Es hat lange gedauert. Von der Zeit, als er sich für dieses schwere Gerät entschieden hatte, das einem Turner durchaus wehtun kann, bis heute: Viele Jahre hat dieser Turner die Disziplin auf den Holzholmen erlernt - zunächst als Schüler unter seinem ersten Heim-Trainer Kurt Szilier in Unterhaching, danach in Berlin, ab 2020 auch bei den Trainern seiner nächsten Station am Stützpunkt in Halle/Saale und seit den Anfängen auch mit den Bundestrainern Andreas Hirsch und dessen Nachfolger Valeri Belenki. Nun ist Lukas Dauser am Ziel.
Am Sonntagabend kurz vor dem Ende dieser Weltmeisterschaft in Antwerpen hat er alle anderen hinter sich gelassen und jetzt eine Goldmedaille in der Tasche. 15,400 Punkte sind der Grund dafür und ein erheblicher Vorsprung vor den Nächstbesten, dem Chinesen Shi Cong (China, 15,066) und dem drittplatzierten Japaner Kaito Sugimoto (15,000). Seiner Teamkollegin Pauline Schäfer-Betz dagegen, die sich auch einen Podestplatz ausgerechnet hatte, war kurz zuvor ein Fehler unterlaufen, mit dem sie unvermittelt aus den Medaillenrängen fiel. Schon früh in ihrer Übung strauchelte sie nach einem Spreizsprung, als sie mit einem Fuß zu weit nach links auf den Balken geriet. Zwar musste sie bei dem Malheur nicht absteigen, ihre Hoffnungen waren aber dahin, die Abzüge waren zu groß. Der Rest gelang ihr gut, war aber nur noch Höflichkeit vor dem Publikum; am Ende war Schäfer-Betz Achte.
Turn-WM:Nur Biles II schlägt Biles
Die Ausnahmeturnerin gewinnt in Antwerpen den 23. WM-Titel ihrer phänomenalen Karriere. Ein Spektakel liefert sie auch beim Sprung - weil ihre Erfindung, der Biles II, noch nicht ganz gelingt.
Lukas Dausers Ausgangslage war ganz anders. Er hatte klargestellt, dass er trotz des Respekts vor diesem oft unberechenbaren Sport die Goldmedaille anpeile. Denn tatsächlich war von vorneherein klar, dass er sich nur selber schlagen kann mit einem Patzer, wie es ihm etwa bei der Europameisterschaft 2022 in München passiert war. Eine Übung wie jene Dausers muss man lange trainieren und verfeinern, was viel Trainingsdisziplin erfordert. Aber wenn der Turnschüler fertig ist damit und die Übung auch lange genug in seinen Träumen durchgegangen ist, dann ist er nur noch schwer zu bezwingen.
Gut möglich, dass Dauser bei Olympia ähnliches passiert
Nun, in Antwerpen, hat er erstmals die idealen Bedingungen mit einer idealen Form zusammengebracht. Sein bisheriger Sportrivale, der Chinese Zou Jingyuan, befand sich bei einer anderen Großveranstaltung, den Asienspielen, und Dausers Kunst geriet an diesem Abend perfekt. Sämtliche Schwierigkeiten vollführte er mit Leichtigkeit: die verwirrenden Drehungen und Wendungen im Handstand, die schweren Wechsel der Griffe, bei denen man leicht das Gleichgewicht verlieren kann, und schließlich brachte er auch den Abgang von diesem Gerät mit einem Doppelsalto sauber in den Stand.
Dort, neben den Holmen, verharrte er dann für einen kurzen Augenblick. Es war nur die Sekunde, in der ein Sportler nach großer Anstrengung versucht, diesen großen Moment zu begreifen. "Es wird noch lange brauchen, bis ich das realisiert habe", sagte er irgendwann später. Zunächst aber, noch in der Halle, riss Lukas Dauser die Arme in die Höhe und entließ die Spannung aus dem Körper. Jahre hat er auf diesen Moment hingearbeitet, ihn immer wieder verlegen müssen aufs nächste Jahr, und noch mal.
Also schnappte er sich nun seine Fahne und sprang vor Glück, lief vor die Fans, zeigte ihnen die Faust und schrie sich ein bisschen heiser. All das, was dieser sonst stillere Turner eigentlich nicht macht. Gut möglich ist es im kommenden Jahr, dass ihm bei Olympia ähnliches passieren könnte, dass er abermals mit dieser Übung als Bester aus dem Wettkampf geht, falls die Konkurrenz nicht extrem aufholt in den Elementen und Schwierigkeiten.
Stand jetzt aber erscheint es so, als hätte Lukas Dauser aus Unterhaching dieses komplizierte Gerät, den Barren auf seiner Seite.