Leichtathletik-DM in Ulm:Kitschige 8,49 Meter

Lesezeit: 3 min

Weitspringer Sebastian Bayer siegt überzeugend, bewahrt die deutsche Leichtathletik vor einem PR-Desaster und darf sich mit Hürdenläuferin Carolin Nytra als neues Traumpaar feiern lassen.

Thomas Hummel, Ulm

Als sich Carolin Nytra und Sebastian Bayer nach einigen Umarmungen und Siegerküssen wieder trennten, sprachen sie zumindest weiter über sich. Und so durfte die Öffentlichkeit aus dem neuen deutschen Leichtathletik-Haushalt Nummer eins erfahren, dass Bayer eine schlechte Trainingseinheit lieber schnell abhakt, während Nytra darüber auf dem heimischen Sofa noch diskutieren möchte. "Das ist manchmal nicht ganz leicht", berichtete Bayer, "aber das kriegen wir schon hin."

Sebastian Bayer und Carolin Nytra überzeugten bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Ulm. (Foto: Foto: Getty)

Nytra schwärmte denn auch, ihr Lebensgefährte sei ihre größte Stütze in den vergangenen harten Wochen gewesen. Und Bayer erzählte, er habe von seiner Lebensgefährtin viel gelernt. Die Hürdenläuferin Carolin Nytra und der Weitspringer Sebastian Bayer traten dem Versuch bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm, aus ihnen das "neue Traumpaar der deutschen Leichtathletik" (Stadionsprecher) zu stilisieren, erst gar nicht entgegen.

Die Inszenierung im Donaustadion war denn auch zu kitschig. Die 24-Jährige verbesserte im Endlauf über 110 Meter Hürden ihre Jahresbestleistung um 22 Hundertstel auf 12,78 Sekunden und unterbot die Norm für die Weltmeisterschaft im August in Berlin deutlich. Die 14.500 Zuschauer in Ulm jubelten Nytra zu; die lief mit einer Deutschland-Fahne an einem Ast die Ehrenrunde, aus den Lautsprechern dröhnte: "The heat is on."

Wegen des Hürdenfinals war der fünfte Durchgang im Weitsprung der Männer unterbrochen worden, Sebastian Bayer war gerade dran und hopste unruhig auf der Bahn herum. Als er die Zeit seiner Freundin sah, freute er sich kurz und zog seine Trainingshose aus. Die Zuschauer gingen vom Applaus für Nytra direkt ins rhythmische Klatschen für Bayer über.

Bayer schien beim Anlauf bereits dynamischer als vorher, er traf den Balken und segelte weit in die Sandgrube hinein. Sehr weit. Bis auf 8,49 Meter. Seine bisherige Freiluftbestleistung lag bei 8,15 Meter, Bayer ist damit drittbester Weitspringer 2009 und hat den Deutschen Rekord von Lutz Dombrowski (noch für die DDR 1980) nur um fünf Zentimeter verpasst. Es war fast so ein Satz wie sein Wundersprung bei der Hallen-EM in Turin auf 8,71 Meter.

Auch damals hatten die Emotionen eine Rolle gespielt. Ariane Friedrich war gerade als Europameisterin gekürt worden, die Nationalhymne hallte noch, als Bayer zum drittbesten Hallenspringer aller Zeiten wurde. Diesmal spornte ihn die Freude über die Leistung der Freundin an. "Das hat mich schon sehr beflügelt", erklärte Bayer. Solche Gefühlswallungen "pushen mich schon".

So könnte der Erfolg für eine Verbesserung des zuletzt etwas angespannten Verhältnisses zwischen dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und seinem neuen Hoffnungsträger sorgen. Bayer hatte in einem Interview mit der Sport Bild die mangelnde Werbung für die WM in Berlin beklagt, er hat die wechselhaft berichtenden Medien kritisiert. Und dann auch die straffe WM-Norm, mit der die Sportler "extrem unter Druck" gesetzt werden.

Sowohl Bayer wie auch Nytra konnten im Frühling wegen Krankheiten zeitweise nicht trainieren. Die Weitspringer beklagten zudem bei ihren Meetings häufig schlechtes Wetter, was gute Weiten kaum möglich machte. Bayer scheiterte an der Norm von 8,15 Meter zumeist klar, weshalb er sie zunehmend als "Last" empfand.

Auch der DLV dürfte nach Bayers Sprung auf 8,49 Meter erleichtert sein. Schließlich baute der Verband nach Turin den 23-Jährigen als eines der prominentesten Gesichter für die WM in Berlin auf, eine Nichtnominierung wegen fehlender Leistung wäre zum PR-Desaster geworden. Eike Emrich, Vizepräsident Leistungssport beim DLV, hatte den Weitspringer schon vor dem Wettkampf in Schutz genommen: "Der Druck und die Erwartungen sind hoch", sagte Emrich, "dass da einem mal der Kragen platzt, ist normal." Man müsse jetzt versuchen, dass es bei der WM zu einer "kontrollierten Entladung" komme.

Immerhin ist nun sicher, dass Bayer in Berlin am Start ist. Und nach dieser Leistung auch zum Favoritenkreis gehört. Dabei bedauert er bereits, dass eine ähnliche Dramaturgie wie in Ulm dann nicht möglich sein wird, weil das Weitsprung-Finale und das Hürden-Finale der Frauen nicht am gleichen Tag stattfinden. "Da muss der Zeitplan wohl noch geändert werden", sagte er schelmisch. Oder die erhofften 70.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion bringen den Weitspringer dann in die nötige Gefühlswallung.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Leichtathletik: Hallen-EM
:Der Wundersprung

Sebastian Bayer springt bei der Hallen-EM der Leichtathletik sensationell 8,71 Meter. Auch andere DLV-Athleten zeigten verblüffende Leistungen. Bilder aus Turin

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: