Leichtathletik:Schneller, einsamer Wolf

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Auf dem Weg zum Titel: Yannick Wolf im Auestadion in Kassel. (Foto: Axel Kohring/Beautiful Sports/Imago)

Deutscher Meister in 10,19 Sekunden: Der 100-Meter-Quereinsteiger Yannick Wolf von der LG Stadtwerke München beweist in Kassel, dass er sich in der deutschen Spitze etablieren kann.

Von Johannes Knuth

Sein Doppelleben hat er noch nicht ganz abgelegt, man musste Yannick Wolf dazu in Kassel nur auf die Spikes blicken. Auf dem rechten Schuh waren mit Filzstift "Acht Meter plus" vermerkt, auf dem linken "10,1x". Das waren die Wunschweite im Weitsprung sowie die Zeit über 100 Meter, die sich Wolf und sein Trainer nach der vergangenen Hallensaison vorgenommen hatten. "Das ist im Weitsprung ja leider nichts geworden", sagte Wolf, er lächelte, "aber die 100 trösten da ganz gut."

Die bayerischen Leichtathleten erlebten bei den nationalen Titelkämpfen in Kassel einige bewegende Momente, auch wenn sich das Skript dabei nicht immer ganz so entfaltete wie geplant. Hammerwerfer Merlin Hummel (UAC Kulmbach) schaffte es am Sonntag, seine Stellplatzkarte zu spät abzugeben - in etwa so, als würde man das Boarding am Flughafen verpassen. Statt vor verschlossenen Türen zu warten, durfte er wenigstens außer Konkurrenz mitmachen. Seine 71,70 Meter hätten auch nicht zum Titel gereicht (Sören Klose gewann mit 73,90), noch mehr dürfte Hummel geschmerzt haben, dass er wertvolle Punkte für die Weltrangliste liegen ließ, mit deren Hilfe er sich für die nahende WM in Budapest qualifizieren will.

Die andere Geschichte handelte von Yannick Wolf von der LG Stadtwerke München, einem wohlbekannten Pendler zwischen den Welten. Und seit Samstag deutscher Meister über 100 Meter in 10,19 Sekunden. Es war der erste nationale Titel für den 23-Jährigen seit 2017, als er Jugendmeister war - im Weitsprung. Bei den Aktiven stand er noch nie auf dem Podium.

Das ist vielleicht auch nicht so verwunderlich, wenn man so sehr zwischen zwei Welten wandelt, als passabler Sieben-Meter-Springer und über die 100 Meter, die er zuletzt schon in 10,16 Sekunden absolviert hatte. Erst vor zwei Jahren hatte sich herauskristallisiert, dass Wolf vor allem ein Sprinter ist, der jetzt auch ab und zu noch Weitsprung macht, schon allein, um die reaktive Muskelkraft weiter zu schulen. Wozu er dabei befähigt ist, hatte er in den vergangenen Jahren nur sporadisch gezeigt. Im Vorjahr hatten diverse Blessuren verhindert, dass er bei der EM in München mitmachen konnte, ausgerechnet.

Ohne Perspektivkader stand auch sein Platz in der Spitzensportgruppe der bayerischen Polizei auf der Kippe

Noch ärgerlicher: Wolf fiel aus dem Perspektivkader des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, und ohne Perspektivkader stand nun auch sein Platz in der Spitzensportgruppe der bayerischen Polizei auf der Kippe. Ein Jahr Karenzzeit bekomme man gewährt, sagte Wolf in Kassel, ansonsten, ließ er durchblicken, wäre das mit dem Hochleistungssport wohl recht bald schwierig geworden.

Es überraschte wenig, dass Wolf am Samstag sehr ausgiebig das hervorragende Konzept der Landespolizei lobte, wo er vier Monate Ausbildung im wettkampfarmen Winter mit acht Monaten Vollzeitfokus auf den Sport verbinden könne. "Ich habe bei der Polizei mittlerweile definitiv meine Berufung gefunden", sagte er, da wolle er auch nach dem Sport weitermachen. Ihn interessiere aber eher die zivile Streife ("Da bist du einfach noch näher an den Bürgern dran"), auch wenn sie Wolfs Sprintfähigkeiten auf Streife mit Uniform vermutlich sehr gewinnbringend einbringen könnten.

Wenn man ihm in Kassel so zuhörte, konnte man fast den Eindruck gewinnen, dass da einer angekommen war nach einer langen Reise. "Ich würde aber eher sagen, das ist der Anfang, sich in der deutschen Spitze zu etablieren", sagte Wolf. Er verwies auf den qualitativen Zugewinn in der Disziplin, auf den packenden Zweikampf mit Julian Wagner in Kassel (10,21), auch wenn in Owen Ansah und Lucas Ansah-Peprah zwei Leistungsträger mit Verletzungen kämpften. Bei der Team-EM hatte die deutsche Staffel zuletzt trotzdem überzeugt, in 38,34 Sekunden. "Ich glaube, dass wir in diesem Jahr bei der WM zeigen können, dass auch die deutschen Männer ein Wort mitreden können", sagte Wolf. Da klang der Kommissar in spe schon fast wie der Klassensprecher. Hochspringer Tobias Potye und die 1500-Meter-Läuferin Katharina Trost holten weitere Titel für München, über 800 Meter wurde Seriensiegerin Christina Hering nur Zweite; Florian Bremm (Höchstadt/Aisch) gewann über 5000, Alexandra Burghardt (Burghausen) über 200 Meter Meter.

Yannick Wolf sagt, er wolle seinem Weg treu bleiben, obwohl oder gerade weil sich jetzt wieder neue Möglichkeiten auftun könnten. Er will in München bleiben, schon allein wegen der Polizei, auch wenn es in den gar nicht so schwachen Sprintgruppen seines Vereins keinen (mehr) gibt, der mit Wolf mithält. Er trainiert für sich alleine, beim Stuttgarter Sebastian Hess, seinem Trainer aus Weitsprungzeiten, auch wenn das bedeutet, dass er Hess nur einmal im Monat sieht. Er wisse mittlerweile aber "sehr, sehr gut", wie sich sein Trainingsprogramm anzufühlen habe, außerdem könne er sein Training auch mal eine Stunde nach hinten verschieben, wenn er länger ausschlafen wolle zum Beispiel. Schneller, einsamer Wolf.

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