere eine Lymphzellerkrankung aus, hieß es. Tatsächlich war es Lymphdrüsenkrebs. Möldner-Schmidt sprach erst vier Jahre später öffentlich darüber, kurz darauf gewann sie bei der EM in Zürich Gold über 3000 Meter Hindernis, in jenem Stadion, in dem Carolin Schäfer sich ins Rampenlicht geschoben hatte.

Möldner-Schmidt hatte festgestellt, dass sie anderen Patienten als Vorbild diente, und irgendwann, sagte sie damals in Zürich, müsse man die Krankheit ja auch mal verarbeiten. Schäfer hat sich derweil entschieden, diesen Prozess sofort einzuleiten. Der Siebenkampf mit seinen vielen Aufgaben im Training kann ein wenig Halt geben, wenn einem jeder andere Halt entgleitet.

Schäfer hat ein Netz geknüpft, das sie jetzt auffängt

Der Sport helfe ihr, die Trauer zu verarbeiten, sagt Schäfer: "Meinen Gemütszustand bringe ich jetzt einfach auf die Bahn." Jeder findet seinen eigenen Weg, aber Schäfer ist es wichtig, dass viele Menschen sie auf diesem Pfad begleiten. "Wir sind eine große Familie", sagt sie, das erzählt einiges über Schäfer, nicht nur den Menschen, auch die Athletin. Die 23-Jährige interpretiert die Individualsportart Leichtathletik schon länger als Mannschaftsleistung.

Sie hat, zusammen mit ihrem Heimtrainer Jürgen Sammert, ein Team aufgebaut, mit einem Ernährungsberater, einer Vermarktungsagentur, einem Sportpsychologen, mehreren Trainern; Schäfer nimmt zum Beispiel Hochsprung-Unterricht bei Günter Eisinger, der unter anderem die mehrmalige deutsche Meisterin Ariane Friedrich betreut. Dieses Netz, das Schäfer geknüpft hat, fängt sie jetzt auch etwas auf.

Die 23-Jährige hat am Wochenende in Götzis natürlich auch die WM-Norm erfüllt. Sie hat bereits die Planungen eingeleitet, sie wird frühzeitig nach Peking fliegen, sich an das Klima gewöhnen. Schäfer weiß, dass sie sich in den erweiterten Medaillenkreis gedrängelt hat, "ich möchte die Leistung, die ich jetzt angeboten habe, natürlich noch einmal bestätigen". Für sich und für alle anderen, die sie auf diesem Weg begleiten.

© SZ vom 03.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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