Eklat bei Lazio Rom:Die Verhöhnung der Anne Frank

Lesezeit: 3 Min.

Die Fans von Lazio Rom verhöhnten am Sonntag Anne Frank mit Stickern, die sie auf die Sitze klebten. (Foto: Imago/Twitter)
  • Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs kommt Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben.
  • Nun verhöhnen italienische Fußballfans das jüdische Mädchen im Stadion.
  • Die Politik reagiert geschockt, aber nicht ganz Italien.

Von Birgit Schönau, Rom

Von Anne Frank, deren im Amsterdamer Versteck verfasstes Mädchen-Tagebuch eines der berühmtesten Bücher der Welt wurde, gibt es nicht viele Fotos. Kurz vor Kriegsende stirbt die hochbegabte Fünfzehnjährige im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Typhus oder Fleckfieber. Anne Frank musste sterben, weil sie Jüdin war. Überall in Europa wurden Juden deportiert und von den Nazis und ihren Schergen ermordet, auch in Rom, wo seit mehr als 2000 Jahren die älteste Gemeinde außerhalb des biblischen Gelobten Landes existierte, lange bevor der Katholizismus erfunden wurde. Am 16. Oktober 1943 verschleppten deutsche Besatzer 1023 Römer nach Auschwitz; nur 16 kehrten zurück. Renato Sacerdoti, ebenfalls jüdischer Römer und Gründer des AS Rom, überlebte die Verfolgungen versteckt in einem Kloster.

Am Sonntag wurden die Ränge des römischen Olympiastadions mit Hunderten von Fotos der armen Anne Frank beklebt. Es handelte sich um Montagen. Anne Frank trug darauf das gelb-rote Trikot des AS Rom. Weitere Sticker waren mit den Aufschriften versehen "Romanista Ebreo" (Roma-Fan Jude) und "Romanista Frocio" (Schwuchtel). Derart besudelt wurde die Südkurve des Stadions, in dem sich traditionell die Fans des AS Rom versammeln. Am Sonntag waren dort indes Fans des Stadtrivalen Lazio anwesend. Ihr Team besiegte Cagliari 3:0, zwei Tore erzielte der ehemalige Dortmunder Ciro Immobile.

Kommentar
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Die Sperre des Juventus-Präsidenten hat eher demonstrativen Charakter. Sie ist nicht die Lösung, um die Macht der Fan-Kurven zu brechen.

Ein Kommentar von Birgit Schönau

Das Europaparlament verurteilt die Aktion

Darüber spricht jetzt niemand. Stattdessen war die Verhöhnung von Anne Frank in einem italienischen Stadion am Dienstag Thema im Europaparlament in Straßburg. Parlamentspräsident Antonio Tajani, der aus Rom stammt, verurteilte die Aktion. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella schloss sich an: Es handle sich um pure Unmenschlichkeit.

Die Täter kennt man: Es handelt sich um jene "Irriducibili" (Unbeugsamen), die sich als organisierte "Ultras" ausgeben und seit Jahrzehnten durch übelste antisemitische und rassistische Aktionen auffallen. Ihre Anführer werden immer mal wieder ins Gefängnis gebracht, wegen schwerer Körperverletzung und Drogenhandel. Sie sind stadtbekannte Kriminelle mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Vor Jahren setzten die "Irriducibili" den Lazio-Präsidenten Claudio Lotito mit Morddrohungen unter Druck. Er sollte den Verein an einen Strohmann des Camorra-Clans der Casalesi verkaufen, weigerte sich, entzog den "Irriducibili", die sich bis dato am Geschäft mit Klubdevotionalien gemästet hatten, sogar Lizenzen und Gratis-Eintrittskarten. Seitdem kann sich Lotito nur noch mit Leibwache bewegen.

Die "Ultras" rächten sich, indem sie Kurvenboykotte organisierten und den Klub die Verbandsstrafen für ihr rassistisches Gegröle zahlen ließen. Auch am Sonntag war die Nordkurve, ihr angestammtes Revier, mal wieder nach rassistischer Pöbelei gesperrt. Um dennoch vor großer Kulisse zu spielen, bot Lazio Plätze in der Südkurve an - zum Sonderpreis von einem Euro. Das war ein Fehler, denn damit öffnete man den Ultras buchstäblich die Tore. Irritierend ist der Vorfall auch, weil die Lazio-Ultras seit Jahr und Tag von der Antiterroreinheit Digos begleitet werden. Die Polizisten kennen ihre Klientel. Ohnehin werden in Italien nur personalisierte Tickets verkauft. Und an den Stadiontoren sind die Sicherheitskontrollen genauso sorgfältig wie am Flughafen. Künftig muss man wohl auch noch nach Aufklebern suchen.

Präsident Lotito besuchte am Dienstag mit einer Abordnung von Lazio-Managern und -Spielern demonstrativ die Synagoge. Er legte einen Blumenkranz nieder am Denkmal der Deportierten. Und er versprach, künftig alljährlich 200 jugendliche Fans seines Klubs nach Auschwitz zu begleiten, "damit sie kapieren, worum es hier eigentlich geht". Kein anderer Präsident in Italien hat sich derart drastisch von den "Ultras" seines Klubs distanziert wie Lotito. Aber ein Fußballboss kann wenig ausrichten dagegen, dass Geschichtsklitterung und Antisemitismus in Italien schon wieder salonfähig sind.

Wie sonst ist zu erklären, dass 2015, zum 70. Jahrestag des Kriegsendes, die Jüdische Brigade in Rom von der Gedenkfeier ausgeschlossen wurde? Jüdische Italiener hatten an der Seite von katholischen und kommunistischen Partisanen gegen die Nazis gekämpft, nun wurde ihre Fahne mit dem Davidstern als "Propaganda für Israel" verunglimpft. Beim Aufmarsch der Partisanenverbände wehten stattdessen Palästina-Fahnen. "Wir kämpfen für alle Unterdrückten. Die Jüdische Brigade hat sich selbst ausgeschlossen", erklärte allen Ernstes der Vorstand des Partisanenverbandes. Zurücktreten musste niemand.

Was die Vergangenheitsbewältigung angeht, ist Italien noch nicht einmal im Jahre null angekommen. In der Abgeordnetenkammer wurde kürzlich mit Müh und Not ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Verbreitung neofaschistischer Propaganda und faschistischer Devotionalien wie den an jedem Zeitungskiosk erhältlichen Mussolini-Kalender unter Strafe stellt. Dagegen stimmte die Partei des EU-Parlamentspräsidenten Tajani, Forza Italia, die Lega Nord und die Fünfsternbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo. Letztere sah durch das Gesetz die Meinungsfreiheit bedroht. Für den Fall, dass sie die Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr gewinnen, wollen die Rechtspopulisten das Verbot wieder abschaffen.

"Wenn ich Fußballpräsident wäre, würde ich meine Mannschaft mit dem Davidstern auf den Trikots einlaufen lassen", tönte jetzt Matteo Renzi, der einstige Premier und Chef der sozialdemokratischen Regierungspartei PD. Es spricht eigentlich nichts dagegen, im Parlament mit einer ähnlichen Aktion zu beginnen.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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