Es ist ohnehin schon eine Plage, wenn man 17 Jahre alt ist. Siebzehn, das heißt, an alles zu denken, nur nicht an Pflichten. Es bedeutet, dass von einem Tag auf den anderen eine neue Berufsidee in einem hochkommt, dass von einer Minute auf die andere eine neue Laune aufploppt, mal sich zu verkriechen, mal die Welt zu erobern.
Insofern hat Karina Schönmaier aus Bremen bisher alles gut überstanden, sie hat alle Zweifel überwunden, und weiß, was sie will. Sie hatte als 17-Jährige gezweifelt, ob sie nach Chemnitz wechseln soll, weg von zu Hause, von der Familie, vom Freundeskreis, weg vom gewohnten alten Leben - denn jetzt heißt es, professionell zu trainieren im Olympiasport Turnen. Sie ist 18 und absolviert bei der Europameisterschaft in Rimini in dieser Woche ihren ersten großen Wettkampf, bei dieser zweigeteilten Veranstaltung.
Bei Helen Kevric, 16, dem deutschen Talent, könnte die Schwierigkeit für eine Medaille reichen
Die Stimmung an der Adria war zuletzt nicht in der Art, dass die anreisenden deutschen Turnerinnen vom Männer-Auftakt vergangenes Wochenende inspiriert sein konnten. Im Gegenteil, die deutschen Männer müssen sich von einer schweren Qualifikations-Niederlage erholen, wie sie zumindest bislang bei einem größeren Turnverband nicht vorgekommen war. Alle vier Turner mussten vom Pauschenpferd, denn der Druck war mit jedem Sturz stärker geworden, am Ende konnte sich sogar Spezialist Nils Dunkel nicht halten.
Die Deutschen beherrschen ihre Schwierigkeiten normalerweise, aber erstens ist dieser Bock mit seinen beiden Griffen, ein tückisches, launiges, ja fast lebendiges Gerät, auf dem vor langer Zeit die Kavallerie ihr Gleichgewicht schulte. Nun haben alle verfrüht auf der Matte gestanden, was einem Sturz gleichkommt, alle vier konnten somit die Koffer packen, denn ein Zehntelpunkt hatte gefehlt, um weiterzukommen. Andreas Toba, 33, Reckspezialist und versiertester Turner in dieser Riege ohne den kranken Barren-Weltmeister Lukas Dauser, betonte also: "Es ist bitter, das braucht man gar nicht schönzureden", und: "Ich kann mich an keinen Wettkampf erinnern, bei dem vier Turner vom Pferd runtergefallen sind."
Auch wenn es den DTB-Turnern peinlich sein mag, so weiß man, woran zu arbeiten ist in den rund zwölf Wochen bis zu den Olympischen Spielen in Paris. Für die Frauen, die von Donnerstag an bei der EM in Rimini die Qualifikation bestreiten, gelten dieselben Vorsätze: möglichst nicht fallen (nämlich vom Schwebebalken), viel lernen vom ersten Großeinsatz und vielleicht, wenn alles gutgeht, auch eine kleine, vielleicht bronzene Medaille gewinnen.
Denn die Grundsituation war schon länger so, dass die Spitzenturnerinnen, also das Quartett der Olympia-, WM- oder EM-Medaillen-Gewinnerinnen, verletzt war. Elisabeth Seitz, Pauline Schäfer, Sarah Voss und weitere Etablierte müssen diverse Blessuren auskurieren. DTB-Chefcoach Gerben Wiersma hat deshalb die wohl jüngste EM-Riege zusammengestellt, die der Verband je hatte. Janoah Müller, Marlene Gotthardt, Karina Schönmaier, Silja Stöhr und Stufenbarren-Talent Helen Kevric, 16, sind den Turn-Fans eher regional bekannt, für die Medaillen werden - außer bei Kevric - die Ausgangswerte wohl nicht reichen. Und doch ist dieser Ansatz nicht nur mutig, sondern auch sinnvoll.
Irgendwann wurde das Gym eine Basis, auf der ihre Karriere wachsen könnte
Denn das Team - falls es sich qualifiziert - kann frei aufturnen. Jede ist anders, die eine Turnerin tritt selbstbewusst auf, die andere sensibler und vielleicht eleganter. Einige haben sich in der deutschen Turnszene schon so etwas wie einen Namen als größeres Talent gemacht wie Schönmaier, deren Rolle eine Mischung aus Turnerin und Kapitänin ist.
Längst hat sie sich angefreundet mit den Kolleginnen im Turnzentrum, der Prozess aber hat gedauert. "Für mich war es sehr schwer, hier reinzufinden", sagt Schönmaier, doch irgendwann wurde dieses Gym für sie eine Basis, auf der sogar eine Karriere wachsen könnte. Schönmaier fand wieder ihr Selbstbewusstsein und ihre Freude an der Turnarbeit. Zunächst, sagt sie, habe man sich nur als kleine Juniorin gefühlt, die Angst hatte vor der Welt der Topturnerinnen. Aber jetzt spüre sie es selbst, dass sie neben der eigenen Form als knapp Ältere das Gefühl hat, "dass ich für die anderen Verantwortung habe".
Auch Trainer Wiersma sagt: "Karina hat eine gewaltige Entwicklung gemacht, auch in der Rolle für die gesamte Mannschaft." Auf den vielen Baustellen im deutschen Turnen im Frühjahr 2024 schreitet zumindest das Training der Turnerinnen voran. Oder, wie Trainer Wiersma findet: "Das Schöne bei diesem Team ist: Es hat junge Energie." Zudem, auch Schönmaier hat das Verkriechen längst hinter sich, und sie ist bereit, die Welt zu erobern.